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„Dieser große herrliche Wind, der Himmel auf Himmel baut…“

[I]ch will den Herbst! Ist es nicht, als wäre er das eigentlich Schaffende, schaffender denn der Frühling, der schon gleich ist, schaffender, wenn er kommt mit seinem Willen zur Verwandlung und das viel zu fertige, viel zu befriedigte, schließlich fast bürgerlich-behagliche Bild des Sommers zerstört? Dieser große herrliche Wind, der Himmel auf Himmel baut; in sein Land möchte ich gehen und auf seinen Wegen.

Aus einem Brief an Clara Rilke vom 12. August 1904

 

Vorfrühling

Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung 
an der Wiesen aufgedecktes Grau. 
Kleine Wasser ändern die Betonung. 
Zärtlichkeiten, ungenau, 

greifen nach der Erde aus dem Raum. 
Wege gehen weit ins Land und zeigens. 
Unvermutet siehst du seines Steigens 
Ausdruck in dem leeren Baum. 

Muzot, im Februar 1924

Vielleicht wäre es am besten, ich taufte diese Zeit: Erholung und lebte sie so (man soll Erholung und Arbeit nicht mischen, halb und halb, wie es immer wieder aus Zaghaftigkeit und versagender Kraft geschieht), aber dazu fehlt mir doch die Freudigkeit, fehlt mir irgend etwas, was ich vorher getan haben müßte. Ein Ausgangspunkt, ein Zeugnis, eine vor mir selbst bestandene Prüfung. Nun auch so, wie sie ist und geht, wird diese Zeit gut für mich sein, wenn nicht sammelnd, so doch!

Der Sommer war ja nie und nirgends meine Hoch-Zeit. Immer und überall galt es, ihn zu überstehen; aber der Herbst müßte dieses Jahr wieder mein sein. Wenn ich dann eine stille Stube bei großen herbstlichen Laubbäumen, nahe am Meer, allein und gesund und in Ruhe gelassen, bewohnte (und in Kopenhagens und des Sundes Nähe könnte glücklichsten Falles alles das gefunden sein), so könnte sich vieles verändern in meinem Leben, manches Heil könnte da zur Welt gebracht werden.

Aus einem Brief an Clara Rilke, 24. Juli 1904

… Und vor sich, den Sommer.

Nicht nur die Morgen alle des Sommers –, nicht nur
wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends…
sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,
Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.
O einst tot sein und sie wissen unendlich,
alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!

aus der Siebten Duineser Elegie

XXI

Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
viele, o viele …. Für die Beschwerde
langen Lernens bekommt sie den Preis.

Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an dem Barte des alten Manns.
Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!

Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.

O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts!

Aus: Die Sonette an Orpheus (1922)

Wunsch-Zettel

„Solang der Wunsch schwach ist, ist er wie eine Hälfte und braucht das Erfülltwerden wie eine zweite Hälfte, um etwas Selbständiges zu sein. Aber Wünsche können so wunderbar zu etwas Ganzem, Vollem, Heilem auswachsen, das sich gar nicht mehr ergänzen läßt.“

Aus einem Brief an Marietta Freiin von Nordeck zur Rabenau, 14. April 1910

[Den ganzen Brief gibt es hier:
http://www.rilke.de/briefe/140410.htm]

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Aus: Das Buch der Bilder

Rilke zur Ehe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An Emanuel von Bodman

Westerwede bei Bremen, am 17. Aug. 1901

Mein lieber Bodman,

ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Verse, diese Zeichen lieben und aufrichtigen Vertrauens. Ich weiß es wohl zu schätzen, daß Sie mir aus so ernsten Tagen schreiben konnten, und Sie werden es nicht aufdringlich empfinden, wenn ich daraus das Recht ableite, Ihnen etwas von meiner Meinung über derartige Kämpfe zu vermitteln.
In einem solchen Fall heißt es (nach meiner perönlichen Meinung), sich auf sich selbst zurückziehen und weder zu dem einen noch zu dem anderen Wesen hinzustreben, das Leiden, welches beide verursachen, nicht auf die Ursache des Leidens (die so weit außerhalb liegt) beziehen, sondern für sich selbst fruchtbar machen. Wenn Sie die Vorgänge Ihres Gefühls in die Einsamkeit übertragen und Ihr schwanendes und zitterndes Empfinden nicht in die gefährliche Nähe von Magnetkräften bringen, so wird es mit der eigenen Beweglichkeit von selbst diejenige Lage einnahmen, welche ihm die natürliche und notwendige ist. – Es tut in jedem Falle gut, sich sehr oft zu erinnern, daß es über allem Seienden Gesetze gibt, die niemals zu wirken versäumen, die vielmehr herbeistürzen, um an jedem Stein und an jeder Feder, die wir Fallen lassen, sich zu bewähren und zu versuchen.

Alles Irren besteht also nur im Nichterkennen der Gesetzmäßigkeit, unter welcher wir im gegebenen Fall stehen, und alle Lösung beginnt mit unserer Aufmerksamkeit und Sammlung, die uns leise in die Kette der Ereignisse einreiht und unserm Willen seine wiegenden Gleichgewichte wiedergibt.

Im Übrigen bin ich der Meinung, daß die „Ehe“ als solche nicht so viel Betonung verdient als ihr durch die konventionelle Entwicklung ihres Wesens zugewachsen ist. Es fällt niemandem ein, von einem einzelnen zu verlangen, daß er „glücklich“ sein, – heiratet aber einer, so ist man sehr erstaunt, wenn er es nicht ist! (Und dabei ist es wirklich gar nicht wichtig, glücklich zu sein, weder als einzelner noch als Verheirateter.) Die Ehe ist in manchen Punkten eine Vereinfachung der Lebensumstände, und der Zusammenschluß summiert natürlich die Kräfte und Willen zweier junger Menschen, so daß sie geeint weiter in die Zukunft zu reichen scheinen als vorher. – Allein, das sind Sensationen, von denen sich nicht leben läßt. Vor allem ist die Ehe eine neue Aufgabe und ein neuer Ernst, – eine neue Anforderung und Frage an die Kraft und Güte eines jeden Beteiligten und eine neue große Gefahr für beide.

Es handelt sich in der Ehe für mein Gefühl nicht darum, durch Niederreißung und Umstürzung aller Grenzen eine rasche Gemeinsamkeit zu schaffen, vielmehr ist die gute Ehe die, in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt und ihm dieses größte Vertrauen beweist, das er zu verleihen hat.  Ein Miteinander zweier Menschen ist eine Unmöglichkeit und, wo es doch vorhanden scheint, eine Beschränkung, eine gegenseitige Übereinkunft, welchen einen Teil oder beide Teile ihrer vollsten Freiheit und Entwicklung beraubt.

Aber, das Bewußtsein vorausgesetzt, daß auch zwischen den nächsten Menschen unendliche Fernen bestehen bleiben, kann ihnen ein wundervolles Nebeneinanderwohnen erwachsen, wenn es ihnen gelingt, die Weite zwischen sich zu lieben, die ihnen die Möglichkiet gibt, einander immer in ganzer Gestalt und vor einem großen Himmel zu sehen!

Deshalb muß also auch dieses als Maßstab gelten bei Verwerfung oder Wahl: ob man an der Einsamkeit eines Menschen Wache halten mag, und ob man geneigt ist, diesen selben Menschen an die Tore der eigenen Tiefe zu stellen, von der er nur erfährt durch das, was, festlich gekleidet, heraustritt aus dem großen Dunkel.
So ist meine Meinung und mein Gesetz. Und, wenn es möglich ist, lassen Sie bald wieder Mutiges und Gutes von sich hören

Ihren getreuen

Rainer Maria Rilke

 

 

Blaue Hortensie

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

Aus: Neue Gedichte (1907)

Blättert zurück in euren Tagebüchern. War da nicht immer um die Frühlinge eine Zeit, da das ausbrechende Jahr euch wie ein Vorwurf betraf? Es war Lust zum Frohsein in euch, und doch, wenn ihr hinaustratet in das geräumige Freie, so entstand draußen eine Befremdung in der Luft, und ihr wurdet unsicher im Weitergehen wie auf einem Schiffe. Der Garten fing an; ihr aber (das war es), ihr schlepptet Winter herein und voriges Jahr; für euch war es bestenfalls eine Fortsetzung.

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Aus: Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge