Archiv der Kategorie: Rilke-Zitat

Aus einem April

Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war, –
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.

Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.

Das Buch der Bilder

Wir gehen durch Alles das hin, wie der Faden durch ein Gewebe:
Bilder bildend und wir wissen nicht welche.

Aus einem Brief an Karl von der Heydt,
8. Februar 1906

 

… denn Weihnachten hat so eine Unaufhaltsamkeit im Näherkommen. Bei diesem Fest merkt man’s besonders, wie das Tempo der Welt nicht mehr auf es Rücksicht nehmen mag, so ein Fest hat langsam zu kommen, wie damals als man Kind war, da zählte man und wartete und es war trotzdem noch weit, das gehört dazu, dieser langsame Advent, nun rast man im Lebens-Schnellzug darauf zu, hält an keiner Station, und es ist nichtmal sicher, daß man in ‚Weihnachten‘ halten wird, drei Minuten vielleicht – und weiter auf die große Stadt Neujahr zu, wo’s endlich ein kleines Aussteigen giebt und Händewaschen.

Aus einem Brief an Nanny Wunderly-Volkart, 15. Dezember 1922

„… ja, der November ist, im Durchschnitt der Jahre, der unerträglichste Monat…

„… ja, der November ist, im Durchschnitt der Jahre, der unerträglichste Monat, aber am zwölften dachte ich viel an Sie: wer weiß, hätte sich Ihr ursprüngliches Programm erfüllen lassen, vielleicht wären Sie gerade hier gewesen; es war, mitten im nachlassenden, nach Innen zurückschlagenden Jahr, ein Tag für sich, klar, rein und mild, wie aus einer unbekannten Jahreszeit des Seins ins Vergängliche ohne sichtbare Fugen eingesetzt. Ein Tag des Verweilens, der auch in sich keinen Ablauf hatte. Und ich dachte immer wieder: nun sollten Sie hier sein.“

Aus einem Brief an Katharina Kippenberg
vom 21. November 1913

Été : être pour quelques jours
le contemporain des roses ;
respirer ce qui flotte autour
de leurs âmes écloses.

Faire de chacune qui se meurt
une confidente,
et survivre à cette sœur
en d’autres roses absente.

[Sommer: für ein paar Tage der Zeitgenosse der Rosen sein; atmen, was um ihre aufgeblühten Seelen schwebt. Aus jeder, die dahinstirbt, eine Vertraute machen und diese abwesende Schwester in anderen Rosen überleben.]

Aus: Gedichte in französischer Sprache, Herausgegeben von Manfred Engel und Dorothea Lauterbach. Übertragungen von Rätus Luck.

…ich habe mich sooft gefragt, ob nicht gerade die Tage, da wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefer Tätigkeit verbringen?

Aus einem Brief an Tora Holmström, 24. August 1904

Der Ölbaum-Garten

Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.

Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.

Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham…

Später erzählte man: ein Engel kam -.

Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.

Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.

Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schooß.

Aus: Neue Gedichte (1907) 

Ach zwischen mir und diesem Vogellaut:
was war verabredet? Ich weiß nicht mehr -,
(ach zwischen mir und diesem Vogellaut)

Nein nein, der klang nicht nur aus Regennäh,
nicht nur aus Gartenüberfluß, nicht nur
weil andre Vögel gerne Vögel hören.

Jetzt sollte innen ein Gefühl in mir
anheben -? Welches, welches? Übereinkunft,
zu alte Übereinkunft. Ach aus solchem

Vergessenhaben wird die Zeit………

Rainer Maria Rilke

Aus einem Brief an Sidonie Nádherný von Borutin, 2. April 1910

Frühling

Nicht so sehr der neue Schimmer tats,
daß wir meinen, Frühling mitzuwissen,
als ein Spiel von sanften Schattenrissen
auf der Klärung eines Gartenpfads.

Schatten eignet uns den Garten an.
Blätterschatten lindert unsern Schrecken,
wenn wir in der Wandlung, die begann,
uns schon vorverwandelter entdecken.

1924