Liebe Barbara,
Liebe Christiane,
Jetzt möchte ich die Rilke-Gesellschaft doch in Schutz nehmen und erklären, warum ich sie für eine großartige Einrichtung halte. Und ich möchte für die "Zusammenarbeit" mit der Rilke-Gesellschaft - bei Beibehaltung der Unterschiede - werben: Es ist doch unheimlich spannend, wenn eine junge Internet-"Community" wie wir auf so eine etablierte Institution trifft! Natürlich sollen wir unsere Eigenständigkeit bewahren, aber wir sollten doch auch ein wenig Interesse und Aufmerksamkeit - und auch Geduld - für die anderen aufbringen. Immerhin eint uns das Interesse für Rilke. Und es gibt sowieso schon einige Mitglieder des Rilke-Forums, die auch in der Rilke-Gesellschaft aktiv sind. Und schließlich hat die Rilke-Gesellschaft ihrerseits diese Internetseite immer mit sehr viel Offenheit und Wohlwollen verfolgt. Aber ich glaube, ich muss jetzt ein bisschen weiter ausholen und sollte mal erzählen, wie ich überhaupt auf die Rilke-Gesellschaft gekommen bin... bzw. sie auf rilke.de:
Die Internationale Rilke-Gesellschaft existiert seit 1971. Seitdem bietet sie mit regelmäßigen Tagungen und mit ihrem Jahrbuch ein Forum für den - hauptsächlich, aber nicht nur - wissenschaftlichen Austausch über Rilke. Als Tagungsorte werden Schauplätze aus Rilkes Leben gewählt, wie Raron (1979), Duino (1982), Wien (1998) und Brügge (2004). So wird das abstrakte Gespräch immer verbunden mit einer ganz konkreten Rilke-Erfahrung "vor Ort". Wer einmal in Büchern und Aufsätzen nach tiefer gehenden Informationen und Deutungsversuchen zu Rilkes Leben und Werk sucht, kommt gar nicht an der Rilke-Gesellschaft vorbei - weil ein großer Teil dieser Schriften im Rahmen der "Blätter" herausgekommen ist, und weil die Verfasser bzw. Herausgeber vieler großer Rilke-Werke Mitglieder der Gesellschaft sind oder zumindest auf den Tagungen erscheinen.
Wie eigentlich alle großen literarischen Gesellschaften hat auch die Rilke-Gesellschaft das Internet etwas verspätet für sich entdeckt: Als man sich dort präsentieren wollte, war der Domainname
http://www.rilke.de schon vergeben. An dieser Stelle beginnt meine persönliche Erfahrung mit der Rilke-Gesellschaft. Wie ging man mit dem Neuling um, der einem den besten Platz im Netz weggeschnappt hatte? Prof. Dr. Schmidt-Bergmann, der damalige Redakteur des Jahrbuchs der Rilke-Gesellschaft lud mich ein, meine Erfahrungen mit "Rilke im Internet" doch im Jahrbuch der Rilke-Gesellschaft zu beschreiben. Anstatt mich und meine Seite zu ignorieren oder zu kritisieren, räumte man mir einen Platz ein, um meine Seite zu präsentieren. Die Rilke-Gesellschaft (mit Sitz in der Schweiz) reservierte den Domainnamen
http://www.rilke.ch, und wir tauschten Links untereinander aus.
Vier Jahre später kam eine E-Mail vom damaligen Präsidenten der Rilke-Gesellschaft, Rätus Luck. Er bot mir an, auf die Jahrestagung nach Antwerpen und Brügge zu kommen, um für einen Sitz im Vorstand der Gesellschaft zu kandidieren. Man hatte festgestellt, dass auf meiner Internetseite ein reges Gespräch zu Rilke im Gange war und wollte an diesem Gespräch teilhaben - und wollte auch auf das andere, ältere Rilke-Forum aufmerksam machen, das eben auch für alle Rilke-Interessierten offen ist. Von einem solchen Vertrauensvorschuss verpflichtet und auch gespannt, einmal diese alt-ehrwürdige Institution zu erleben, sagte ich gleich zu und fuhr also im September 2004 nach Brügge.
Ich erlebte fünf wunderbare und sehr überraschende Tage. Die erste Überraschung: Schon auf der Zugfahrt von Köln nach Brüssel und dann beim Empfang am ersten Abend lernte ich Mitglieder der Rilke-Gesellschaft kennen, die mir als aktive Mitglieder des Rilke-Forums schon bekannt sind. Ohne Namen zu nennen (denn das verstößt gegen die Spielregeln) kann ich garantieren, dass die Rilke-Gesellschaft bis in den Vorstand hinein mit Mitgliedern dieses Rilke-Forums besetzt ist und dass einige, die hier mitreden, selbst Bücher und Artikel über Rilke geschrieben und Rilke-Texte herausgegeben haben. Sie mögen das Rilke-Forum gerade darum, weil es eine andere, weniger formelle und verbindliche Ebene zum Austausch über Rilke ist, wo eben jeder ohne Rang und Titel einfach nur das schreibt, was er denkt und weiß. Aber zurück zur Tagung: Ich erfuhr auch, dass die Rilke-Gesellschaft eine Mischung darstellt aus einer Mehrheit gesetzter Rilke-"Veteranen", aber auch einer wachsenden Anzahl an jungen Forschern oder einfach Rilke-Enthusiasten. Diese wohnten dann, wie ich, meist im günstigen Seemannsheim und nicht im edlen Hotel "Prins" direkt an der Uni. Auf der Jahrestagung der Rilke-Gesellschaft habe ich so einerseits eine Comtesse kennen gelernt, die noch selbst Rilke gekannt hat und andererseits einen jungen Studenten aus Genua, der seine Magisterarbeit über Rilke schreibt und sich dafür einmal ein Bild machen wollte von der aktuellen Rilke-Forschung, von den Rilke-Forschern und natürlich von Flandern.
Die nächste Überraschung war, dass ich bei der Generalversammlung von den anwesenden Mitgliedern der Gesellschaft in den Vorstand gewählt wurde, ohne dass ich mich bisher durch besondere Leistungen in der Rilke-Forschung oder wenigstens durch die Anwesenheit auf vorherigen Tagungen hätte bekannt machen können. Viele der Personen, die für mich gewählt haben, kannten noch nicht einmal die Internetseite "rilke.de". Sie hatten wohl einfach das Gefühl, dass ein großes Interesse an Rilke bei jungen Menschen besteht, die vielleicht noch gar nichts von der Rilke-Gesellschaft wissen, weil sie nach gleichgesinnten nicht auf Tagungen und in Bibliotheken suchen, sondern mit diesem neuen Medium. Dieser Vorgang lässt sich doch überhaupt nicht vereinen mit dem Vorurteil, eine literarische Gesellschaft wäre ein konservativer, leicht verstaubter Verein von alten Herren.
Diesen Vertrauensvorschuss habe ich also von der Jahrestagung mitgenommen, und nun möchte ich ihn einlösen, indem ich versuche, die Rilke-Gesellschaft und die rilke.de-Community ein wenig näher zu bringen. Daher also die etwas neue Gestalt des Forums, die vielen Ankündigungen und der Hinweis "Partner der Rilke-Gesellschaft" unten auf der Seite.
Aber warum sollten wir uns überhaupt der Rilke-Gesellschaft öffnen? Selbst wenn sie sich für uns interessieren - können wir nicht auch so ganz gut zurecht? Tatsächlich profitieren wir schon jetzt im Forum von den Beiträgen einiger Mitglieder der Rilke-Gesellschaft, und auch Texte wurden mir schon von Rilke-Mitgliedern zugeschickt, die ich dann dem bestehenden Schatz an Rilke-Texten hinzufügen kann. Aber versuchen wir auch einmal über unseren virtuellen Rahmen hinauszudenken: Wir haben schon ein paar mal ein User-Treffen der Nutzer des Rilke-Forums zu organisieren versucht. Das hat nie richtig funktioniert, weil es eben doch einige Organisation erfordert. Die Rilke-Gesellschaft macht aber jedes Jahr ein User-Treffen - in Form der Tagungen. Das ist nur ein Beispiel. Auch an Kontakten zu Rilke-Museen, -Archiven, zu Rilke-Experten, Verlagen und Nachkommen aus Rilkes persönlichen Umfeld ist die Rilke-Gesellschaft reich. Schließlich sind einfach viele dieser Menschen spannend, weil sie einen ganz anderen Zugang zu Rilke gefunden haben, als z.B. ich.
Ich denke, all das wiegt doch schwerer als das Versäumnis, einem Mitglied das Jahrbuch nicht rechtzeitig zuzuschicken (zumal Du, Barbara, wie Du auch schreibst, ja zunächst einmal ein Ersatzexemplar schon persönlich von einem Mitglied der Rilke-Gesellschaft zugeschickt bekommen hast). Wir sollten nicht vergessen, dass die Rilke-Gesellschaft auch nur ein Verein mit ehrenamtlichem Vorstand ist, bei dem es mal zu Versäumnissen kommen kann.
Ich hoffe, liebe gliwi, Du hast jetzt ein bisschen mehr über die Rilke-Gesellschaft erfahren, als dass sie manchmal ein Jahrbuch verspätet versenden. Vielleicht reizt Dich das Ganze ja doch... mehr erfährst Du, wie gesagt, unter
http://www.rilke.ch
Schöne Grüße
Thilo