Aus einem April

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

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xuerchen
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Aus einem April

Beitrag von xuerchen »

Hallo, allerseits.
Ich versuche das Gedicht "Aus einem April" ins Chinesisch zu uebersetzen.
Befuerchte aber, dass ich die Saetze nicht richtig verstanden habe. Deswegen sind Ihre Kommentare herzlich willkomen!


Aus einem April

Wieder duftet der Wald. (duftet der Wald nach Regen?) Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern
schwer war;
zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er
leer war,-
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden, (meint Hr. Rilke hier die Stunden der Sonneuntergang?)
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen. (Was kann man diesen Satz verstehen?)
Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser. (Was ist die glaenzenden Knospen der Reiser?)

Vielen Dank fuer Ihre Hilfe im voraus!

Aus: Das Buch der Bilder
e.u.

Beitrag von e.u. »

Also einige Anregungen zu den Fragen - ohne Gewähr auf Richtigkeit!

Der vor dem Regen trockene Wald hat keinen Geruch. Erst nach dem Regen geben nasses Gras, Moos und Stämme Duft von sich.

Die neueren Stunden sind vielleicht gar nicht an eine bestimmte Tageszeit gebunden, sondern ist die Phase, die nach dem Regen kommt. Eben der Wechsel von heftigem Regenguss und schon etwas kräftiger Sonne, wie es im April durchaus üblich ist.

Fenster, die mit Flügeln schlagen, könnten zweierlei sein:
- die Fensterflügel mit den Glasscheiben (vorsichtig geöffnet nach dem Regen, um die Sonne herein in das Haus zu lassen)
- die Flügel der Fensterläden, die links und rechts an der Hauswand sind und bewegt werden können.
"wund" sind sie vielleicht, weil sich vom heftigen Regen - manchmal auch im April schon Hagel- und Graupel-Schauer noch Wasserspuren zeigen.
Die glänzenden Knospen der Reiser bezeichnen die kleinen Zweige an den Büschen und vor allem an den Weiden. Im Frühling sind daran Knospen, d.h. die kleinen spitz zulaufenden 'Kugeln', aus denen im Laufe weniger Tage dann Blüten und Blätter herausbrechen. Die braune Hülle dieser Knospen ist immer straff und glänzend, da sie noch jung ist und sich (nach dem Regen vor allem) schnell ausdeht. Häufig sehen solche Knospen nach dem Rege wie von Wachs überzogen aus.
All das lässt sich natürlich einfach im April in der Natur beobachten. Rilke wird das auch getan haben.
Ich hoffe, meine Bemerkungen sind nicht zu no, aber ich versuche das Gedicht zuerst einmal auf der Ebene des Alltagsverständnisses zu sehen und erst danach zu 'interpretieren'. Aber darauf kam es ja noch nicht an.
Viel Erfolg!
e.u.
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Volker
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Beitrag von Volker »

Genauso wie e.u. verstehe ich die Zeilen auch.
Vielleicht noch eine kleine Ergänzung dazu:

... an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.


Warum "die wunden Fenster"?
Vielleicht, weil Fenster in einer Häuserfront, in einer Mauer wie "Wunden" aussehen.

Noch etwas: Ganz wunderbar finde ich das Bild:
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern
schwer war

(Wer jemals im Frühling auf einer großen Wiese stand, den weiten Himmel über sich, und eine Lerche beobachten (und hören) konnte, der weiß, was ich meine)
FROHE OSTERN!
Ich hab' auch Verstand.©
gez. Volker
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo,

das ist ja eine spannende Aufgabe, dieses Gedicht ins Chinesische zu übertragen!

Ich stimme auch den beiden anderen Interpretationen zu und möchte noch etwas ergänzen:
Fenster sind tatsächlich die "wunden Stellen" eines Hauses. Wind, Regen, Hagel usw. können dort am ehesten Schaden anrichten. Früher waren die Fenster zudem meist aus Holz und mussten nach langen verregneten Wintern im Frühjahr wieder restauriert werden. Aber interessant finde ich vor allem den Ausdruck "flüchtend" -Warum flüchten die Fenster mit schlagenden Flügeln (was auch ans Zähneklappern vor Angst erinnert), wenn die Sonne kommt? Sind sie Sinnbild für unbewusstes sich öffnen, das noch nicht unterscheidet und sich generell allem Neuen gegenüber hilflos ausgeliefert sieht?
Gruß M.
xuerchen
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Vielen Dank!

Beitrag von xuerchen »

Hallo, vielen Dank fuer die Kommentare!
Es freut mich wirklich so sehr, dass ich Sie durch dieses Forum kennenlernen kann. Ich werde nie einsam wenn ich Rilke lese.
Vor einigen Jahren bin ich erst in die Gesellschaft eingetritten und kriegte aehnliche Kummer wie der junge Franz. Mein Lehrer hat mir die chinesische Uebersetzung von “Briefe an einen jungen Dichter” empfohlen und Rilke ist seitdem ein mein lieblingster Schriftsteller.
Aber ehrlich zu sagen, fuer mich sind seine Gedichte sehr schwer zu verstehen. Zu uebersetzen ist noch schwerer. Da es nicht nur um die woerterliche Verstaendnis geht, sondern auch die kulturelle.
Im Bezug auf “Aus einem April” geht es sich um die kulturelle Interpretation ueber den RGEGEN.
1. Fuer mich,oder wenn ich sagen darf, fuer die meisten Chinesen ist der Himmel nach dem Regen klar und bringt das Gefuehl der Froehlichkeit und Erleichterung. Erst der Himmel vor dem Regen ist den Schultern schwer, da es voller Gewitterwolken ist.
2. Sonnenschein macht einem immer Spass und auch den Fenstern. In meiner Vorstellung sollen die Fenster, die von dem Regen verwundert sind, die Fluegel froehlich aufmachen und die Sonnenschein empfangen, aber nicht fruchtsam.
Meint Hr. Rilke hier anders, oder interpretieren die Deutschen anders wie die Chinesen?
:roll:
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo,

das Gedicht als Grundlage für einen interkulturellen Vergleich heran zu ziehen, ist nicht ganz unproblematisch: Wenn Rilkes Wahrnehmungen und seine zeitweise sehr auf den Tod fixierten (das Gegenteil von „Frühlingserwachen“!) Seelenzustände generelle Rückschlüsse auf die Mentalität der Deutschen zu ließen, dann würde ich mir – bei aller Liebe zu Rilke – ernsthafte Sorgen um den Fortbestand dieser Nation machen!

Wenn die „WUNDEN Fenster“ vor den „goldübersonnten / neueren Stunden, / (...) FLÜCHTEND (...) / FURCHTSAM mit den Flügeln schlagen“, schließt dies „Fröhlichkeit und Erleichterung“ als Interpretationsansatz mit Sicherheit aus (daran können wohl weder die Deutschen noch die Chinesen etwas ändern!).
Ich kenne mich nicht mit den chinesischen klimatischen Bedingungen aus, die im Monat April vor herrschen; bei uns ist dieser Monat gekennzeichnet durch den Kampf zwischen Winter und Frühling (unter dem Thema „Frühling“ im Forum, habe ich einen Auszug aus Goethes Faust zitiert, in dem es um genau diesen Kampf geht). Rilke hat dies möglicherweise von der bedrohlichen Seite her wahr genommen: „Dann wird es still (...). Alle Geräusche DUCKEN sich (...)“ heißt womöglich, dass die Ruhe NACH dem Regen auch die sprichwörtliche Ruhe VOR dem Sturm ist – nämlich dem Ansturm des Frühlings (Symbol dafür: „Knospen“, die im April aufBRECHEN, was in gewisser Weise schon gewaltsam klingt).

Das Gedicht ist das zweite aus dem „Buch der Bilder“ (1902/06). Eine Interpretation zum ersten Gedicht „Eingang“, die mehr auf biographischen Grundlagen beruht und vielleicht eine Ergänzung hierzu wäre, habe ich gerade gestern versucht und unter ebd. Titel ins Forum gestellt.

Viele Grüße M.
stefan-franz
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Aus einem April

Beitrag von stefan-franz »

Hallo ich versuch auch mal zu interpretieren...

Geh in den Wald und rieche, ( Fühling).
Die Lasten der täglichen Sorgen, ( erheben sich mit den Lerchen).
Sieht man kaum noch, ( durch die Äste).
Nach diesen tiefen, schwarzen ( regnerischen) Nachmittagen,
kommen die schönen, glücklichen, sonnigen Stunden.
Er flüchtet von der missmutigen ( wunden) Gesellschaft
von Menschen, die Fensterläden zuschlagen.
Es geht ihm gut, wie einen glänzenden, sonnigen ( reisenden) Reiser.

Liebe Grüsse S-F
Marie
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Beitrag von Marie »

Schön, dass die Interpretationen etwas breiter gestreut sind! Ich hoffe nur, wir verwirren Sie in Ihren Übersetzungsbemühungen nicht zu sehr dadurch?!

Ich habe Volkers „Lerchen“ wohl zu wenig Beachtung geschenkt?! Ich finde zwar immer noch ein Übergewicht an Schwere beim Lesen, aber es gibt durchaus eine Zweiteilung:
Im ersten Teil ist ein eher pos. Frühlingserwarten („Lerchen“ heben „den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;“, der leere Tag wird von „goldübersonnten / neueren Stunden“ erfüllt) spürbar. Der zweite Teil dagegen ist schon düsterer. Ich glaube aber nicht, dass Rilke ein Flüchten vor Menschen gemeint hat (die meisten Menschen nutzen den ersten Sonnenstrahl im Frühjahr, um sich im Freien auf zu halten). Ich sehe vielmehr eine Zweiteilung im Innern: Er spürte alles intensiver, sowohl die Schönheit der Lerchen, als auch die für Rilke vielleicht extrem Respekt einflößende Kraft des Lebendigen, die sich im Frühjahr äußert. Er hat vielleicht auf die eigenen inneren Mauern und „wunden Fenster“ angespielt, die Angst symbolisieren vor dem AUFGEBROCHEN werden. Das mag ein Grund sein, warum er sich der dunklen Schwere des Gegenpols, des Todes, näher verwandt fühlte (?). Auf jeden Fall wäre eine solche innere Ambivalenz für Rilke nicht untypisch.

Gruß M.
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