Der Engel als Narziss in den Duineser Elegien?
Verfasst: 11. Jun 2019, 12:32
Hallo zusammen ,
mich beschäftigt zurzeit ein bestimmter Aspekt der Engel in Rilkes Duineser Elegien: Begreift Rilke die Engel tatsächlich als vervollkommnete Narzissten?
1. Rilke beschreibt in der zweiten Elegie die Engel als Spiegel, die die eigene Schönheit wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.
Dies deckt sich mit seinem im Umkreis der Elegien geschrieben Gedicht "Narziss":
"Narziss verging (...) Er liebte, was ihm ausging, wieder ein (...) und hob sich auf und konnte nicht mehr sein."
Zurzeit verstehe ich das so, dass der Engel zwar ist, aber nicht mehr existiert (vgl. "Was ist Metaphysik?" von Heidegger, S.16) im Sinne der Existenzphilosophie, kurz gesagt also kein "Ego", kein "Da"-Sein mehr hat. Gleich der Tiere geht er also in der Welt auf und steht nicht mehr vor ihr wie vor einem Gegenstand (vgl. "Wozu Dichter?" von Heidegger). Er ist wieder in DER Mitte (dem höheren Dasein) und nicht a la Sündenfall jenseits davon. Der Engel ist in sich ruhend und hat keine Bedürfnisse mehr (vgl. "Weltinnenraum" Michael von Brück, S. 61)
2. Es gibt ein zweites Narziss-Gedicht von Rilke ebenfalls im Kontext der Elegien http://rainer-maria-rilke.de/100060narziss.html.
"Dies also: dies geht von mir aus und löst
sich in der Luft und im Gefühl der Haine
entweicht mir leicht und wird nicht mehr das Meine (...)"
Dieses beschreibt für mich den Zustand von uns Menschen (vgl. Sartre über Baudelaire "Die ursprüngliche Haltung Baudelaires ist die eines gebeugten Menschen. Über sich selbst gebeugt wie Narziß. Er ist der Mensch der sich nie vergisst. Er beobachtet sich beim Sehen"). Heidegger sagt dazu in "Wozu Dichter?", dass wir Menschen, an die Gegenständlichkeit der Welt gebunden, in dem was uns gegenübersteht Beschränkungen finden, durch die das Beschränkte zu sich selbst umgebogen wird. Es wird also in der Sprache des ersten Narziss-Gedichtes wieder "eingeliebt", ABER im Sinne des zweiten Gedichtes nur insofern, dass wir uns (wie z.B. Baudelaire stellvertretend für uns alle) in allem selbst bemerken.
3. Das heisst für mich momentan:
Der Mensch ist ein unvollkommener Narziss. Der Engel wiederrum ein absoluter Narziss.
4. Die Antwort auf die Frage aus der zweiten Elegie wäre dann "Nein!":
"Schmeckt denn der Weltraum, in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes, oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig unseres Wesens dabei?"
Nein, denn sie beruhen ganz in ihrem Weltinnenraum?!
5. Kann es wirklich in Rilkes Sinne gewesen sein, Engel als Narzissten zu verstehen?
Da ich niemanden persönlich kenne, mit dem ich solche Fragen diskutieren könnte, freue ich mich umso mehr über eure Antworten!
Grüße,
Marcel
mich beschäftigt zurzeit ein bestimmter Aspekt der Engel in Rilkes Duineser Elegien: Begreift Rilke die Engel tatsächlich als vervollkommnete Narzissten?
1. Rilke beschreibt in der zweiten Elegie die Engel als Spiegel, die die eigene Schönheit wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.
Dies deckt sich mit seinem im Umkreis der Elegien geschrieben Gedicht "Narziss":
"Narziss verging (...) Er liebte, was ihm ausging, wieder ein (...) und hob sich auf und konnte nicht mehr sein."
Zurzeit verstehe ich das so, dass der Engel zwar ist, aber nicht mehr existiert (vgl. "Was ist Metaphysik?" von Heidegger, S.16) im Sinne der Existenzphilosophie, kurz gesagt also kein "Ego", kein "Da"-Sein mehr hat. Gleich der Tiere geht er also in der Welt auf und steht nicht mehr vor ihr wie vor einem Gegenstand (vgl. "Wozu Dichter?" von Heidegger). Er ist wieder in DER Mitte (dem höheren Dasein) und nicht a la Sündenfall jenseits davon. Der Engel ist in sich ruhend und hat keine Bedürfnisse mehr (vgl. "Weltinnenraum" Michael von Brück, S. 61)
2. Es gibt ein zweites Narziss-Gedicht von Rilke ebenfalls im Kontext der Elegien http://rainer-maria-rilke.de/100060narziss.html.
"Dies also: dies geht von mir aus und löst
sich in der Luft und im Gefühl der Haine
entweicht mir leicht und wird nicht mehr das Meine (...)"
Dieses beschreibt für mich den Zustand von uns Menschen (vgl. Sartre über Baudelaire "Die ursprüngliche Haltung Baudelaires ist die eines gebeugten Menschen. Über sich selbst gebeugt wie Narziß. Er ist der Mensch der sich nie vergisst. Er beobachtet sich beim Sehen"). Heidegger sagt dazu in "Wozu Dichter?", dass wir Menschen, an die Gegenständlichkeit der Welt gebunden, in dem was uns gegenübersteht Beschränkungen finden, durch die das Beschränkte zu sich selbst umgebogen wird. Es wird also in der Sprache des ersten Narziss-Gedichtes wieder "eingeliebt", ABER im Sinne des zweiten Gedichtes nur insofern, dass wir uns (wie z.B. Baudelaire stellvertretend für uns alle) in allem selbst bemerken.
3. Das heisst für mich momentan:
Der Mensch ist ein unvollkommener Narziss. Der Engel wiederrum ein absoluter Narziss.
4. Die Antwort auf die Frage aus der zweiten Elegie wäre dann "Nein!":
"Schmeckt denn der Weltraum, in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes, oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig unseres Wesens dabei?"
Nein, denn sie beruhen ganz in ihrem Weltinnenraum?!
5. Kann es wirklich in Rilkes Sinne gewesen sein, Engel als Narzissten zu verstehen?
Da ich niemanden persönlich kenne, mit dem ich solche Fragen diskutieren könnte, freue ich mich umso mehr über eure Antworten!
Grüße,
Marcel