Das Jüngste Gericht im Buch der Bilder
Verfasst: 20. Okt 2017, 12:34
Kann jemand diese Zeile im Buch der Bilder erklären: ein Zittern, nicht von göttlichem Verzichte, - alle Interpretationen sind willkommen.
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Gute Frage.Arja Meski hat geschrieben: ↑20. Okt 2017, 12:34 Kann jemand diese Zeile im Buch der Bilder erklären: ein Zittern, nicht von göttlichem Verzichte, - alle Interpretationen sind willkommen.
?stilz hat geschrieben:Rilke folgend, scheint das "wilde Bild" des jüngsten Gerichtes (ich denke dabei an Hieronymus Bosch) unsere eigene Erfindung zu sein...
Nein eher, dass er die Erlösung von den Schrecken des Jüngsten Tages als Dreiundzwanzigjähriger (Entstehung des Gedichts 21. Juli 1899) noch nicht vom Sotor, dem Erlöser, dem ὁ θεός εἰμί μετά αὐτός (Offb. 21;3) erwartete, den er damals mit dem Verkläger (κατήγωρ) der Bücher Hiob und Samarja verwechseln konnte, סמאל. Sondern eben von jenem Vatergotte selbst erhoffte, der Moses und den „Cherub mit dem feurigen Schwert“ in der Anschauung des jüdischen תנ״ך zunächst als die Richter des menschlichen Karma beauftragt hatte — da sollte nun der „Allschauende“ milde gestimmt werden. Dass diese Aufgabe, verwandelt durch Christi Menschwerdung und Todesüberwindung, allmählich an Christus übergehen würde, dass Christus nicht mehr Pantokrator (παντοκράτωρ) wie vom Ⅳ. Jahrhundert an (nicht etwa bereits in urchristlicher Zeit!!!) bis ins zwanzigste, sondern als Salvator Mundi auch »die Liebe« selbst ist (1. Joh. 4; v. a. 8-21: ὁ μή ἀγαπάω οὐ γινώσκω ὁ θεός ὅτι ὁ θεός ἀγάπη εἰμί. ἐν οὗτος φανερόω ὁ ἀγάπη ὁ θεός ἐν ἡμᾶς ὅτι ὁ υἱός αὐτός ὁ μονογενής ἀποστέλλω ὁ θεός εἰς ὁ κόσμος ἵνα ζάω διά αὐτός usw.), bemerkte Rilke erst später.stilz hat geschrieben: ↑24. Okt 2017, 09:54Wie versteht Ihr denn das ganze Gedicht?
Insbesondere würde mich interessieren, ob Ihr meinem Gedanken zustimmt:?stilz hat geschrieben:Rilke folgend, scheint das "wilde Bild" des jüngsten Gerichtes (ich denke dabei an Hieronymus Bosch) unsere eigene Erfindung zu sein...
Mag sein. Nun geht es hier aber nicht darum, was Hoffmannswaldaus mit dem Begriff "göttlicher Verzicht" gemeint hat. Es geht auch nicht darum, was Rilke im Laufe seines Lebens für Ansichten dazu hatte. Sondern es geht ganz konkret darum, was Rilke in diesem Gedicht einem Mönch in den Mund legt (vgl den Untertitel: Aus den Blättern eines Mönches).lilaloufan hat geschrieben:Im Online-Grimm findest Du:
disz sind die laster, den das licht
der göttlichen verzicht gebricht
bisz sie die rache wol gespüret
Daß der Vatergott milde gestimmt werden soll, finde ich nicht in diesem Gedicht.lilaloufan hat geschrieben: ...dass er die Erlösung von den Schrecken des Jüngsten Tages ... von jenem Vatergotte selbst erhoffte, der Moses und den „Cherub mit dem feurigen Schwert“ in der Anschauung des jüdischen תנ״ך zunächst als die Richter des menschlichen Karma beauftragt hatte — da sollte nun der „Allschauende“ milde gestimmt werden.
Liebe stilz,stilz hat geschrieben: ↑25. Okt 2017, 11:56lilaloufan widersprechend:Mag sein. Nun geht es hier aber nicht darum, was Hoffmannswaldau mit dem Begriff "göttlicher Verzicht" gemeint hat. Es geht auch nicht darum, was Rilke im Laufe seines Lebens für Ansichten dazu hatte. Sondern es geht ganz konkret darum, was Rilke in diesem Gedicht einem Mönch in den Mund legt (vgl den Untertitel: Aus den Blättern eines Mönches).lilaloufan hat geschrieben:Im Online-Grimm findest Du:
disz sind die laster, den das licht
der göttlichen verzicht gebricht
bisz sie die rache wol gespüret
Aber sicher kann es darum gehen, die Ansichten eines Autors aus dem zu erschließen, was seine Figuren denken, äußern, intendieren, wie sie die Welt wahrnehmen, welche Urteile sie bilden, woran sie scheitern, in was für Gefühlskatastrophen sie stürzen, wessen sie entsagen, wofür sie glühen und sterben – und natürlich nicht nur, was sie begeistert, sondern auch womit sie hadern, was sie kritisieren. Dieses Blicks auf die Helden sich zu enthalten, hieße ja, sich nicht nur einer Befundlage zu verschließen, sondern auch, auf unser königliches Erkenntnismittel zu verzichten; aber freilich dürfen wir nicht nur je nach Vorlieben oder Forschungsdesiderat die oder den einen Protagonisten betrachten, sondern auch die anderen, die vielleicht die kontradiktorischen Argumente vertreten oder nach diametral entgegengesetzten Impulsen handeln. Wir müssen uns auch von Polarem beeindrucken lassen, aber wir werden den Dichter nur verstehen, wenn wir ihm zugute halten, dass er es ist, der seine Personen geschaffen und belebt hat. Aber was red’ ich; das ist halt die ewige Lyrisches-Ich-Diskussion, der Worte sind genug gewechselt.Es geht auch nicht darum, was Rilke im Laufe seines Lebens für Ansichten dazu hatte.
("Erkenntniskeuschheit", wieder ein neues Wort gelernt... )lilaloufan hat geschrieben:Nix für ungut, den Grimm in solchem Falle zu ignorieren halte ich nicht für einen Erweis von Erkenntniskeuschheit.
Ja natürlich.lilaloufan hat geschrieben:Aber sicher kann es darum gehen, die Ansichten eines Autors aus dem zu erschließen, was seine Figuren denken...
Hier nur ein kurzer Beitrag:Rainer Maria Rilke hat geschrieben:Irgendwo ist eine alte Feindschaft
zwischen dem Leben und der großen Arbeit.
Rilke hat geschrieben:
- Sprich leise, Gott!
Sind das verwandte Motive?Paul Celan hat geschrieben:
- Bete, Herr,
bete zu uns,
wir sind nah.