in einem derzeit schnurrenden Gesprächsfaden ist für mich leider gerade kein Ansatz sichtbar, deutlich werden zu lassen, dass ich nicht vorgefertigte Ansichten und ästhetische Kategorien (angeblich „mystische“) ins Gespräch bringen will, sondern von dem ausgehen will, was Rilke selbst als seine dichterische Intention und als sein Welt-Erleben beschreibt.
Hinsichtlich konfessioneller Lehren und hinsichtlich theosophischer Ideengebäude hat Rilke sich, wie ich nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern seit Jahren hier gepostet habe, abweisend geäußert.
Das muss man mir also – bitte! – in diesem neuen Thema nicht entgegenhalten, wenn ich versuche der Frage (!) nachzugehen, ob Rilke
- ▶ zwar die Lehre und religiöse bzw. esoterische Praxis, die er in der Kultur vorfand, als unbefriedigend und irrig empfand, aber
▶ aus seinem eigenen Welt-Erleben heraus Anhaltspunkte fand, die ihm bestätigten, dass es nicht illusionären Jenseitshoffnungen, sondern realen inneren Gewissheiten entspricht, auf der Suche zu bleiben und von Suche beseelt zu sein nach dem, worauf Konfessionen und spirituelle Weltanschauungslehren ihm nur unglaubwürdige Scheinantworten vorzugeben schienen.
- ▶ als Suche nach einem geistig wahren Verständnis von Welten und Mensch und
▶ als Suche nach dem gegenläufigen und wechselwirkenden Prozess von
___• künstlerischer Vergeistigung des in den Dingen Sichtbaren und
___• Sichtbarmachung des Geistigen in den Dingen.
Daher sei hier eingestanden, dass ich natürlich, wie jeder von uns Nachgeborenen, nur Vorstellungen entwickeln kann von dem, was in Rilkes Seele vorging, und da mir Rilkes Worte oft unmittelbar zugänglich sind und wie langvertraut auf mich wirken, stelle ich mir freilich sein Seelenleben so vor, dass es zwar individuell verschieden von meinem, aber im Grundcharakter des Seelischen meinem doch ähnlich sein kann.
Ich gelobe aber, nicht spekulieren zu wollen, und wenn’s mir dennoch widerfährt, dann deutet mich bitte darauf hin, wo ich versäume, im Sinne des oben einleitend Geschriebenen von Rilke selbst auszugehen.
Ein Anfang sei gemacht mit einer Passage aus einem Brief Rilkes vom 4. Juni 1914:
Sichtbarmachung des Geistigen als die Gegenbewegung zu: Erde: unsichtbar! Meine Signatur hier im Forum lässt beide Gesten in Eins denken.Rainer Maria Rilke an Johannes Sorge hat geschrieben:Im rein Geistigen mag, wenn man sie ganz groß auffasst, die Kirche ein unabsehbarer Umkreis sein, der größte irdische, der, über eine fast unscheinbare Spur, ins Ewige übergeht –; wo aber einer (wie ich es bin) zunächst zu einer Sichtbarmachung des Geistigen [Hervorh. l.] verpflichtet ist, da muss ihm die Kunst als die überaus größere (als seine weiteste ins Unendliche überführende) Lebensperipherie einleuchten: Müsste er doch sonst sich versagen, ihren Gesetzen und Gestaltungen bis in jene Werke zu folgen, die außerhalb der christlichen Glaubensluft entstanden sind und immer noch, da und dort, in reinster Gültigkeit entstehen. Dass innerhalb der christlichen Kirche Gotteswege von seligstem Aufstieg und von der tiefsten Leistung können begangen werden, dafür sind die ungeheueren Beweise der Heiligenleben da und neben ihnen manches starke und herzliche Überstehen, vielleicht in unserer nächsten Nachbarschaft. Aber diese Überzeugung und Erfahrung schließt in mir nicht die Gewissheit aus, dass die gewaltigsten Verhältnisse zu Gott, wo Not und Antrieb zu ihnen da ist, auch im außerchristlichen Gemüt, in irgend einem ringenden Menschen, sich auszubilden vermögen, wie ja die ganze Natur, wo sie nur ihren Willen haben darf, unerschöpflich zu Gott übergeht.
Soviel zunächst.
lilaloufan
{Nebenbei: ad: „Überstehen“: Der Gebrauch hier stellt manche Deutung der Schlusszeile des Requiems für Wolf Graf von Kalckreuth infrage, finde ich.}