Das hat mich neugierig gemacht. In meinem Band „Die Gedichte“ sind Rilkes Übertragungen von Shakespeare-Sonetten nicht enthalten.
Es gibt nur zwei: Die des ersten Sonetts ist ja recht bekannt, aber die des dritten ist nur in einem schwer zugänglichen bibliophilen Band zu finden, 1931 als Handschriftfaksimile erschienen mit Holzschnitten von Max Slevogt, fotomechanischer Nachdruck 1975 (das Manuskript wurde im zweiten Weltkrieg beim Brand des Kühlmann-Archivs vernichtet).
Inzwischen ist es im Band VII der Gesamtausgabe aufgenommen, aber leider nicht in der originalen Form.
Biographisch erstaunlich ist ja folgendes: Schon der siebzehnjährige Rilke erhält vom Vater die Werke Shakespeares als Geschenk, ein Jahr später auch die deutsche Ausgabe.
1911 liest er in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung, leiht sich von Elsa Bruckmann 1912 die Heymelsche Ausgabe lange aus, die ihn weit mehr überzeugt. Der Fürstin Marie von Thurn und Taxis zeigt er die Sonette: „…bin ein wenig im Shakespeare gewesen, den ich noch kaum kenne –, aber er ist mir zu sehr Gebirg, zu steil, zu amorph, ich klettere und rutsche und weiß nie, was mir gerade passiert…“
Etwa sieben Jahre nach der Heymel-Lektüre muss wohl Rilkes Übertragung entstanden sein:
- LOoke in thy glaſſe and tell the face thou veweſt,
Now is the time that face ſhould forme an other,
Whoſe freſh repaire if now thou not reneweſt,
Thou doo’ſt beguile the world, vnbleſſe ſome mother.
For where is ſhe ſo faire whoſe vn-eard wombe
Diſdaines the tillage of thy huſbandry?
Or who is he ſo fond will be the tombe,
Of his ſelfe loue to ſtop poſterity?
Thou art thy mothers glaſſe and ſhe in thee
Calls backe the louely Aprill of her prime,
So thou through windowes of thine age ſhalt ſee,
Diſpight of wrinkles this thy goulden time.
But if thou liue remembred not to be,
Die ſingle and thine Image dies with thee.
Schau in den Spiegel. Siehe dies Gesicht.
Zeit ist, dass es ein anderes bereite.
Jetzt unterschlägst du Welt, wenn du es nicht
erneust. Und irgendwo kränkst du die ungefreite,
_____mögliche Mutter. Welcher neue Schooß,
der Schönsten selbst, verweigerte dem Pflug
Acker zu sein. Wer darf selbstsüchtig groß
Nachwelt verstelln, als wärs mit ihm genug?
_____Du warst der Mutter Spiegel; in dir sah
sie sich zurück; ihr Blühn war wieder da.
So dürftest du, alt und gefältet einst,
_____wie durch ein Fenster sehn, wie schön du scheinst.
Doch wenn du lebst, versessen, nicht zu sein:
stirb einzig, und dein Bild geht mit dir ein.
Grüße in die Runde,
Christoph