Im Bernischen Historischen Museum

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Marianne

Im Bernischen Historischen Museum

Beitrag von Marianne »

Hallo,

ich bin auf der Suche nach den Gedichten, die R.M. Rilke nach dem Besuch im Bernischen Historischen Museum geschrieben hat . Er besuchte es wohl in den Jahren 1919, 1920 und 1923.

Wäre schön, wenn mir jemand weiterhelfen könnte ...

Liebe Grüße, Marianne
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Liebe Marianne,

Folgende Gedichte schrieb R.M. Rilke nach dem Besuch im Bernischen Historischen Museum im Oktober 1923:


Shawl

O Flucht aus uns und Zu-Flucht in den Shawl,
und, um die stille Mitte, das Begehren,
es möchte noch einmal und noch einmal
die unerhörte Blume wiederkehren

die sich vollzieht im schwingenden Geweb


Shawl

Wie, für die Jungfrau, dem, der vor ihr kniet, die Namen
zustürzen unerhört: Stern, Quelle, Rose, Haus,
und wie er immer weiss, je mehr der Namen kamen,
es reicht kein Name je für ihr Bedeuten aus -

... so, während du sie siehst, die leichthin ausgespannte
Mitte des Kaschmirshawls, die aus dem Blumensaum
sich schwarz erneut und klärt in ihres Rahmens Kante
und einen reinen Raum schafft für den Raum..:

erfährst du dies: dass Namen sich an ihr
endlos verschwenden: denn sie ist die Mitte.
Wie es auch sei, das Muster unserer Schritte,
um eine solche Leere wandeln wir.


Zu den zahlreichen Museen, die R. M. Rilke besuchte, gehörte auch das Bernische Historische Museum. Im Berner Museum war Rilke nachweislich in den Jahren 1919, 1920, 1923 und 1924. Dass der Dichter die Sammlungen sehr aufmerksam studierte, kann man an einem «Führer durch das bernische historische Museum» von 1916 erkennen, der, von Rilke mit zahlreichen Randbemerkungen versehen wurde. Heute liegt er in der Schweizerischen Landesbibliothek (Führer durch das bernische historische Museum, hrsgn von der Direktion. Bern 1916.)

Die Shawls in der Orientalischen Sammlung, die in einem 1922 neuerstellten Anbau eröffnet wurde, haben dabei einen besonderen Eindruck bei ihm hinterlassen. Rilke machte hier erstmals im Oktober 1923 «eine besondere Entdeckung: Shawls: persische und turkestanische Kaschmir-Shawls». Noch im selben Monat liess Rilke den Eindruck seiner Begegnung mit den Kaschmir-Shawls in die beiden oben zitierten kurzen Gedichte einfliessen, die mit der Bemerkung «Bern, Oktober 1923, Kaschmirshawls im Historischen Museum zu Bern, Sammlung Moser» versehen sind (Rainer Maria Rilke: Gedichte 1906-1926. Wiesbaden 1953,604-605).

Er erwähnt sie auch in einem Brief vom 16. Dezember 1923 an die Gräfin Sizzo:

«Wie eingeschränkt ist doch immerfort das Gebiet unseres Beredtseins; in Bern kürzlich (ich ging dorthin von Malans über Zürich) überlegt ichs wieder. Dort ist jedesmal das Historisches Museum das grosse Ereignis für mich durch seine unerhört herrlichen Wand-Teppiche, die die Schweizer des fünfzehnten Jahrhunderts aus dem Burgunderschatz Karls des Kühnen sich erobert hatten. Diese prächtigen Sammlungen sind seit kurzem nach anderen Seiten hin bereichert durch den Nachlass eines Sammlers von Orientalien; Miniaturen, Waffen, Kacheln, Bronzen von ungleichem Wert; diesmal aber kam ich auf eine besondere Entdeckung: Shawls: persische und turkestanische Kaschmir-Shawls, wie sie auf den sanft abfallenden Schultern unserer Ur-Grossmütter zu rührender Geltung kamen; Shawls mit runder oder quadratischer oder sternig ausgesparter Mitte, mit schwarzem, grünem oder elfenbeinweissem Grund, jeder eine Welt für sich, ja wahrhaftig, jeder ein ganzes Glück, eine ganze Seligkeit und vielleicht ein ganzer Verzicht, - jeder alles dies, voll von menschlichem Einschlag, jeder ein Garten, in dem der ganze Himmel dieses Gartens miterzählt, mitenthalten war, wie im Citronen-Duft wahrscheinlich der ganze Raum, die ganze Umwelt sich mitteilt, die die glückliche Frucht in ihr Wachstum Tag und Nacht einbezog. Wie vor Jahren in Paris die Spitzen, so begriff ich plötzlich, vor diesen ausgebreiteten und abgewandelten Geweben, das Wesen des Shawls!» (Rainer Maria Rilke: Die Briefe an Gräfin Sizzo, 1921-1926. Wiesbaden,
1950, 551.)

Im Juni 1924 nutzte Rilke dann einen Aufenthalt in Bern auch dazu, nochmals kurz das Museum zu besuchen und «zehn Minuten vor den Shawls zu stehen». Dieses führte zu einem dritten Gedicht, das wie die zwei vorherigen die Bemerkung trägt «Kaschmirshawls im Historischen Museum zu Bern, Sammlung Moser» (Rainer Maria Rilke: Gedichte 1906-1926. Wiesbaden 1953, 614).

Hier ist es:

Shawl

Wie Seligkeit in diesem sich verbirgt,
so eingewirkt, dass nichts mehr sie zerstöre;
wie blosses Spiel vollkommener Akteure
so ungebraucht ins Dauern eingewirkt.

So eingewirkt in schmiegende Figur
ins leichte Wesen dieser Ziegenwolle,
ganz pures Glück, unbrauchbar von Natur
rein aufgegeben an das wundervolle
Geweb in das das Leben überging.
0 wieviel Regung rettet sich ins reine
Bestehn und Überstehn von einem Ding.


Quelle: Thomas Psota:Biographien - Bernisches Historisches Museum 1996
http://www.g26.ch/bern_gaeste_rilke.html

Wer das Museum virtuell besuchen will , hier der Link http://www.bhm.ch/

Liebe Grüße von Barbara :lol:
Marianne

Beitrag von Marianne »

Danke, Barbara, für die rasche und ausführliche Antwort ! Morgen werde ich das Bernische Historische Museum besuchen . Ich mache gerade Urlaub in der Schweiz ...

Viele liebe Grüße von Marianne :lol:
Marianne

Beitrag von Marianne »

Hallo,
ich sehe gerade, dass das Museum montags geschlossen ist :( ... wird also erst Dienstag etwas mit dem Besuch ... :wink: Danke für den Linktipp ... und nochmal viele Grüße von Marianne :)
Barbara
Beiträge: 484
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Beitrag von Barbara »

Hallo,

die drei "Shawl"-Gedichte stehen jetzt auch unter "Gedichte" : Die Gedichte 1922-1926:

http://www.rilke.de/gedichte/shawl_1.htm

http://www.rilke.de/gedichte/shawl_2.htm

http://www.rilke.de/gedichte/shawl_3.htm

Viele Grüße von Barbara
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