In Giorgio Agamben's Buch "Stanzen" (erschienen 2005 bei diaphanes), zitiert Agamben Rilke auf seite 21:
"Wie grausam nun der Verlust auch immer sei, er vermag nichts gegen den Besitz: er vervollständigt ihn, wenn ihr so wollt, er bestätigt ihn: er ist im Grunde nichts anderes als ein zweiter Erwerb - diesmal ganz innerlich - und ebenso intensiv."
hat jemand Ideen, woher dieser Satz stammen könnte?
woher stammt der satz ""der Verlust ist ein zweiter Erwerb"?
Re: woher stammt der satz ""der Verlust ist ein zweiter Erwe
Es wird sich wohl um einen Satz aus einem Brief handeln - leider kenne ich diesen Brief nicht.
Aber ich denke bei dem Gedanken "Verlust ist Besitz" an dieses Gedicht - da scheint er sich eigentümlich umzukehren:
Aber ich denke bei dem Gedanken "Verlust ist Besitz" an dieses Gedicht - da scheint er sich eigentümlich umzukehren:
- Urne, Fruchtknoten des Mohns -,
oh und die leichten, die roten
Blätter, die ihr unwissender Wind entriß ...
Wie schon die Söhne des Sohns!
Alle sooft überboten,
jeder einzelne ungewiß.
Und da stürzt sich die Zeit weiter mit ihnen ins Tiefe;
was von den Stürzenden bleibt?
Ein verblichenes Bild und vergilbende Briefe
und in dem, der noch lebt, das, was keiner beschreibt.
_____ Jenes Unsägliche, das wir unendlich beweinen ...
Nicht wie Gazelle und Reh,
die in dem künftigen Tier heiter wiedererscheinen,
so verläßlich wie eh.
Unser Besitz ist Verlust. Je kühner, je reiner
wir verlieren, je mehr
(Ende Oktober 1924, Muzot)
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Re: woher stammt der satz ""der Verlust ist ein zweiter Erwe
Ja, meine Idee, woher das stammen könnte - Verse aus Ibsens Brand (1866):
Erst Verlornes wird Erworbnes; -
ewig lebt dir nur Gestorbnes.
Das nur nebenbei.
Aber ich habe das gesuchte Original-Zitat ja gefunden. Rilke schrieb es in französischer Sprache.
Es stammt aus dem Vorwort von MITSOU. QUARANTE IMAGES PAR BALTHUSZ. Préface.
Geschrieben "Au Château de Berg-am-Irchel, en Novembre 1920" (26. November 1920)
Hier im Zusammenhang, das gesuchte Zitat fett hervorgehoben:
"Trouver. Perdre. Est-ce que vous avez bien réfléchi à ce que c’est que la perte? Ce n’est pas tout simplement la négation de cet instante généreux qui vint combler une attente que vous-même ne soupçonniez pas. Car entre cet instant et la perte il y a toujours ce qu’on appelle — assez maladroitement, j’en conviens — la possession.
Or, la perte, toute cruelle qu’elle soit, ne peut rien contre la possession, elle la termine, si vous voulez; elle l’affirme; au fond ce n’est qu’une seconde acquisition, toute intérieure cette fois et autrement intense."
Meine Quelle:
Rainer Maria Rilke. Sämtliche Werke, Bd. 6. Frankfurt am Main: Insel-Verlag 1966, S. 1103.
Eine deutsche Übersetzung:
Mitsou. Vierzig Bilder von Balthus. Mit einem Vorwort von Rainer Maria Rilke. Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt samt Nachwort von August Stahl. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel-Verlag 1995.
sedna
Erst Verlornes wird Erworbnes; -
ewig lebt dir nur Gestorbnes.
Das nur nebenbei.
Ja, könnte man "umgekehrt" lesen. Aber ich glaube, es sagt im ibsenschen Sinne (noch etwas ausgereifter): Unser Besitz ist der Verlust. Nur das Verlorene gehört uns für immer, ist ewiger Besitz. Und Verlust wird umso mehr Be-reich-erung, je kühner, reiner wir verlieren.stilz hat geschrieben:- da scheint er sich eigentümlich umzukehren:
Unser Besitz ist Verlust. Je kühner, je reiner
wir verlieren, je mehr
Aber ich habe das gesuchte Original-Zitat ja gefunden. Rilke schrieb es in französischer Sprache.
Es stammt aus dem Vorwort von MITSOU. QUARANTE IMAGES PAR BALTHUSZ. Préface.
Geschrieben "Au Château de Berg-am-Irchel, en Novembre 1920" (26. November 1920)
Hier im Zusammenhang, das gesuchte Zitat fett hervorgehoben:
"Trouver. Perdre. Est-ce que vous avez bien réfléchi à ce que c’est que la perte? Ce n’est pas tout simplement la négation de cet instante généreux qui vint combler une attente que vous-même ne soupçonniez pas. Car entre cet instant et la perte il y a toujours ce qu’on appelle — assez maladroitement, j’en conviens — la possession.
Or, la perte, toute cruelle qu’elle soit, ne peut rien contre la possession, elle la termine, si vous voulez; elle l’affirme; au fond ce n’est qu’une seconde acquisition, toute intérieure cette fois et autrement intense."
Meine Quelle:
Rainer Maria Rilke. Sämtliche Werke, Bd. 6. Frankfurt am Main: Insel-Verlag 1966, S. 1103.
Eine deutsche Übersetzung:
Mitsou. Vierzig Bilder von Balthus. Mit einem Vorwort von Rainer Maria Rilke. Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt samt Nachwort von August Stahl. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel-Verlag 1995.
sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
Re: woher stammt der satz ""der Verlust ist ein zweiter Erwe
sven_marock hat geschrieben:Der Satz stammt von Rilke. Er schrieb ihn 1901 ... an seine Frau Charlotte. Er wollte sie in dem Brief auf die kommende Scheidung vorbereiten. Rilke selber nannte den Brief später ein "Kleinod in meinem Schatzkästlein".
Ja - und im Zuge der Scheidung lernte seine Frau Charlotte dann einen gewissen Werther kennen, mit dem sie anschließend bis an ihr Lebensende glücklich zusammenlebte... und ihr gemeinsamer Sohn Sven erbte viele viele Schatzkästlein mit Kleinodien...
Danke, sedna, für Mitsou samt Übersetzung!
Ja, natürlich nicht wirklich "umgekehrt", jedenfalls nicht im Sinne von "Gegenteil". Deshalb hab ich ja auch gesagt:sedna hat geschrieben:Ja, könnte man "umgekehrt" lesen. Aber ich glaube, es sagt im ibsenschen Sinne (noch etwas ausgereifter): Unser Besitz ist der Verlust. Nur das Verlorene gehört uns für immer, ist ewiger Besitz. Und Verlust wird umso mehr Be-reich-erung, je kühner, reiner wir verlieren.
Ich denke bei dieser Art des "Verlustes" übrigens auch an die letzten Zeilen des Liedes aus dem "Malte":stilz hat geschrieben:... - da scheint er sich eigentümlich umzukehren...
- Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.
Herzlichen Gruß,
Ingrid
Zuletzt geändert von stilz am 16. Aug 2011, 08:56, insgesamt 1-mal geändert.
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Re: woher stammt der satz ""der Verlust ist ein zweiter Erwe
Meintest Du "Schaluppe"?sven_marock hat geschrieben:... seine Frau Charlotte
Fährt man nicht vonwegen der Romantik mit einer Schaluppe in den Hafen der Ehe?
Und aah, schön, danke Dir, stilz, für die Kunde, daß man im "Zuge der Scheidung" von dort wieder wegkommt und überdies noch einen kennenlernen kann.
Im Übrigen ist mir nicht zum Lachen zumute.
Daher später mehr.
sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!