Suche das Gedicht "Oben wo die grossen Stimmen wohnen..

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Anna B.
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Suche das Gedicht "Oben wo die grossen Stimmen wohnen..

Beitrag von Anna B. »

Hallo,

ich suche ein Gedicht von R.M. Rilke. Es beginnt so:

"Oben wo die grossen Stimmen wohnen,
in den Kronen dieser hohen Föhren,
kann ich auch mein leises Leben hören,
grösser, um unendliches vermehrt..."

Ich würde mich sehr freuen, wenn mir hier jemand weiterhelfen könnte!

Liebe Grüße von Anna B. :lol:
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo Anna,
Rilke selbst hat dieses Gedicht nicht veröffentlicht. Es ist wohl auf einem Spaziergang mit dem Ehepaar Gibson in Furuborg (Schweden) entstanden. Rilke hat dazu gesetzt, es sei eigentlich Jimmy Gibsons Gedicht, er habe es ihm nur zurück gegeben.
Den Text müsste man in der Ausgabe des Briefwechsels mit Ellen Key finden (Brief Rilkes vom 2.Oktober 1904). Aber T.Fiedlers schönen Band habe ich gerade nicht zur Hand, aber vielleicht jemand sonst?
Víel Glück beim Suchen wünscht e.u.
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo Anna,
man hat wohl immer eine zweite Chance. In einer alten Ausgabe fand ich doch noch das Gedicht:

Oben, wo die großen Stimmen wohnen,
in den Kronen dieser hohen Föhren,
kann ich auch mein leises Leben hören,
größer, um Unendliches vermehrt.
Aber unten fügt an jeder Stelle
aus des Baches wechselndem Gefälle
sich ein Reden ein, das von der Schwelle
einer Stille sich zu mir zugekehrt.

*
Und so geh ich einsam, ohne Mund
zwischen helleren und dunklen Munden - ,
mit des Lebens weitem Hintergrund
durch mein leisestes Gefühl verbunden.
Eine Größe, die nicht von mir weiß
(und ich stürbe, wenn ich sie verstände),
wächst von ferne bis in meine Hände,
und sie schließt sich wie ein Sagenkreis.

Das mag vielleicht fürs Erste gelten?
e.u.
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Anna B.
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Beitrag von Anna B. »

Hallo e.u.,

herzlichen Dank ! Wie schön, dass Du dieses Gedicht doch noch gefunden hast! Ich finde es wunderbar!

Wer war eigentlich dieser Jimmy , dem es Rilke gewidmet hat ? Der Name klingt eigentlich nicht skandinavisch - oder doch ?

Liebe Grüsse von Anna :)
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Also noch eine kleine Ergänzung:
Rilke war im Oktober/November 1904 Gast bei James und Lizzi Gibson auf ihrem Landhaus Furuborg in Jonsered bei Göteborg (Schweden). Er hatte das Ehepaar durch Ellen Key kennen gelernt. John James (Jimmy) Gibson (1858-1932) war aus schottischer Familie Ingenieur und Direktor einer Textilfabrik. Nebenbei schrieb er selbst Gedichte. Das Ehepaar war Förderer der damals alternativen Gesamtschule 'Samskola' (mit Koedukation) in Göteborg.
Knapp steht das in der Monografie von Stefan Schank (dtv), ausführlicher im ersten Band der Rilke-Biografie von Ralph Freedman.
e.u.
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo Anna, hallo e.u.,

im Briefwechsel Ellen Key mit Rainer Maria Rilke beschreibt Rilke die Enstehung dieses Gedichts so schön, dass ich sie Euch - und dem Forum -nicht vorenthalten möchte und deshalb hier wiedergebe:

"...Hinter dem weißen Hause, das Furuborg gegenüber auf der Anhöhe liegt , gingen wir in den grossen Wald hinein; seine Tiefe begann gleich an seinem Rand, und erst kamen wir sprechend hinein; aber Sie wissen , wie Ihr lieber Freund (den wir so sehr auch als unseren Freund fühlen) zu lauschen versteht ; er war der Stillste unter uns, der Wissendste , der uns führte; erst zu dem grossen Geräusch, das durch die Wipfel der erwachsenen Bäume geht, dann, den ganzen fallenden Bach entlang , zu den kleinen Stimmen die, da und da und da - neue bei jeder Wendung - aus dem wandernden Wasser kommen. Stille. Und mit einer leisen Gebärde breitete er den ganzen Stoff vor uns aus, der aus allen diesen Lauten gewoben ist, - das unendlich weiche Gewebe, das den ganzen Wald zusammenhält. Da erwachte in mir das Gedicht, das also eigentlich (wie Sie sehen) sein Gedicht ist, Jimmy`s Gedicht, eines seiner schönen lebendigen Gedichte. Ich gab es ihm nur zurück als ich ihm , eine Stunde später, an einem entlegenen Platze über dem Ramsee diese Verse las.
Und nun, meine liebe Ellen Key, geben wir Ihnen (wir vier) diese Verse; fast ist es mir, als müssten Sie sie schon kennen: ist es möglich, dass Sie nicht mitten unter uns gewesen sind, als ich sie unter der grossen Fichte las? Ja, Sie waren bei uns; und das Gedicht ist ein Zeichen auch dafür, dass Sie bei uns waren. Hier ist es: ..." - so schreibt R.M. Rilke an Ellen Key am 2. Oktober 1904 aus Furuborg, Jonsered (R.M. Rilke/ Ellen Key: Briefwechsel mit Briefen an Clara Rilke-Westhoff, herausgegeben von Theodore Fiedler, Insel Verlag, 1993, S. 106). Dann folgt das oben bereits zitierte Gedicht .

Liebe Grüße von Barbara :lol:
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Anna B.
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Beitrag von Anna B. »

Hallo Barbara, hallo e.u., hallo ins Forum,

danke für diesen Briefauszug. Nun kann man wirklich gut nachempfinden, wie das Gedicht entstanden ist . e.u. hatte das ja auch bereits angedeutet... Eine richtig schöne Naturschilderung...

Was ich jetzt nicht verstehe: wieso schreibt R.M. Rilke "wir vier" ? Wer war denn ausser dem Ehepaar Gibson und ihm noch dabei ? Und was bedeutet eigentlich "Jonsered"?

Liebe Grüsse , Anna :)
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo,
Entschuldigung, das war unhöflich, Clara Rilke zu unterschlagen. Sie war auch beim Spaziergang dabei. So ist der Brief vom 2.Oktober von allen 4 gemeinsam verfasst worden.
Ein Foto von Furuborg, dem Landsitz der Gibsons, gibt es in Stefan Schanks Rilke-Monografie (dtv) S.82.
Leider habe ich kein Bild im Netz gefunden, aber eine hübsche Broschüre mit vielen Bildern aus dem Jonsered-Komplex (leider nur in schwedischer Sprache, aber wohl doch lesbar). Das gibt einen guten Eindruck von der Atmosphäre, in der sich Rilke aufgehalten hat.
http://wwwhost.gu.se/wwwguse_pdf/2003/Jonsered.pdf
Bitte etwas Geduld beim Herunterladen. Die Bilder sind dafür umso schöner.
e.u.
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo,

der Brief an Ellen Key mit dem Gedicht steht jetzt auch in der Rubrik "Briefe".

http://www.rilke.de/briefe/021004.htm

Liebe Grüße von Barbara :lol:
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