Respekt, Wechselsumme 3!
Du hast Dich ja energisch am „Nachthimmel“ festgebissen. Die entscheidenden Anstösse gibt Rilke selbst. Dazu später mehr.
Das geistige Umfeld ist Rilkes Spätwerk. Einigermaßen vermessen, daß Prüfer nach solchen Sternen greifen –, ein seltsamer Wunsch, bei diesem hier mal eben ganz klar zu sagen, zu welchem Sternbild er gehört, isoliert wie er ist.
Gestaltet sich für mich als in etwa so unerfüllbar, wie das lyrische Wir im Gedicht „zu ferne für die Angestaltung“ ist, was ich so deuten würde, dass irdische Lebewesen himmlischen Gestalten zu wesensfern sind, um sie „begreifen“ zu können.
Man kann sie ohne entsprechende Kenntnisse nur erahnen, hat nur so ein Gefühl ihnen irgendwie auch verbunden zu sein.
Deshalb leuchtet mir ein, wenn Du schreibst:
„Ich hab einfach noch etwas Mühe damit, meine Gedanke zu klaren Thesen zu formulieren.“
Hätte ich auch. Und ein ganz schlechtes Gefühl noch dazu. Rilkes Lyrik ist (salopp gesagt) kein dialektisches Spielzeug. (Und wer’s verschuldet, dem sei’s noch nicht verziehen

. Du kannst also alles behaupten. Wer sollte Deine Begründung widerlegen? - Rilke ist tot. (Sollte Dir aber jemand die gültige Wahrheit zu acht isolierten Versen sagen, lass es bitte auch mich wissen.)
Meine These: Thesen funktionieren hier nicht.
Und bevor es Prothesen werden, laß Rilke sprechen, dann bist Du auf der sicheren Seite.
Als Argumentationshilfe oder was auch immer, hier also Denkanstösse aus der Feder des Urhebers - Rilkes Reflexionen über seine Erfahrungen mit Séancen, übersinnlichen Erscheinungen und dem Rätselhaften in einem Brief an Nora Purtscher-Wydenbruck, Nichte der Fürstin Taxis, am 11. August 1924 - einem der Entstehungstage von „Nachthimmel und Sternenfall“:
„Warum sollten sie nicht, wie alles noch Unerkannte oder überhaupt Unerkennbare, ein Gegenstand unserer Bemühung, unseres Staunens, unserer Erschütterung und Ehrfurcht sein?
(...)
So ausgedehnt das „Außen“ ist, es verträgt mit allen seinen siderischen Distanzen kaum einen Vergleich mit den Dimensionen,
mit der T i e f e n d i m e n s i o n unseres I n n e r e n, das nicht einmal die Geräumigkeit des Weltalls nötig hat, um in sich fast unabsehlich zu sein.
(...)
Wer, innerhalb der dichterischen Arbeit, in die unerhörten Wunder unserer Tiefen eingeweiht, oder doch von ihnen, wie ein blindes Werkzeug, irgendwie gebraucht wird, der musste dazu gelangen, sich im Erstaunen eine der wesentlichsten Anwendungen seines Gemüts zu entwickeln. Und da muß ich gestehen, mein größtes, mein leidenschaftlichstes Staunen ist bei meiner Leistung, ist bei gewissen Bewegungen in der Natur, m e h r noch als etwa bei den medialen Begebnissen, so ergreifend sie mir ab und zu geworden sind.
(...)
nichts wäre mir fremder, als eine Welt, in der solche Mächte und Eingriffe die Oberhand hätten. Und seltsam: je mehr ich so handle (nach der nächtlichen Sitzung z.B. bemüht, den Anblick der gestirnten Nacht sofort für ebenso großartig und gültig zu halten...), desto mehr glaube ich mich mit dem Wesentlichen jener Ereignisse im Einverständnis.“
Entscheidend ist also, wie dieses Spannungsfeld aufgebaut wird (auch im Gedicht): Einem äußeren Geschehen setzt sich augenblicklich ein inneres entgegen,. Kein Dilemma, sondern Rilkes Welt-Ordnung, die ihn nicht aus der Bahn werfen kann.
Wie er über seine Arbeit spricht, fühlt er sich in diesem ganzen Weltraum nicht klein, im Gegenteil. Sein innerer Kosmos ist genau so unergründlich weiter „Vorrat Raum“ wie das All. Mit gegensätzlichen Kräften, die trotzdem „Einverständnis“ sein können.
Abschließend - nur als Anregung – meine Empfehlung, die ‚Bestürzung’ und andere Worte kritisch, das heißt im mehrfachen Wortsinn zu betrachten, dazu das Ende, die letzte Strophe der Duineser Elegien (1922, gleiche Schaffensperiode):
Und wir, die an s t e i g e n d e s Glück
denken, empfänden die Rührung,
die uns beinah bestürzt,
wenn ein Glückliches f ä l l t.
Ja, welch ein Glücksfall, wenn ein herab stürzender Glücksstern mit meinem Heraufblicken zusammen fällt – müßte doch wunschlos glücklich machen, in diesem Augenblick da zu sein und sowas als positives Bestürztsein zu erleben... „Wesentlich“ ist doch vorallem der ‚Kick’.
Dieser ‚Stern des Anstoßes’ will keinen Wunsch erfüllen. Zwecklos, ihn zu mehr zu verdonnern, als dazu, uns anzuhalten zu fragen... was zu wünschen übrig bleibt.
Isoliert betrachtet von
Henry Lou