Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

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Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

Hallo Zusammen!

Ich habe mich schon seit einiger Zeit mit diesem Gedicht befasst, ich soll es interpretieren, eine These erstellen.

Der Himmel, groß, voll herrlicher Verhaltung,
ein Vorrat Raum, ein Übermaß von Welt.
Und wir, zu ferne für die Angestaltung,
zu nahe für die Abkehr hingestellt.

Da fällt ein Stern! Und unser Wunsch an ihn,
bestürzten Aufblicks, dringend angeschlossen:
Was ist begonnen, und was ist verflossen?
Was ist verschuldet? Und was ist verziehn?


Folgendes ist mir dazu schon in den Sinn gekommen, aber ich habe keine Anhnung wie gut begründen und ob es überhaupt stimmt. Ich bin sehr froh für einige Gedankenanstösse.

- Im Gedicht geht es um Rilkes Dilemma zwischen seinem Wunsch, sich ganz der Dichtung zu verschreiben und der Liebe
- es beschreibt seine Beziehung zu seiner Mutter, er kann sich nicht loslösen

Ich hoffe sehr, dass mir jemand helfen kann. (Ich frage nicht einfach, weil ich zu faul bin mir selbst Gedanken zu machen, sondern weil ich nicht mehr weiterkomme)

Grüsse
joni
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von joni »

Hallo Zahlenfolge,
wie bist Du denn auf die angegebenen Thesen gekommen? Einfach so?
Dass Du bei so heftigen Unterstellungen Schwierigkeiten mit einer Begründung hast, leuchtet mir ein! Belustigt mich aber auch - das ist nicht böse gemeint.
Bist Du Dir denn über die Aspekte, die in dem Gedicht direkt angesprochen werden, klar geworden? Was hast Du dir denn so bei "herrlicher Verhaltung", "Vorrat Raum", "Übermaß von Welt", "Angestaltung" usw. gedacht?
Damit würde ich anfangen - und das ist schon schwierig genug, da ein gedankliches Konstrukt zu finden, das schlüssig erscheint.
Und die letzten drei Zeilen sind sowieso eine ziemliche Herausforderung!
Ob dann am Ende auch sowas wie Selbstbild als Dichter oder Mutterauseinandersetzung herauskommt, können wir dann ja mal gespannt abwarten (ich wäre damit SEHR vorsichtig!).

Du weißt wahrscheinlich nicht, dass in diesem Forum öfter Hausaufgabenanfragen landen, die von denen, die hier öfter reinschauen, mit einer Art Hassliebe betrachtet werden. Auf der einen Seite ist jede Anfrage mehr als willkommen, auf der anderen Seite möchte z.B. ich eigentlich auch sehen, dass sich jemand mit einem Text wirklich auseinandergesetzt hat und hier nicht nur Gedanken anderer abzugraben versucht.

Was ich damit sagen will: Du wirst von irrsinnig guten Gedankenanstößen förmlich überrollt werden, wenn Du zeigst, dass Du Dich wirklich mit dem Gedicht beschäftigst. Wenn du dich dann auch noch ab und an zu den Hinweisen meldest, die Dir gegeben werden, wirst Du eine Hausarbeit erstellen können, die Deine/n Lehrer/in in baffes Erstaunen versetzen wird - ganz abgesehen von der Befriedigung, die Du bemerken wirst, wenn Du ein Gedicht Dir zueigen gemacht hast.

Schreib mal, wie Du Rilkes Himmelsbetrachtung verstehst, und was das Deiner Meinung nach für Wunschfragen sind, die das lyrische Ich am Ende sich (?) stellt.
Bin gespannt und freue mich drauf!
Gruß
Der Joni Reinhard
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

Hallo, danke für deine Antwort!
wie bist Du denn auf die angegebenen Thesen gekommen? Einfach so?
Ich denke, dass die Verse 3 und 4 ein dilemma beschreiben könnten, zu nahe an etwas, um sich davon zu lösen, aber auch zu weit weg, um sich wirklich nahen zu können.
Du weißt wahrscheinlich nicht, dass in diesem Forum öfter Hausaufgabenanfragen landen, die von denen, die hier öfter reinschauen, mit einer Art Hassliebe betrachtet werden. Auf der einen Seite ist jede Anfrage mehr als willkommen, auf der anderen Seite möchte z.B. ich eigentlich auch sehen, dass sich jemand mit einem Text wirklich auseinandergesetzt hat und hier nicht nur Gedanken anderer abzugraben versucht.
Ich habe mich schon vorher etwas im Forum umgesehen, da habe ich bemerkt, dass es auch noch andere mit Hausaufgabenfragen gab. Habe auch versucht, noch mehr über Rilke selbst herauszufinden, um vielleicht so irgendwie ans Gedicht heran zu kommen . . .

Hier ein paar Gedanken:

Verse 1 und 2 beschreiben den Himmel.
Er wird als sehr gross, vielleicht schon fast als zu gross um zu begreifen, zu fassen, dargestellt. Ich meine auch eine Sehnsucht oder eine Ahnung der Unendlichkeit herauszuspüren.
Ich habe mal gelesen, dass Rilke ein pantheistisches Gottesbild hatte, also dass das Göttliche überal zu sehen sein, dass besonders das Universum Gott 'darstellt'. Vielleicht wird hier einen Gott beschreiben, der sehr gross ist und nur schwer fassbar?
Und doch kann man diese grösse nicht fassen, da man gleichzeitig zu nahe ist aber doch zu ferne. (Verse 3 und 4, eine Feststellung)
In Vers 5 geschieht dann etwas, ein Erreignis, auf das einen Wunsch folgt. Ein fallender Stern, eine Sternschnuppe, wird gesehen. Und der die Sternschnuppe gesehen hat, wünscht sich etwas.
Vers 6 hat durch die Worte bestürtzt, dringend, etwas gehetztes an sich. Der Stern wird gesehen, man blickt bestürtz zu ihm hoch, ein dringender Wunsch folgt.
Die Verse 7 und 8 bestehen aus sich gegenübergestellten Fragen. Was hat angefangen, was ist zu Ende gegangen? Welche Schuld besteht immer noch, was ist verziehen worden, von wem?
Vielleicht bezieht sich Vers 7 auf eine Beziehung. Ist es schon zu Ende oder gibt es einen Wiederanfang oder Neuanfang?
Was ich noch interessant finde, ist, dass in Vers 8 nicht gefragt wird, wer an etwas Schuld ist, sondern nur, aus was die Schuld besteht. Es wird davon ausgegangen, dass es die Schuld gibt, denn sonst wäre die Frage, was den vergeben ist, nicht nötig.

Ich finde, das Gedicht hat irgendwie etwas hoffnungsloses an sich, einen Aufschrei . . . doch es ist mir noch nicht so gelungen, das Gedicht wirklich zu fassen.

Grüsse
stilz
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von stilz »

:) Lieber Reinhard, vielen Dank für Deine klaren Worte! Du sprichst mir aus der Seele.

Und liebe Zahlenfolge:

Ich möchte Dir einen Vorschlag machen: wenn Du in nächster Zeit die Gelegenheit hast, dann geh in einer sternklaren Nacht hinaus, irgendwohin, wo die Lichter der Großstädte nicht hinreichen... und blicke in den Himmel. Nimm Dir Zeit dafür, und geh Deinen Empfindungen nach. Was ist für Dich der Himmel, was sind, angesichts dieses Himmels mit seinen unzähligen, fernen Sternen, wir?
Vielleicht hast Du Glück und siehst eine Sternschnuppe... wenn nicht, dann stell Dir vor, wie das wäre: was würdest Du empfinden, wenn in einem solchen Augenblick "ein Stern fiele", uns plötzlich näher käme, aus dieser unendlich groß scheinenden Ferne... ?

Dann lies noch einmal das Gedicht, und vergleiche es mit Deinen eigenen Empfindungen. Wo kannst Du Dich darin wiederfinden? Wo spricht es von ganz anderem, als Du selber erlebt hast?

Du hast recht, in den ersten beiden Zeilen wird der "Himmel" geschildert. Allerdings nicht im astronomischen Sinne; sondern es werden "Himmelsqualitäten" genannt, die einen Gegensatz bilden zu dem Gegenstand der nächsten beiden Zeilen: "wir".

Ich würde davor warnen, Rilkes Worte "symbolisch" zu verstehen, im Sinne von "er beschreibt den Himmel, damit meint er Gott". Das führt meiner Erfahrung nach nicht zum besseren Verständnis, sondern allenfalls zu aus dem Wortlaut nicht begründbaren "Thesen" wie Deine beiden ersten Versuche mit dem "Dilemma" und der "Mutterbeziehungskiste".
Ich gehe davon aus, daß Rilke, wenn er "Gott" oder "Mutter" gemeint hätte, auch "Gott" oder "Mutter" geschrieben hätte.

Im übrigen schließe ich mich Reinhard an, der Dir vier Begriffe nennt und Dir vorschlägt, mit Deinen Verständnisversuchen bei ihnen zu beginnen.

Und ich finde es, wie Du, sehr interessant, daß dieses Gedicht mit vier Fragen schließt.
Allerdings glaube ich nicht, daß es die Aufgabe einer Interpretation oder Hausarbeit sein kann, diese offenen Fragen nun etwa zu beantworten.
Ich halte mich da an das, was Rilke dem "jungen Dichter" Franz Xaver Kappus geschrieben hat:

"Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein."

Herzlichen Gruß!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

Hallo!

Danke für deine Gedankenanstösse!

Aus dieser Perspektive habe ich es noch gar nicht betrachtet, danke für den Hinweis!
Ich habe leider extrem viel zu tun, aber vielleicht finde ich mal Zeit.
Dann lies noch einmal das Gedicht, und vergleiche es mit Deinen eigenen Empfindungen. Wo kannst Du Dich darin wiederfinden? Wo spricht es von ganz anderem, als Du selber erlebt hast?
Ich denke, am Anfang wird Achtung, Staunen, Ehrerbietung ausgedrückt.
herrliche Verhaltung: etwas ist so gross, überwältigend, dass die einzige Reaktion darauf ein ehrfürchtiges Staunen sein kann, oder der Himmel ist voll von einem ehrfürchtigen Schweigen
Vorrat Raum: es hat genug, im überfluss, der Himmel erscheint wie ein Aufbewahrungsraum für die Sterne
Übermass von Welt: hmm . . . also mit Welt ist sicher nicht die Erde gemeint, oder? vielleicht, dass der Sternenhimmel so viel grösser ist als die Erde, als das, was man kennt, halte ein Übermass, über das bekannte hinaus, viel mehr . . . vielleicht auch eine perfekte Welt.
Der Himmel wird sehr gefühlvoll beschrieben, also Rilke beschreibt hier, was er empfindet, wenn er den Himmel betrachtet.
Danach in Vers 3 und 4 kommt ein Gefühl der winzigkeit auf. War sind wir, wir Menschen, im Vergleich zum Himmel? Wir sind winzig klein.
Vielleicht meinen diese Verse auch das Planetensystem, also auf die Sonne bezogen: Die Erde ist genau im richtigen Abstand zur Sonne, genug weit weg, ung genug nahe um in der Umlaufbahn zu bleiben.
Oder, dass wir zu weit weg sind, um 'Kontakt' mit den Sternen aufzunehmen, also den Himmel zu erforschen, und zu nahe, als dass wir uns bei der Betrachtung einer Sternenhimmels abwenden können.
Angestaltung: ein Wort, welches ich noch nie gehört habe, eines das Meines Wissens auch nicht im Duden steht. Es kommt vielleicht von gestalten, etwas eine Form geben, an weist auf die Richtung, an etwas heran, vielleicht ist aber auch etwas wie andocken, etwas so gestalten wie etwas anderes, etwas gleich machen wie der Himmel; also die vorher beschriebenen Eigenschaften auf etwas zu übertragen. Es könnte bedeuten, dass wir zu weit weg sind, um so perfekt zu werde, aber trotzdem zu nahe, um einfach alles seinem Lauf zu überlassen.

Ich denke, dass im 2. Teil der Stern überraschend kommt, doch was ich nicht verstehe ist, dass doch eine Sternschnuppe etwas schönes ist, aber im Gedicht wird beschrieben, dass bestürzt Aufgeblickt wird.
Oder könnte es bedeuten, dass durch die Sternschnuppe der Betrachter wieder 'auf den Boden kommt', die Realität wieder bewusst wird, er darum auch bestürzt hochschaut, sich wieder bewusst ist, dass er so klein und unbedeutend (also so im Sinne von dass er nichts erreichen, verändern kann) und darum auch diese dringenden Fragen gestellt werden?

Ich würde davor warnen, Rilkes Worte "symbolisch" zu verstehen
Ich werde mir mühe geben!
Allerdings glaube ich nicht, daß es die Aufgabe einer Interpretation oder Hausarbeit sein kann, diese offenen Fragen nun etwa zu beantworten.
Das habe ich auch nicht vor. Danke für das Zitat!

Grüsse
stilz
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von stilz »

Hallo 1-5,

hier noch drei Aspekte meiner persönlichen Sichtweise (die keinen Anspruch auf "Richtigkeit" oder "einzig Gültigsein" erhebt):

ad "voll herrlicher Verhaltung":

Vielleicht ist es interessant, wie Rilke das Wort "verhalten" in anderen Zusammenhängen verwendet. Ich denke an die Duineser Elegien. In der zweiten ist von den "Liebenden" die Rede, da heißt es:
  • ... Ich weiß,
    ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,
    weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
    zudeckt; weil ihr darunter das reine
    Dauern verspürt.

Und die dritte Elegie schließt mit der Aufforderung an das "Mädchen":
  • Verhalt ihn......

ad "zu ferne für die Angestaltung":

Du hast wohl recht, dieses Wort wird im "Duden" nicht zu finden sein.
Für mich drückt es Ähnliches aus, wie Du es ja auch beschrieben hast: etwas von dieser "herrlichen Verhaltung", dem "Vorrat Raum", dem "Übermaß von Welt", das man empfindet, wenn man den Blick auf den nächtlichen Himmel richtet, sich selbst "anzugliedern"... aber das ist nicht so einfach, dazu ist der Himmel eben zu fern. Und gleichzeitig auch zu nah, als daß wir aufhören können, die Sehnsucht danach zu empfinden...


ad Sternschnuppe:

Ich verstehe das so: eben haben wir noch gedacht, die Sterne seien viel zu fern, als daß wir einen Wunsch an sie richten könnten - und im nächsten Augenblick fällt einer dieser fernen Sterne herunter, kommt in rasendem Tempo auf uns zu... jetzt könnten wir vielleicht tatsächlich Kontakt aufnehmen zu diesem "Himmelsboten" - aber wenn wir es nicht schnell tun, dann ist der Augenblick vorbei (ich denke an Kairos, den griechischen Gott des rechten Zeitpunktes: wenn man es versäumt, ihn rechtzeitig an der Locke zu fassen, die ihm in die Stirn fällt, kriegt man ihn überhaupt nicht mehr zu fassen; denn von hinten ist er kahl... daher kommt wohl auch unser Ausdruck "die Gelegenheit beim Schopf packen").
Und wir stellen bestürzt fest: wir sind nicht vorbereitet darauf. Wir wissen so schnell gar nicht, was wir uns eigentlich wünschen sollen...

So erklärt sich für mich das "dringend angeschlossen": nicht weil der Wunsch, den wir vielleicht hätten, an sich so "dringend" wäre. Sondern weil es halt nicht oft die Gelegenheit gibt, ihn auszusprechen...

Viel Erfolg, und herzlichen Gruß!

stilz
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

Hallo!
Vielen Dank für deine Gedanken! Besonders das mit der Sternschnuppe hat mich noch angesprochen, dass der Moment so schnell wieder vorbei ist und wir nicht darauf vorbereitet.

Ich hab einfach noch etwas Mühe damit, meine Gedanke zu klaren Thesen zu formulieren.

Was meint ihr dazu?

- Das Gedicht beschreibt, dass man zu weit vom Himmel entfernt ist, um das, was man beim betrachten des Himmels fühlt, auf sich selbst? oder das Leben, zu übertragen, aber auch zu Nahe, und sich einfach abzuwenden.

- Mit dem fallenden Stern kommt ein Stück der Himmels näher, doch es passiert so überraschend, dass gar keine Zeit bleibt, sich etwas zu wünschen.

Ich bin mir einfach nicht so sicher, ob das genug klar ist, oder genug tief . . . was denkt ihr? Kann man vielleicht noch irgend etwas allgemeineres aus dem Gedicht herauslesen?

Liebe Grüsse
joni
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von joni »

Hallo insgesamt 15,
jetzt muss ich ja auch mal wieder, wo ich schon so groß getönt habe, von wegen Überschwemmung und so. Also noch ein (das zweite) Bier geöffnet, ich friere, weil ich das Büro wegen Zigarettenrauch lüften muss - drum diese etwas zittrigen Gedanken.
1-5: Danke, dass du uns teilnehmen lässt an deinen Überlegungen! Das mit der Sternenschnuppe (sind mir gar nicht schnuppe), die uns das All näher bringt - das gefällt mir. (Und Stilz Hinweis auf den Himmelsboten - ganz schön - auch die Sache mit dem Schopf!). Und wenn mir diese Größe so näher kommt und der Einzelne in seinem Wunsch sich verbunden fühlt mit dem Raum, dem endlos großen und doch für das Individuum so relevanten, dann kommt vielleicht die Frage auf: Bin ich nicht selber auch ein verglühender Stern, der sich fragen muss, ob er sein Leben sinnvoll verbringt? Was ist an Projekten noch zu Ende zu bringen, bevor ich verglühe, was ist an Schuld und Verzeihen noch zu leisten, bevor ich "im leeren Raum um Welt und ich" (nach Benn: "Ein Wort") verschwinde?
Das lyrische Ich stellt keinen Wunsch (Bitte noch mal mit mindestens fünf nee sechs Richtige im Lotto gewinnen!) kleiner Art, sondern ein Wunsch viel größerer Art: "Was ist noch zu tun, damit ich mit mir ins Reine komme?". Und wenn die richtig gestellte Frage der Wunsch ist?
Nein, der Text sagt: "dringend angeschlossen". Nach dem Wunsch (der uns unbekannt bleibt) erst die Frage. Aber trotzdem:
Mir geht es manchmal so, dass ich nur die richtige Frage stellen muss, damit ich die Antwort und die Lösung finden kann. Und mit der richtigen Frage an meine Existenz, komme ich mit der Aufgabe, die mir das Universum stellt (wenn man das überhaupt so sehen mag), schon deutlich näher. Manchmal stürzen solche Fragen auf einen ein, in Lebenskrisen etwa, aber manchmal eben auch so, einfach so, im Anblick des Himmels, des Meeres, einer Berglandschaft - oder in der S-Bahn.
Fragen stellen ist ja ohnehin in heutiger Zeit nicht mehr sehr populär - man tauscht Geschichtchen aus, aber wer fragt schon nach? Fragt intensiv nach, was das alles ist, was das alles soll?
"Du musst dein Leben ändern" (Rilke) - aber was muss getan werden, wenn man noch nicht mal weiß, was man sich fragen soll?
Neben den großen Fragen, die kleinen:
"verhalten" - das ist ein tolles Wort. Als Substantivierung des Verbs ist "Verhaltung" für mich diese schöne Zurückhaltung, die dezent, unaufdringlich, aber doch Verhalten darstellt; nicht passiv, nicht teilnahmslos, sondern entschieden, nicht offensiv, auch nicht linkisch.
"Angestaltung" - nicht so toll, ein wenig künstlich. Chimärisch (um wieder aus dem Benn zu nehmen), aber doch im Prozess befindliche Gestaltung, angedenk des Raums, angeeignet, angedacht. Aber bei Rilke zunichte gemacht: Zu fern, geht nicht. Was wir bewegen, bewegt nicht das All und die Allmacht.
Besten Gruß
Der Joni Reinhard

Wie kommt es, dass ich glaube, dass Du eine weibliche Zahlenfolge bist?
12345
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

Hallo, vielen Dank für deine interessanten Gedanken!
Wie kommt es, dass ich glaube, dass Du eine weibliche Zahlenfolge bist?
Das weis ich auch nicht, aber recht hast du ;)

Ich habe einfach immer noch etwas mühe mit einer These formulieren. Vor allem, weil ich sie ja begründen soll. Denn es ist nicht für einen Text, sondern für eine mündliche Prüfung.
Ich hoffe also noch auf ein paar anstösse, bitte möglichst schnell, den übermorgen muss ich die These abgeben . . .

Grüsse
Henry Lou

Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von Henry Lou »

Respekt, Wechselsumme 3!
Du hast Dich ja energisch am „Nachthimmel“ festgebissen. Die entscheidenden Anstösse gibt Rilke selbst. Dazu später mehr.
Das geistige Umfeld ist Rilkes Spätwerk. Einigermaßen vermessen, daß Prüfer nach solchen Sternen greifen –, ein seltsamer Wunsch, bei diesem hier mal eben ganz klar zu sagen, zu welchem Sternbild er gehört, isoliert wie er ist.
Gestaltet sich für mich als in etwa so unerfüllbar, wie das lyrische Wir im Gedicht „zu ferne für die Angestaltung“ ist, was ich so deuten würde, dass irdische Lebewesen himmlischen Gestalten zu wesensfern sind, um sie „begreifen“ zu können.
Man kann sie ohne entsprechende Kenntnisse nur erahnen, hat nur so ein Gefühl ihnen irgendwie auch verbunden zu sein.
Deshalb leuchtet mir ein, wenn Du schreibst:
„Ich hab einfach noch etwas Mühe damit, meine Gedanke zu klaren Thesen zu formulieren.“
Hätte ich auch. Und ein ganz schlechtes Gefühl noch dazu. Rilkes Lyrik ist (salopp gesagt) kein dialektisches Spielzeug. (Und wer’s verschuldet, dem sei’s noch nicht verziehen ;). Du kannst also alles behaupten. Wer sollte Deine Begründung widerlegen? - Rilke ist tot. (Sollte Dir aber jemand die gültige Wahrheit zu acht isolierten Versen sagen, lass es bitte auch mich wissen.)
Meine These: Thesen funktionieren hier nicht.

Und bevor es Prothesen werden, laß Rilke sprechen, dann bist Du auf der sicheren Seite.
Als Argumentationshilfe oder was auch immer, hier also Denkanstösse aus der Feder des Urhebers - Rilkes Reflexionen über seine Erfahrungen mit Séancen, übersinnlichen Erscheinungen und dem Rätselhaften in einem Brief an Nora Purtscher-Wydenbruck, Nichte der Fürstin Taxis, am 11. August 1924 - einem der Entstehungstage von „Nachthimmel und Sternenfall“:

„Warum sollten sie nicht, wie alles noch Unerkannte oder überhaupt Unerkennbare, ein Gegenstand unserer Bemühung, unseres Staunens, unserer Erschütterung und Ehrfurcht sein?
(...)
So ausgedehnt das „Außen“ ist, es verträgt mit allen seinen siderischen Distanzen kaum einen Vergleich mit den Dimensionen,
mit der T i e f e n d i m e n s i o n unseres I n n e r e n, das nicht einmal die Geräumigkeit des Weltalls nötig hat, um in sich fast unabsehlich zu sein.
(...)
Wer, innerhalb der dichterischen Arbeit, in die unerhörten Wunder unserer Tiefen eingeweiht, oder doch von ihnen, wie ein blindes Werkzeug, irgendwie gebraucht wird, der musste dazu gelangen, sich im Erstaunen eine der wesentlichsten Anwendungen seines Gemüts zu entwickeln. Und da muß ich gestehen, mein größtes, mein leidenschaftlichstes Staunen ist bei meiner Leistung, ist bei gewissen Bewegungen in der Natur, m e h r noch als etwa bei den medialen Begebnissen, so ergreifend sie mir ab und zu geworden sind.
(...)
nichts wäre mir fremder, als eine Welt, in der solche Mächte und Eingriffe die Oberhand hätten. Und seltsam: je mehr ich so handle (nach der nächtlichen Sitzung z.B. bemüht, den Anblick der gestirnten Nacht sofort für ebenso großartig und gültig zu halten...), desto mehr glaube ich mich mit dem Wesentlichen jener Ereignisse im Einverständnis.“

Entscheidend ist also, wie dieses Spannungsfeld aufgebaut wird (auch im Gedicht): Einem äußeren Geschehen setzt sich augenblicklich ein inneres entgegen,. Kein Dilemma, sondern Rilkes Welt-Ordnung, die ihn nicht aus der Bahn werfen kann.
Wie er über seine Arbeit spricht, fühlt er sich in diesem ganzen Weltraum nicht klein, im Gegenteil. Sein innerer Kosmos ist genau so unergründlich weiter „Vorrat Raum“ wie das All. Mit gegensätzlichen Kräften, die trotzdem „Einverständnis“ sein können.

Abschließend - nur als Anregung – meine Empfehlung, die ‚Bestürzung’ und andere Worte kritisch, das heißt im mehrfachen Wortsinn zu betrachten, dazu das Ende, die letzte Strophe der Duineser Elegien (1922, gleiche Schaffensperiode):

Und wir, die an s t e i g e n d e s Glück
denken, empfänden die Rührung,
die uns beinah bestürzt,
wenn ein Glückliches f ä l l t.

Ja, welch ein Glücksfall, wenn ein herab stürzender Glücksstern mit meinem Heraufblicken zusammen fällt – müßte doch wunschlos glücklich machen, in diesem Augenblick da zu sein und sowas als positives Bestürztsein zu erleben... „Wesentlich“ ist doch vorallem der ‚Kick’.
Dieser ‚Stern des Anstoßes’ will keinen Wunsch erfüllen. Zwecklos, ihn zu mehr zu verdonnern, als dazu, uns anzuhalten zu fragen... was zu wünschen übrig bleibt.

Isoliert betrachtet von

Henry Lou
12345
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von 12345 »

hey, danke für deine Ausführugnen!
Sie sind sehr interessant. Die Zitate von Rilke sowie auch deine Ausführungen zur bestürzung.

Dieser ‚Stern des Anstoßes’ will keinen Wunsch erfüllen. Zwecklos, ihn zu mehr zu verdonnern, als dazu, uns anzuhalten zu fragen... was zu wünschen übrig bleibt.
Also ist der Zweck der Sternschnuppe, den Betrachter dazu anzuregen, sich zu fragen, was wirklich wichtig ist.

Die Natur will einem zum Nachdenken über das Leben anregen.

Grüsse
Henry Lou

Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von Henry Lou »

Jein,

der Stern ‚fällt seine Bahn’, zieht sein Ding durch, egal, was wir ihm anhängen wollen.
Auch die Natur in ihrem Kreislauf. Also weder Sternschnuppe noch Natur wollen etwas... und schon gar nicht von uns.
Dreh’s einfach um – nicht ‚Zweck der Natur etc. ist es für uns...’, sondern: Wir werden durch die Erfahrung mit ihnen, diese augenfälligen Ereignisse, auf uns zurück geworfen.
Es passiert einfach. Wie ein Stern fällt, den Betrachter bewegt und sich dann was verändert hat. Es ist kraftvoll und geheimnisvoll.
Das macht sich mir auch im Metrum bemerkbar. Wenn Du noch nicht laut gelesen hast, dann mach’s mal. Was passiert da z.B. in den beiden letzten Versen?

Noch ein letzter Anstoß aus dem oben bereits erwähnten Brief :

„Im Übrigen gehört es zu den ursprünglichen Neigungen meiner Anlage, das Geheime als s o l c h e s aufzunehmen, nicht als ein zu Entlarvendes, sondern als das Geheimnis, das so bis in sein Innerstes, und überall, geheim ist, wie ein Stück Zucker an jeder Stelle Zucker ist. Möglicherweise, so aufgefasst, löst es sich unter Umständen in unserm Dasein oder in unserer Liebe, während wir sonst nur eine mechanische Zerkleinerung des Geheimsten erreichen, ohne dass es eigentlich in uns überginge.“

Schützt auch vor Überinterpretation.

Henry Lou
sedna
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von sedna »

„Zu den Einsamen kommt manchmal etwas, was wundersam wohltut. Es ist kein Klang, kein Glanz und auch keine Stimme. Es ist das Lächeln von vergangenen Frauen, welches, wie das Licht verstorbener Sterne, immer noch unterwegs ist.“

(Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit, 13. September 1900)
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
sedna
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von sedna »

Henry Lou hat geschrieben:am 11. August 1924 - einem der Entstehungstage von „Nachthimmel und Sternenfall“
Zufällig dieselbe Zeit? Wie jedes Jahr um diese Zeit seit 1610 durchwandert die Erde die Spur des Kometen Swift-Tuttle, wobei sich der Meteorschauer - die Perseiden - um den 11. und 12. August am intensivsten – mit bis zu 200 Sternschnüppchen die Stunde – am Nachthimmel entfaltet.

Romantiker können ja mal aus dem Fenster schauen, bei gutem Wetter sieht man jetzt ab 23 Uhr das, was Rilke damals wohl auch gesehen haben könnte ...

sedna
Zuletzt geändert von sedna am 14. Dez 2010, 17:10, insgesamt 1-mal geändert.
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
sedna
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Re: Nachthimmel und Sternenfall - kann mir jemand Helfen?

Beitrag von sedna »

Hier noch ein kleiner Beitrag aus der Reihe "Kosmologie für Poeten"

Regina Ullmann an Rilke, am 30. November 1925:
"... an Deinem Geburtstagsfest findet mein erster Vortrag in der Heimath statt wunderbar. Ich bin in Deinem Weltraum und grüße Dich wie der Komet den Stern."

"Hab Dank, lieber Komet, daß Du mich Deine Kurve gewahren ließest: sie zieht licht und kräftig durch die Leere meiner Dunkelheit.
Was den „Vierten“ angeht, ach, Regina, überspring ihn mit beiden Füßen"
(Rilke an Regina Ullmann, am 1. Dezember 1925)

Ich bin nicht Regina, darf also mit beiden Füßen auf dem Teppich bleiben und trink jetzt mal ein Schlückchen auf Rilkes 135. "Vierten".

sedna :)
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
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