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Zu den Texten, die Viktor Ullmann vertont hat, gehört auch Rainer Maria Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“:
- Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Reiten, reiten, reiten.
Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. ...
Rilkes "Cornet" ist 1899 entstanden.
Am 2. Dezember 1914 schreibt Rilke für "Herrn von Mosch, in Erinnerung an unsere schöne Begegnung in Frankfurt" die folgende Widmung in ein Exemplar des "Cornet":
- Noch weiß ich sie, die wunderliche Nacht,
da ich dies schrieb; was war ich jung.
Nun hat seither des Schicksals Forderung
Geschehen über Tausende gebracht,
Mut über Tausende, Not über sie,
und über Hunderte das Heldentum,
das plötzliche: als hätten sie noch nie
ihr Herz gekannt. So war auch meines ganz
wie neu für mich in jener fernen Nacht
da ungeahnt, unausgedacht,
dieses Gedicht aus ihm entsprang...
So sind wir etwas, sinds und wissens nicht
und Schicksal ist nicht mehr als wir: es will.
Dann wollen wir und wollen streng und still - :
unendlich aber aus dem Herzen bricht
mehr als wir wollen, mehr als Schicksal kann.
Der „Cornet“ war übrigens die letzte Komposition Viktor Ullmanns. Er vollendete sie in Theresienstadt, zwei Wochen vor seiner Deportation und Ermordung in der Gaskammer von Ausschwitz.
In seinem Aufsatz "Goethe und Ghetto" heißt es:
---Viktor Ullmann hat geschrieben:So schien mir Goethes Maxime: „Lebe im Augenblick, lebe in der Ewigkeit“ immer den rätselhaften Sinn der Kunst ganz zu enthüllen. Malerei entreißt, wie im Stilleben das ephemere, vergängliche Ding oder die rasch welkende Blume, so auch Landschaft, Menschenantlitz und Gestalt oder den bedeutenden geschichtlichen Augenblick der Vergänglichkeit; Musik vollzieht dasselbe für alles Seelische, für die Gefühle und Leidenschaften des Menschen, für die „libido“ im weitesten Sinne, für Eros und Thanatos; von hier aus wird die „Form“, wie sie Goethe und Schiller verstehen, zur Überwinderin des „Stoffes“.
Theresienstadt war und ist für mich Schule der Form. Früher, wo man Wucht und Last des stofflichen Lebens nicht fühlte, weil der Komfort, diese Magie der Zivilisation, sie verdrängte, war es leicht, die schöne Form zu schaffen. Hier, wo man auch im täglichen Leben den Stoff durch die Form zu überwinden hat, wo alles Musische in vollem Gegensatz zur Umwelt steht: Hier ist die wahre Meisterschule, wenn man mit Schiller das Geheimnis des Kunstwerks darin sieht: den Stoff durch die Form zu vertilgen – was ja vermutlich die Mission des Menschen überhaupt ist, nicht nur des aesthetischen, sondern auch des ethischen Menschen.
„So sind wir etwas, sinds und wissens nicht
und Schicksal ist nicht mehr als wir: es will.“
schreibt Rilke 1914.
Einige Jahre zuvor, im Februar 1907 - der erste Weltkrieg ist noch fern, Rilke verbringt einige Monate im „Rosenhäusl“ auf Capri -, da klingt es noch etwas anders:
- Ein Frühlingswind
Mit diesem Wind kommt Schicksal; laß, o laß
es kommen, all das Drängende und Blinde,
vor dem wir glühen werden -: alles das.
(Sei still und rühr dich nicht, daß es uns finde.)
O unser Schicksal kommt mit diesem Winde.
Von irgendwo bringt dieser neue Wind,
schwankend vom Tragen namenloser Dinge,
über das Meer her was wir sind.
.... Wären wirs doch. So wären wir zuhaus.
(Die Himmel stiegen in uns auf und nieder.)
Aber mit diesem Wind geht immer wieder
das Schicksal riesig über uns hinaus.
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Ein anderer Dichter, dessen Texte Viktor Ullmann in Theresienstadt vertont hat, ist Friedrich Hölderlin.
Diese Lieder standen am Schluß unseres Konzertes.
Und ich las den Beginn des Gedichtes „Patmos“ – denn da klingt etwas ähnliches an wie in der Widmung Rilkes für Herrn von Mosch: Das Schicksal klopft fragend an unsere Tür, und das, worauf es schließlich angekommen sein wird, das ist nicht diese Frage, sondern unsere Antwort.
- Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brüken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittige gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.
Ich schloß damals meine Ausführungen zu Ullmann, Rilke und Hölderlin mit dem im September 1914 entstanden Gedicht "An Hölderlin", das Rilke mit den folgenden Zeilen beschließt:
- Was, da ein solcher, Ewiger, war, mißtraun wir
immer dem Irdischen noch? Statt am Vorläufigen ernst
die Gefühle zu lernen für welche
Neigung, künftig im Raum?
Nun aber führen mich die „leichtgebaueten Brüken“ Hölderlins unmittelbar zu einem weiteren Gedicht Rilkes, das Renée vor kurzem hier hereingestellt hat (vielen herzlichen Dank!). Es entstand im Februar 1924 in Muzot:
- Da dich das geflügelte Entzücken
über manchen frühen Abgrund trug,
baue jetzt der unerhörten Brücken
kühn berechenbaren Bug.
Wunder ist nicht nur im unerklärten
Überstehen der Gefahr;
erst in einer klaren reingewährten
Leistung wird das Wunder wunderbar.
Mitzuwirken ist nicht Überhebung
an dem unbeschreiblichen Bezug,
immer inniger wird die Verwebung,
nur Getragensein ist nicht genug.
Deine ausgespannten Kräfte spanne.
bis sie reichen, zwischen zwein
Widersprüchen ... Denn im Manne
will der Gott beraten sein.
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Herzlichen Gruß!
Ingrid