Ja, Rosie, solche Verse von Kindergemüt sind gedruckt. In dem äußerst wohlfeilen in ferrarirotem Leinen gebundenen Insel-Band von 2006 ISBN 3-458.17333-1 findest du sie auf den ersten sieben Seiten, vier als Gratulationsgelegenheits-Gedichte an die Eltern gerichtete Gedichte („
Für eueren Trauungstag“ 1884, An die Mutter (zu ihrem Geburtstage) 1889 und 1890, An den Vater („
Teuerster Papa!“) zum Geburtstag 1891, ein jugendlich-protest-antisches „Glaubensbekenntnis“ 1893, endend mit:
- «Die Lehre, die ich übe,
die Lehre heißt die Liebe,
sie ist mir Religion.»
und Ende 1893 ein jugendhaft-christentumskritisches „Christus am Kreuz“. Und dann ein an Valérie von David-Rhonfeld gerichtetes Gedicht 1894, hier als Kostprobe:
- Du warst nie so, wie jene andern waren –
erwäge, ob es Lob – ob’s Tadel sei.
Von Vorurteil und niederm Denken frei,
war niemals noch dein Weg der Weg der Scharen.
Du bist so stark. Du scheutest nicht Gefahren
und konntest stolz auch in des Lebens Strom
das heilge weiheduftige Arom
des edlen reinen Herzens dir bewahren.
Dein süßer Kuss, der Duft, der deinen Haaren
entströmt, betäubt mich und berauscht mich schier;
doch erst dein dunkles Auge konnte mir
das Rätsel deines Wesens offenbaren.
___In schweren Stunden hab ich es erfahren
und unauslöschlich hab ichs eingeprägt
in dieses Herz – das dir für ewig schlägt:
Du warst nie so wie jene andern waren.
In dem im Jahre 2003 von Renate Scharffenberg bei Insel herausgegebenen Buch: „Sieh dir die Liebenden an: Briefe an Valérie von David-Rhonfeld“ (ISBN 3-4581.7168-1) findest du etwa 77 weitere frühe Gedichte aus diesem Briefwechsel; das Buch wurde
im „Marburger Forum“ von Ralph Freedman hervorragend rezensiert.
Klappentext: „
…wird jetzt Rilkes frühester Briefwechsel, mit zahlreichen Gedichten, erstmals veröffentlicht. Seine frühe Liebesaffäre mit der um ein Jahr älteren Nichte des tschechischen Dichters Julius Zeyer, Valérie von David-Rhonfeld, ist bekannt. Rilke begegnete ihr, als er sich auf das Abitur vorbereitete und zugleich kontinuierlicher als bis dahin Erzählungen und Gedichte zu schreiben begann. Viele der in Leben und Lieder veröffentlichten Gedichte sind aus der Begegnung mit Valérie hervorgegangen. Rilke machte großartige Entwürfe für ein späteres gemeinsames Leben, doch nach bestandenem Abitur und mit Beginn des Studiums trennt er sich von Valérie. Sie hat Rilke um Jahre überlebt und ist keine neue Bindung eingegangen. Die Originale von Rilkes Briefen an Valérie liegen in Krakau, das Corpus umfaßt 122 Briefe, sie sind bis auf einen (und auch dieser nicht vollständig) noch nie publiziert worden.“
Auf die Problematik von Frühwerken ist ja – auch hier im Rilke-Forum – schon vielfach aufmerksam gemacht worden. Sehr lesenswert hierzu ist ein Text von Arne Grafe, eine Rezension im
„Marburger Forum“, 2005.
Und auch Rilkes eigene Distanznahme seinem Frühestwerk gegenüber, verstreut im Rilke-Briefœuvre, ist ein Lese-Genuss ersten Ranges.
Gruß,
lilaloufan