Gestalt

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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helle
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Gestalt

Beitrag von helle »

Ich möchte eine Frage wiederholen, die vor Jahren ohne Antwort blieb. Aus welchem Text stammt das Wort: "Die Gestalt hat sich entzogen, ohne irgendeinen Kreis zu durchbrechen, aufsteigend, wie irgendein zu Leichtgewordenes, das unter uns Schweren nicht mehr bleiben kann."

Man findet über googeleien inzwischen eine Referenz auf das Werk »Die Menschen sind erwacht, du hast sie aufgerichtet: Körperstruktur und Menschenbild in der Kunst des alten Ägypten und heute« von Hans Georg Brecklinghaus, Freiburg 1997, der aber im Nachweis keinen Titel nennt, sondern nur auf eine Rilke-Ausgabe von 1966 verweist, evtl. Werke in drei Bänden. Frankfurt/M. 1966, die genauere Angabe hatte ich einmal, nun blöder Weise nicht mehr; aber vielleicht weiß es inzwischen ein Forumsteilnehmer?

Dank u. Gruß,
h.
Harald
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Re: Gestalt

Beitrag von Harald »

Wenn Google Books schweigt, kannst du fast sicher sein, dass es ein übersetzter, aber nicht publizierter französischer Brief von Rilke ist.
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lilaloufan
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Re: Gestalt

Beitrag von lilaloufan »

Das müsste aber ein wirklich kongenialer Übersetzer geleistet haben, so unvergleichlich rilkeësk klingen die deutschen Worte. Ich hab’s gerade mal auf Französisch in die Websuche geben wollen, aber schon bei Begriffen wie „Zu Leichtgewordenes“ sperrt es sich meinen (allerdings en cours de route erworbenen) Kenntnissen.

Immerhin: Es stehe, sagt metager auf ein paar Umwegen, auf Seite 117 des 1939 bei Insel in Leipzig erschienenen, von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber herausgegebenen Bandes: «Briefe aus den Jahren 1904 bis 1907» (471 Seiten), und den hol’ ich mir endlich wohlfeil bei booklooker, wenn Ihr in mir nicht wegschnappt :wink:.

Weiter hilft die Rilke-Konkordanz. Deren Seite 59 zufolge handelt es sich wohl um den aus Capri, Villa Discopoli, am 25.02.1907 an Clara Rilke geschriebenen Brief. Und der finde sich ebenfalls in der dreibändigen Altheimschen Insel-Ausgabe von 1966², und zwar dort auf Seite 61.

Und noch ein bisschen weiter gesurft, und in einer Fußnote erweist sich, die "rührende Gestalt", die sich da (nämlich aus ihren Briefen) erhebt, sei die Marianna Alcoforado, die „Portugiesische Nonne“.

Wenn's denn stimmt: Heiliges Internet, was machst Du möglich!

:D Sherlock lilaloufan
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lilaloufan
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Re: Gestalt

Beitrag von lilaloufan »

Also, das Buch ist da.

Seite 117 stimmt, aber es ist der Brief an Gräfin Lili Kanitz-Menar, geschrieben am 5. Februar 1906 aus Meudon-Val-Fleury, Villa des Brillants (Seine-et-Oise). Und nein, um die Alcoforado geht's nicht. Aber auch nicht um „eine Fehlgeburt oder jemand, der an Altersschwäche und damit verbundener Magerkeit stirbt:wink: :wink: :wink:.

«Wie war alles, was ich plante, von ferne und vorsichtig um diese Gestalt gestellt, die sich entzogen hat, ohne …» sind die Original-Worte.

Gruß,
l.
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Re: Gestalt

Beitrag von helle »

Toll! Lang gesucht, 1000 Dank
sagt helle
Harald
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Re: Gestalt

Beitrag von Harald »

Das heißt doch wohl, dass Herr Brecklinghaus ein Pseudozitat in seinem Buch abgedruckt hat, oder verstehe ich da etwas falsch?
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lilaloufan
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Re: Gestalt

Beitrag von lilaloufan »

Er hätte die Anführungszeichen vor „ohne …“ setzen sollen, um zu verdeutlichen, dass das Originalzitat erst dort beginnt. Solcherart „freier“ Zitiergewohnheit ist die Welt der Poesiealben und Losungsbücher aber voll, da will ich im Einzelfall nicht pedantisch sein.

l.
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