gedicht: ein Prophet

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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cristina84
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gedicht: ein Prophet

Beitrag von cristina84 »

kann mir bitte jemand helfen, Rainer Maria Rilkes "ein Prophet" zu interpretieren?
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lilaloufan
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Re: gedicht: ein Prophet

Beitrag von lilaloufan »

Du hast die weißen Spielsteine.

Also fängst Du an, das ist d i e Chance!

l.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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lilaloufan
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Interpretation: ein Prophet

Beitrag von lilaloufan »

  • Ausgedehnt von riesigen Gesichten,
    hell vom Feuerschein aus dem Verlauf
    der Gerichte, die ihn nie vernichten, -
    sind die Augen, schauend unter dichten
    Brauen. Und in seinem Innern richten
    sich schon wieder Worte auf,

    nicht die seinen (denn was wären seine
    und wie schonend waren sie vertan)
    andre, harte: Eisenstücke, Steine,
    die er schmelzen muss wie ein Vulkan,

    um sie in dem Ausbruch seines Mundes
    auszuwerfen, welcher flucht und flucht;
    während seine Stirne, wie des Hundes
    Stirne, das zu tragen sucht,

    was der Herr von seiner Stirne nimmt:
    Dieser, Dieser, den sie alle fänden,
    folgten sie den großen Zeigehänden,
    die Ihn weisen wie Er ist: ergrimmt.

    Einmal war ich weich wie früher Weizen,
    doch, du Rasender, du hast vermocht,
    mir das hingehaltne Herz zu reizen,
    daß es jetzt wie eines Löwen kocht.

    Welchen Mund hast du mir zugemutet,
    damals, da ich fast ein Knabe war:
    eine Wunde wurde er: nun blutet
    aus ihm Unglücksjahr um Unglücksjahr.

    Täglich tönte ich von neuen Nöten,
    die du, Unersättlicher, ersannst,
    und sie konnten mir den Mund nicht töten;
    sieh du zu, wie du ihn stillen kannst,

    wenn, die wir zerstoßen und zerstören,
    erst verloren sind und fernverlaufen
    und vergangen sind in der Gefahr:
    denn dann will ich in den Trümmerhaufen
    endlich meine Stimme wiederhören,
    die von Anfang an ein Heulen war.
aus: Der neuen Gedichte anderer Teil


cristina84, wovon ist die Rede? - such' mal die Hauptsätze, reduziere sie auf Subjekte und Prädikate, dann lasse diese so herausgezogenenen Elemente unverändert und erzähle alles andere was da steht in Deinen eigenen Worten. Das wäre mal ein ERSTER Ansatz, über dessen Ergebnis wir uns verständigen können, wenn Du Deine Fragen entwickelst. Ohne die zu kennen, wird Dir hier niemand helfen (können|wollen). Inhaltlich kann es da gar kein "Falsch!" geben, sondern nur eine Diversität des Verstehens. In einem ZWEITEN Schritt käme dann Methodik zum Zuge, wie Du sie gelernt hast. Da hat jede DozentIn so ihre Vorlieben, und an die wirst Du Dich ein wenig adaptieren müssen. Aber wenn's gut geht, ist Methode der Gedicht-Erkundung - welche auch immer - sogar hilfreich, das zunächst rätselnde Verstehen des ersten Schrittes hinaufzuheben in ein Tiefgewisssein. Der erste Schritt ist ein Sinnliches: Du tastest das Gedicht nach Dir Bekanntem und nach Dir Unklarem ab. Der zweite ereignet sich mehr im Gemüt, da darf, da muss Dein Herz beteiligt sein, sonst zerstört Dir die methodische Analyse, was sie vor sich hat. In einem DRITTEN Schritt kann Dich das bewegen, was das Gedicht von Dir will und zugleich was Du mit dem Gedicht willst. Irgendeine «Verwandlung» wird das immer sein. Ob Du dieses Dritte der Welt/Deiner DozentIn/uns anvertraust oder nicht, das liegt ganz bei Dir.

Christoph
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lilaloufan
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Re: gedicht: ein Prophet

Beitrag von lilaloufan »

{Warum eigentlich gleichsam trotzig auf cristina84 warten, denke ich gerade. Vielleicht macht’s Dir sogar Mut uns übrigen hier weiterzuhelfen ;-).}

«So spricht der HErr Zebaoth: Gehorcht nicht den Worten der Propheten, so euch weissagen. Sie betrügen euch; denn sie predigen ihres Herzens Gesicht und nicht aus des HErrn Munde.

Sie sagen denen, die mich lästern: "Der HErr hat's gesagt, es wird euch wohl gehen"; und allen, die nach ihres Herzens Dünkel wandeln, sagen sie: "Es wird kein Unglück über euch kommen."

Aber wer ist im Rat des HErrn gestanden, der sein Wort gesehen und gehört habe? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?

Siehe, es wird ein Wetter des HErrn mit Grimm kommen und ein schreckliches Ungewitter den Gottlosen auf den Kopf fallen.

Und des HErrn Zorn wird nicht nachlassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr's wohl erfahren.

Ich sandte die Propheten nicht, doch liefen sie; ich redete nicht zu ihnen, doch weissagten sie.

Denn wo sie bei meinem Rat geblieben wären und hätten meine Worte meinem Volk gepredigt, so hätten sie dasselbe von seinem bösen Wesen und von seinem bösen Leben bekehrt.

Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HErr, und nicht auch ein Gott von ferneher?

Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HErr. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllt? spricht der HErr.

Ich höre es wohl, was die Propheten predigen und falsch weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.

Wann wollen doch die Propheten aufhören, die falsch weissagen und ihres Herzens Trügerei weissagen

und wollen, dass mein Volk meines Namens vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt? gleichwie ihre Väter meines Namens vergaßen über dem Baal.

Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der Predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HErr.

Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der HErr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?
»
  • (Jeremia 23, 16-29)
Also: Ich gehe mal dem Er (1., 2., 3., 4. Vers), dem Du (5., 6., 7. Vers), dem Ich (5. bis 7. und 8. Vers), dem Wir (8. Vers) nach.

Schon ergibt sich ein kleiner Fingerzeig.

Aber auch drei Verständnisfragen:

Der Temporalsatz, der von Ende 3. bis 1. Zeile 4. Vers geht, bis zum Doppelpunkt: Was ist es, was die Stirne zu tragen sucht? So „wie des Hundes Stirne:?:

Und: Der auf den Modalsatz „wie Du ihn stillen kannst“ folgende (temporale!) Adverbialsatz: „Wenn (erst) … … …, dann will ich …“ enthält in den ersten drei Zeilen des letzten Verses einen Relativsatz, der auf eine Auslassung bezogen ist. Ergänzt ihr ihn Euch mit:

«Wenn (erst) [wir], die wir …»

oder mit:

«Wenn (erst) [jene], die wir …» :?:

Und drittens: Sind 1-4 und 5-8 nicht z w e i Gedichte?

l.
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stilz
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Re: gedicht: ein Prophet

Beitrag von stilz »

Lieber Christoph,

wie schön, daß Du nun doch nicht „trotzig auf cristina84 warten“ willst! :D

Zuerst zu Deiner dritten Frage:
Ja, in meinem Band sind es auch wirklich zwei Gedichte, das erste heißt „EIN PROPHET“, das zweite „JEREMIA“. Wie kommst Du darauf, daß es ein einziges sein könnte?

Die Stelle
  • während seine Stirne, wie des Hundes
    Stirne, das zu tragen sucht,

    was der Herr von seiner Stirne nimmt:
lese ich so:
Ebenso wie ein Hund zu seinem Herrchen blickt „ein“ Prophet auf zu JHWH, seinem HErrn.
Ein Hund ist vom Wohlwollen „seines“ Menschen, von dessen Willkür, abhängig. Und so versucht seine Stirne (? vielleicht etwa: die "Gedanken", das "Innenleben" des Hundes?), alles zu „tragen“, was sein Herrchen von seiner (des Herrchens) Stirne nimmt und dem Hund auferlegt… (also vielleicht: alles, was hinter der Stirne dieses Herrchens gerade vorgeht, was ihm grad so einfällt an „Dressuraufgaben“ für seinen Hund?)...
Der Begriff "vorauseilender Gehorsam" fällt mir ein: niemand kann "ergrimmter" sein gegen andere als ein hündisch ergebener Diener, der glaubt, seinem Herrn damit einen Gefallen zu tun...

---

Im zweiten Gedicht, „Jeremia“, bin ich mir noch nicht wirklich klar darüber, wer denn nun mit „ich“, „du“ und „wir“ gemeint ist. Bist Du (bzw ist jemand von Euch, die Ihr mitlest) da schon zu einem Ergebnis gekommen?

Leider kenne ich mich im Alten Testament nicht besonders gut aus, man müßte wohl mindestens das Buch Jeremia lesen, vielleicht auch noch Saul und König David… denn die beiden Gedichte stehen inmitten von anderen „AT-Gedichten“: vorher „Klage um Jonathan“, „Tröstung des Elia“, „Saul unter den Propheten“, „Samuels Erscheinung vor Saul“, dann eben „Ein Prophet“ und „Jeremia“, und anschließend noch „Eine Sibylle“ (die Hexe von Endor) und „Absaloms Abfall“.

---

Die Stelle
  • wenn, die wir zerstoßen und zerstören,
    erst verloren sind und fernverlaufen
    und vergangen sind in der Gefahr:
ergänze ich mir spontan zu «Wenn (erst) [jene], die wir …» - aber solang ich mir nicht klar darüber bin, wer "wir" und wer "jene" sein könnten, hab ich dafür noch keine rechte Begründung...

Lieben Gruß

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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Re: gedicht: ein Prophet

Beitrag von lilaloufan »

Ja, so geht's: Meinen schönen roten Gedichte-Band habe ich gerade an eine Kollegin verliehen :!:

Also hab' ich bei rilke.de nachgesehen, et voilà: http://www.rilke.de/gedichte/ein_prophet.htm :roll:

Nun - danke für Deine Gedanken. Erst dachte ich, dann brauchen wir uns nur noch mit dem ersten der beiden Gedichte zu befassen. Aber die Wendungen des zweiten scheinen wohl nicht nur mir rätselhaft. Und vielleicht nimmt ja cristina84 bei ihrer Interpretation auch auf das zweite Gedicht Bezug :?:

Ich bleibe gespannt - neinnein, ganz ohne Trotz, glaubt's mir. :wink:

Christoph
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Re: Interpretation: ein Prophet

Beitrag von lilaloufan »

Christoph hat geschrieben:… Ob Du dieses Dritte der Welt/Deiner DozentIn/uns anvertraust oder nicht, das liegt ganz bei Dir.
Mir ist eben aufgefallen, dass dieser Satz noch nicht so freilassend klingt wie ich ihn meine.
Ich will eigentlich sagen: «Ganz besonders hinsichtlich dieses Dritten liegt es bei Dir zu entscheiden, ob Du es denn uns/Deiner DozentIn/der Welt anvertrauen willst.»

Christoph
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