Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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nellythedamned
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Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von nellythedamned »

Hallo!

für meine Facharbeit muss ich unter anderem das Gedicht Nr. VI aus der Reihe Les Fenêtres von Rainer Maria Rilke (aber in deutscher Fassung!) analysieren. Leider habe ich hierzu nichts im Internet gefunden.
Ich würde mich sehr freuen, wenn mir jemand helfen könnte. Vllt weiß jemand woher ich Informationen bekommen kann oder vllt hat sich schonmal jemand intensiver damit befasst?
Hier zur Sicherheit mal die deutsche Fassung des Gedichts:

Bild

Über eine Analyse/Interpretation würde ich mich sehr freuen, dabei interessiert mich besonders, welche Sinnbilder es gibt, also welches tiefere Thema das Gedicht behandelt. Ich bin mir da nicht ganz sicher, aber ich vermute, dass es sich hierbei um zwei Geliebte handelt, genaueres weiß ich aber nicht. Auch würde ich gerne wissen, für was die Motive des Himmels stehen. Und welche Bedeutung hat das Fenster im Gedicht, warum wird zwischen Sternen-Fenster und kargem Fenster unterschieden?
Was mir auch ein großes Rätsel ist, was bedeutet diese besondere Form, inder das Gedicht aufgeschrieben ist?

Ich freue mich über jede noch so kleine Hilfe!

LG Nelly
gliwi
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von gliwi »

Du fond de la chambre, du lit, ce n'était que pâleur qui sépare,
la fenêtre stellaire cédant à la fenêtre avare
qui proclame le jour.
Mais la voici qui accourt, qui se penche, qui reste:
après l'abandon de la nuit, cette neuve jeunesse céleste
consent à son tour!

Rien dans le ciel matinal que la tendre amante contemple,
rien que lui-même, ce ciel, immense exemple:
profondeur et hauteur!
Sauf les colombes qui font dans l'air de rondes arènes,
où leur vol allumé en douces courbes promène
un retour de douceur.
(Fenêtre matinale.)

1. Analysen und Interpretationen liefern wir hier nicht. Wr beantworten konkrete Fragen.
2. Ich halte es nicht für besonders sinnvoll, diese doch recht hölzerne Übersetzung zu bearbeiten, ohne das original zuzuziehen. Wenn Rilke das auf Deutsch hätte dichten wollen, hätte er's getan.
3. Wieso kommst du auf zwei Geliebte? Wo soll die zweite herkommen?
4. Über die Form der Übersetzung sich auch nur eine Sekunde Gedanken zu machen, lohnt nicht, das ist nämlich nur die Druckanordnung von irgendwem. Schau die Druckanordnung des Originals an! Und selbst auf die ist oft kein Verlass. Aber hier würde ich mal davon ausgehen, dass sie so gemeint ist, wie sie dasteht. Und sie ergibt sich sehr schön aus dem Sinnzusammenhang. ( Oh Mist! Dieser dumme Computer hat sie total umgestellt beim Kopieren! Also musst du hier bei "Gedichte" in die Suchfunktion "La fenêtre" eingeben, dann siehst du die -hoffentlich- richtige Druckanordnung)
5. Fenêtre stellaire und fenêtre qui proclame le jour: dasselbe Fenster, aber einmal in der Nacht und einmal am Morgen. Verglichen mit dem Sternenhimmel ist der Fensterausblick in der Morgendämmerung karg, da man erst mal nicht viel sieht, aber das ändert sich im Lauf des Tages. Das ist Thema des Gedichts. Die Geliebte spielt m.E. keine große Rolle hier: sie ist die Person, die diese Fensterausblicke wahrnimmt.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
stilz
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von stilz »

Danke, liebe gliwi, für's Hereinstellen des französischen Textes!
Leider kann ich nicht besonders gut Französisch. Dennoch: diese Übersetzung scheint mir nicht nur "hölzern" zu sein, sondern auch inhaltlich nicht genau genug - und dadurch wirklich seeeehr schwer verständlich.

Ich habe den Eindruck, daß eine menschliche "Geliebte" in diesem Gedicht überhaupt keine Rolle spielt:

"cette neuve jeunesse céleste" - das ist meiner Meinung nach der junge Tag (denn, wie spätestens die letzte Zeile deutlich macht: es handelt sich um ein "morgendliches" Fenster, "matinale").
Und "la tendre amante", die nichts bewundern kann auf diesem morgendämmernden Himmel - das verstehe ich als die Nacht, die nun weitergezogen ist und eben deshalb den Tag nicht sehen kann...
"Sauf les colombes" - das scheint darauf hinzudeuten, daß die Nacht dennoch die Tauben "sehen" kann, wenn sie in weichen Kurven, erleuchtet von den ersten Strahlen der Morgensonne, aus dem dämmernden Morgen zurück ins Dunkel fliegen...
(Das alles ohne Gewähr - wie gesagt, ich kann leider nicht wirklich Französisch)

Wirklich, was für eine seltsame Idee, dieses Gedicht ausschließlich in dieser deutschen "Fassung" zu analysieren...

Lieben Gruß

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
nellythedamned
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von nellythedamned »

Also....

Ich habe nicht erwartet, dass sich hier jemand hinsetzt und das Gedicht interpretiert...ich habe gehofft, dass jemand schonmal eine Interpretation dazu im Internet oder irgendwo gefunden hat oder schonmal eine schreiben musste.

Dieses Gedicht habe ich übrigens aus dem Buch "Les Roses/Die Rosen - Les Fenêtres/Die Fenster" von meinem Lehrer bekommen. Bei meiner Facharbeit geht es hauptsächlich darum, das Gedicht bildnerisch darzustellen (Kunst LK), deswegen sollte ich nur das deutsche Gedicht nehmen, auch wenn das französische sicherlich "echter" ist, aber mein Lehrer kann mit französisch sowieso nichts anfangen :wink:
Aus diesem Buch habe ich auch die Form entnommen und bin deswegen davon ausgegangen, dass dies die Originalform ist und dass sie eben eine bestimmte Bedeutung hat.
Mit den zwei Geliebten meinte ich eher eine Frau und einen Mann: die Frau, die Geliebte, wird ja im Gedicht direkt genannt, der Mann allerdings nicht. Da aber in Z. 11 der Himmel personifiziert wird "außer ihm selbst, diesem Himmel...", und er von der "sanften Geliebten" (Z. 9) als einziges gesehen wird, habe ich vermutet, dass der Himmel vllt ein Motiv für den Mann sein könnte.
Man könnte den Himmel aber auch anders deuten: da es sich hier um ein morgendliches Fenster handelt, mit einem Sonnenaufgang, steht das Gedicht vllt für etwas Neues, eine Veränderung, die mit dem Beginn des Tages einher geht.
Hierzu hätte ich gerne andere Meinungen. Worum geht es in diesem Gedicht?

Habe ich es richtig verstanden, dass sich im Laufe des Gedichts der Ausblick aus dem Fenster verändert? Also erst ist noch Nacht, dann wird langsam Tag, darum geht es in diesem Gedicht? Geht es einfach nur um das Gefühl, welches man empfindet, wenn man wie die Geliebte den Verlauf von Nacht zu Tag beobachtet? Melancholie o. ä.? Aber gibt es eine tiefere Bedeutung?

Dann wüsste ich noch gerne, welche Funktion das Fenster hat. Ich meine, die Geliebte schaut aus dem Fenster und beobachtet, wie der Tag beginnt, aber man könnte sich vllt die Frage stellen, warum sie nicht draußen sitzt. Ich frage deswegen, weil das große Überthema aller Facharbeiten aus dem Kurs "Fenster" ist.

Ich hoffe, mir kann jemand helfen!

LG Nelly

PS: Habe grade das Buch "Und ist ein Fest geworden: 33 Gedichte mit Interpretationen" im Internet gefunden. Weiß jemand, ob dieses Gedicht vllt auch dabei ist?
nellythedamned
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von nellythedamned »

Sorry, habe den Beitrag von stilz zu spät gesehen...
Ihr habt auf jeden Fall recht, es wäre sicherlich sinnvoller das französische Gedicht zu interpretieren, weil dies einfach genau wiedergibt, was Rilke ausdrücken wollte. Leider soll ich aber die deutsche Übersetzung des Gedichts interpretieren, weil mein Lehrer nunmal kaum französisch kann und meine Facharbeit mit dem französischen Gedicht sicherlich nicht richtig bewerten könnte.
Deswegen würde ich mich freuen, wenn ihr doch einen Blick auf die deutsche Übersetzung werfen würdet, um mir weiterhelfen zu können. Denn anscheinend unterscheiden sich die beiden Fassungen doch sehr.

LG Nelly
stilz
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von stilz »

Liebe Nelly,

also, zum Inhaltlichen hab ich ja schon geschrieben. Ich lese hier nichts von "menschlichen Geliebten", sondern jemand sieht, nur durch die "Blässe" (= Glasscheibe) getrennt, den nächtlichen Himmel voller Sterne und dann den Himmel des beginnenden Tages, der die Nacht "verdrängt". Die Nacht, die "Geliebte", die so sanft ist, sich verdrängen zu lassen, kann keine Einzelheiten des morgendlichen Himmels erkennen, der sie verdrängt. Sie sieht nur den Himmel als Ganzes... und sie sieht möglicherweise das Licht, das auf dem Gefieder der Tauben aufleuchtet, wenn diese aus dem Licht in die Dunkelheit fliegen.

Das deutsche Gedicht will wohl auch nix anderes sagen. Bei amazon lese ich: "Die Übersetzung aus dem Französischen von Yvonne Goetzfried ist dem lyrischen Ton und dem Rhythmus ebenso verpflichtet wie der Genauigkeit und der Bedeutungsvielfalt on Rilkes Sprache." ---

Naja. Also, zumindest bei diesem Gedicht wurde diese "Verpflichtung" meiner Meinung nach halt nicht besonders gut erfüllt. Aber es ist auch sehr schwierig, und bei manchen Gedichten wohl eine Unmöglichkeit, Rilke wirklich "befriedigend" zu übersetzen...

Viel Glück trotzdem!

stilz
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helle
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von helle »

nur als Material, es ist vielleicht für die Arbeit brauchbar:

"Wer doch einmal die Geschichte des Fensters schriebe - dieses wunderlichen Rahmens unseres häuslichen Daseins, vielleicht sein eigentliches Maaß, ein Fenster voll, immer wieder ein vollgeschöpftes Fenster, mehr haben wir nicht von der Welt; und wie bestimmt die Form unseres jeweiligen Fensters die Art unseres Gemüths: das Fenster des Gefangenen, die croisée eines Palastes, die Schiffsluke, die Mansarde, die Fensterrose der Kathedrale -: sind das nicht ebensoviel Hoffnungen, Aussichten, Erhebungen und Zukünfte unseres Wesens? Unser Umgang mit der Weite ist recht eigentlich auf die Vermittelung des Fensters angewiesen, draußen ist sie nur noch Macht, Übermacht, ohne Verhältnis auf uns, wenn auch ungeheuer im Einfluß -: das Fenster aber setzt uns in einen Bezug, elles nous mesure notre part de cet avenir dans l'instant même qu'est l'espace ..."

( 27. August 1920)
stilz
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von stilz »

Lieber helle,

vielen herzlichen Dank für dieses Zitat!!!
Das läßt mich nun die Zeilen
  • Mais la voici qui accourt, qui se penche, qui reste:
    après l'abandon de la nuit, cette neuve jeunesse céleste
    consent à son tour!
noch ein wenig anders lesen, nämlich im Hinblick darauf, wie sich die Welt für den verändert, der sie betrachtet, nicht erst dadurch, daß er aufsteht und seinen Standpunkt wechselt und vielleicht zu einem anderen Fenster geht (vgl Platons "Höhlengleichnis"), sondern allein schon dadurch, daß "draußen", vor dem Fenster (das immer dasselbe bleibt), Tag und Nacht wechseln...

Wie gesagt, mein Französisch ist leider nur sehr unzureichend. Würdest Du (bzw würdet Ihr, deren Französisch besser ist als meins) sagen, daß mit "Mais la voici qui accourt, qui se penche, qui reste" der Mensch gemeint ist, der das Fenster bzw das, was sich darin zeigt, betrachtet? Und dem nun, da die Nacht vergangen ist, der Tag "consent"?
Dann bin ich wirklich versucht, "con-sentir" in der ursprünglichen lateinischen Bedeutung der beiden darin enthaltenen Worte zu verstehen: con/cum, "mit", und sentire "fühlen, empfinden"...

Lieben Gruß

Ingrid
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gliwi
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Re: Gedichtinterpretation Les Fenêtres Nr. VI

Beitrag von gliwi »

Eigentlich kann sich das "la...qui" nur auf die "jeunesse célèste" beziehen. Ein Mensch kommt in dieser ersten Strophe nicht vor, ausgenommen dieser Blick aus dem Bett. Also die Nacht hat aufgegeben, und der junge herbeieilende Tag tut nun das Gegenteil von "aufgeben", ich möchte sagen, er übernimmt, er macht sich ans Werk. Das "consentir" vertehe ich als ein Einverstandensein mit seiner Aufgabe, als ein völliges Dahinterstehen.
Gruß
gliwi
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