Gedichte über Reue etc.

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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Caramel

Gedichte über Reue etc.

Beitrag von Caramel »

Hallo ihr alle!
Ich habe eine Frage, und zwar würde ich gern wissen, ob Rilke irgendwelche Gedichte oder Texte über Reue geschrieben hat? Also in denen das Thema Bereuen, Entschuldigen oder um Verzeihung bitten ist? Ich dachte, ich frage mal hier im Forum nach, vielleicht hat ja jemand mal zufällig eines gelesen oder weiß, wo ein solches Gedicht eventuell zu finden wäre...
Habt ihr irgendwelche Ideen oder Anregungen? Würde mich sehr freuen!
Viele Grüße und danke :-)
Caramel
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von Harald »

Die Sonette an Orpheus/Zweiter Teil, XIV

Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,
denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn, -
aber wer weiß es! Wenn sie ihr Welken bereuen,
ist es an uns, ihre Reue zu sein.

Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,
legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;
o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,
weil ihnen ewige Kindheit glückt.

Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe
tief mit den Dingen -: o wie käme er leicht,
anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen
ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,
allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
Caramel

Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von Caramel »

Oh vielen Dank!
Ich muss mir zwar noch erst über den Sinn dieses Gedichts klar werden, aber das ist schonmal ein schöner Anfang :)
Vielleicht weiß ja noch jemand eines? Ich werde nicht so richtig fündig, bräuchte aber mehrere...
Danke nochmal!
stilz
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Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
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Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von stilz »

Ich fürchte, Du wirst hier nicht finden, was Du suchst. Bei allem jedenfalls, was ich bisher bei Rilke von "Reue" oder "Verzeihen" gelesen habe, geht es nicht darum, jemand anderen um Verzeihung zu bitten, weil man irgendwas getan oder unterlassen hat, was diesem anderen "bös" vorkommen könnte... sondern es geht entweder um "Treue sich selbst gegenüber" oder um das Verhältnis zu Gott oder auch zu dem "Engel" (was ja vielleicht gar nicht so sehr etwas anderes ist als "Treue sich selbst gegenüber").

Zum Beispiel (aus dem Stunden-Buch, dem "Mönchischen Leben"):
  • Ich glaube an Alles noch nie Gesagte.
    Ich will meine frömmsten Gefühle befrein.
    Was noch keiner zu wollen wagte,
    wird mir einmal unwillkürlich sein.

    Ist das vermessen, mein Gott, vergieb.
    Aber ich will dir damit nur sagen:
    Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,
    so ohne Zürnen und ohne Zagen;
    so haben dich ja die Kinder lieb.
    ...
Möglicherweise hielt Rilke es ja diesbezüglich mit Goethe:

  • Nichts taugt Ungeduld,
    noch weniger Reue:
    Jene vermehrt die Schuld,
    diese schafft neue.

Lieben Gruß, und viel Erfolg beim Suchen anderswo!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Caramel

Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von Caramel »

hallo stilz!
Hm, das hab ich schon fast befürchtet...
Mit deiner Annahme in Bezug auf Rilkes Einstellung hast du wohl recht ;)
Aber trotzdem danke für die zwei schönen Gedichte! Ich werd wohl woanderst suchen oder einen anderen Dichter nehmen ;)
Viele Grüße
Caramel
helle
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Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von helle »

Daß es wenig Gedichte Rilkes gibt, die von Reue, Schuldbewußtsein oder schlechtem Gewissen sprechen, ist nicht zufällig, weil er davon nicht viel besessen hat und darin ein Nachfahre Nietzsches ist, der sich ja vor allem gegen das durch religiöse, und noch eigentlicher christliche Wertsetzungen hervorgerufene schlechte Gewissen ausgesprochen hat. Rilke hat solche Anwandlungen nur selten gehabt, auch da nicht, wo ich sie wahrscheinlich gehabt hätte, allerdings laufe ich mein ganzes Leben mit einem schlechten Gewissen herum, was auch nicht anzuraten ist. Rilke kennt das weder seiner Frau gegenüber noch seiner Tochter, noch seinen abgelegten Geliebten gegenüber oder seinen Financiers oder wem immer. Darüber kann man natürlich denken wie man will, wäre es nicht so gewesen, dann eben etwas anders.

Rilke ordnet sonst alles, von einem Familienleben, das den Namen nicht wert ist, bis zur Notwendigkeit, seine Lebensform von anderen finanzieren zu lassen, seinem dichterischen und künstlerischen Auftrag unter. Auch wenn diesen Auftrag »zeitweise nicht ausführen zu können«, wie J.R. v. Salis schreibt, eigentlich »das einzige [war], was ihm wie eine Schuld und Verfehlung vorkam«, gibt’s doch mindestens eine Ausnahme von dieser Regel, nämlich die Geschichte mit Paula Modersohn-Becker. Das »Requiem für eine Freundin«, das er auf sie verfaßt hat, zeugt, so sehe ich das, von seiner Beunruhigung und Qual, seinem Aufgestört- und Unerlöstsein, auch wenn man nirgends das Wort »Reue« findet und »Schuld« an einer bekannten Stelle fern von persönlichen Verfehlungen und irgendwie hergestellten biographischen Bezügen verstanden wird. Der Grund dafür, daß Rilke gegen PMB so etwas wie Schuld empfunden hat, wie ich glaube, liegt auch nicht in seinem persönlichen Verhalten, also jener Unzuverlässigkeit und Schludrigkeit in Paris, wo sie ihn um Hilfe in praktischen Dingen gebeten hatte, das kann ihm am Ende relativ schnuppe sein. Aber daß er ihren künstlerischen Rang nicht erfaßt hat, nicht in Worpswede und später nicht, ihr Werk nicht erkannt hat, das in gleicher Weise seinem selbst gewählten unbedingten künstlerischen Auftrag folgt, wie Rilke es für sich und sein eigenes Werk reklamiert, das läßt ihn nicht los, er kann die Sache aber nur noch in der Form einer künstlerischen Auseinandersetzung austragen, das ist zugleich der einzig mögliche Tribut an die Freundin, auch wenn es nun eine tote ist und keine lebendige.

Gruß, helle
gliwi
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Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von gliwi »

helle hat geschrieben: Rilke hat solche Anwandlungen nur selten gehabt, auch da nicht, wo ich sie wahrscheinlich gehabt hätte, allerdings laufe ich mein ganzes Leben mit einem schlechten Gewissen herum, was auch nicht anzuraten ist.
(Offtopic: Hattest du etwa auch eine pietistische Großmutter?) Die Weihnachtsbriefe an seine Mutter, die im Adventskalender zu lesen waren, bestätigen das: sie triefen vor wohlfeiler Sohnesliebe, aber dass er einmalder Frau die Freude gemacht hätte und sie an Weihachten besucht, das war wohl nicht drin...
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
helle
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Registriert: 6. Mai 2005, 11:08
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Re: Gedichte über Reue etc.

Beitrag von helle »

[alles »off topic«:
Liebe Christiane,

nee, nix Pietistisches in der Familiengeschichte, glaube ich!

Die Weihnachtsbriefe sind gruselig, stimme Dir zu; ob ich allerdings diese Mutter besucht hätte, weiß ich nicht, das ist ja wohl doch die Höchststrafe, meine besuche ich sehr gern.

Gruß, helle]
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