Rilke und Karl Kraus
Verfasst: 22. Jan 2009, 23:39
Das Thema wurde schon bei anderer Gelegenheit angesprochen. Hier ist ein Brief von Karl Kraus an Sidonie Nádherny, der zeigt, dass Kraus deutliche Vorbehalte hatte:
»Sehr unangenehmes höre ich von Maria, dem die Nennung mit dem weiblichen Vornamen immer angemessener wird. Er scheint sich ganz zur Partei der Hysterie geschlagen zu haben. Das Problem des Scheinmenschenthums in der Literatur hat ihn durch meine Einwirkung so lange bewegt, bis er sich selbst dazu entschlossen hat. Mir wird erzählt, daß er sich nach meiner Erledigung des Falles [eine Attacke gegen Werfel] zu meinen Ungunsten für das Prager Ghetto ausgesprochen habe. Aus dem 'persönlichen' Motiv meiner Erledigung habe ich so wenig ein Hehl gemacht, daß ich ja ganz gründlich auch ihn seinerzeit informiert habe. Erinnert man [d.i. SN] sich noch, daß man ihm selbst schon vorher geschrieben hatte: 'Der Mensch sagt die Wahrheit über den Dichter - denn der Mensch lügt.' Wir hatten es in J. besprochen. Und das alles - die höchst persönliche Nähe dieses persönlichen Motivs, diese zehnjährige Freundschaft (die vor der Außenwelt ihm das oft beklagte Vorzugsrecht gibt) hat nicht genügt, sich mit Entschiedenheit von diesem Schlamm abzuwenden. Vielmehr hat er 'Widersprüche' - gegen mich! (Aber ich darf's eigentlich nicht wissen.) Nun, ich glaube, der kürzlich in Berlin die gegentheilige Wendung vollzogen hat [vermutlich Siegfried Jacobsohn], hat recht: »Für schwache schöne Seelen ist er nichts«. Für mich ist auch dieser Fall endgiltig und für alle Zeiten erledigt. Nicht, weil einer 'Widersprüche' gegen mich erhebt, sondern weil er sich an ihnen klarstellt!«
»Sehr unangenehmes höre ich von Maria, dem die Nennung mit dem weiblichen Vornamen immer angemessener wird. Er scheint sich ganz zur Partei der Hysterie geschlagen zu haben. Das Problem des Scheinmenschenthums in der Literatur hat ihn durch meine Einwirkung so lange bewegt, bis er sich selbst dazu entschlossen hat. Mir wird erzählt, daß er sich nach meiner Erledigung des Falles [eine Attacke gegen Werfel] zu meinen Ungunsten für das Prager Ghetto ausgesprochen habe. Aus dem 'persönlichen' Motiv meiner Erledigung habe ich so wenig ein Hehl gemacht, daß ich ja ganz gründlich auch ihn seinerzeit informiert habe. Erinnert man [d.i. SN] sich noch, daß man ihm selbst schon vorher geschrieben hatte: 'Der Mensch sagt die Wahrheit über den Dichter - denn der Mensch lügt.' Wir hatten es in J. besprochen. Und das alles - die höchst persönliche Nähe dieses persönlichen Motivs, diese zehnjährige Freundschaft (die vor der Außenwelt ihm das oft beklagte Vorzugsrecht gibt) hat nicht genügt, sich mit Entschiedenheit von diesem Schlamm abzuwenden. Vielmehr hat er 'Widersprüche' - gegen mich! (Aber ich darf's eigentlich nicht wissen.) Nun, ich glaube, der kürzlich in Berlin die gegentheilige Wendung vollzogen hat [vermutlich Siegfried Jacobsohn], hat recht: »Für schwache schöne Seelen ist er nichts«. Für mich ist auch dieser Fall endgiltig und für alle Zeiten erledigt. Nicht, weil einer 'Widersprüche' gegen mich erhebt, sondern weil er sich an ihnen klarstellt!«