Najaaaaa - ich tu mir halt schwer, etwas eine "Übersetzung" nennen zu sollen, wenn der
Inhalt nicht stimmt, nichtmal "nachempfunden" ist...
Liebe gliwi,
Du fragst nach dem "Du".
Es ist einige Zeit her, daß ich den "Malte" gelesen habe. Aber ich erinnere mich, daß ich schwankte: bedeutet das "Du" für Abelone, in dem Moment, da sie es singt, den "Einen", den sie liebte "auch damals, den du nie vergessen hast, Liebende" (37. Aufzeichnung), oder ist es Malte selbst, der, als sie es singt, im Saal steht, der sie zwar der vielen Leute wegen nicht sehen kann, aber er hört ihre Stimme... Malte, dem sie kurz zuvor "meine Wange entlang" gesagt hat: "Ich will wirklich singen... nicht weil sie's verlangen, nicht zum Schein: weil ich jetzt singen muß." (69. Aufzeichnung) ?
Ja - mir ist bewußt, daß das "Du" im "Lied" weiblich ist. Dennoch kann das für die Sängerin im Augenblick des Singens ganz unerheblich sein...
Allerdings wäre es wohl auch denkbar, daß Abelone
dem Klang zu verleihen versucht, was (ihrer Vorstellung nach) in Malte vorgeht...
Losgelöst aus dem Kontext des Romans halte ich das "Du" im "Lied" für das geliebte Gegenüber, mit dem man Zwiesprache hält, jederzeit, jenseits von Zeit und Raum...
Ich lese gerade Viktor Frankls "...trotzdem Ja zum Leben sagen" - da spricht er von seinen inneren Zwiegesprächen mit seiner Frau, von der "Seligkeit" [sic!] dieser Zwiesprache... und dann schreibt er:
- Da fällt mir etwas auf: Ich weiß ja gar nicht, ob meine Frau noch lebt! Da weiß ich eines - jetzt habe ich es gelernt: so wenig meint Liebe die körperliche Existenz eines Menschen, so sehr meint sie zutiefst das geistige Wesen des geliebten Menschen, sein "So-sein" (wie es die Philosophen nennen), daß sein "Dasein", sein Hier-bei-mir-sein, ja seine körperliche Existenz überhaupt, sein Am-Leben-sein, irgendwie gar nicht mehr zur Diskussion steht. Ob der geliebte Mensch lebt oder nicht: ich weiß es nicht, ich kann es nicht wissen ... - irgendwie brauche ich es jetzt gar nicht zu wissen: meiner Liebe, dem liebenden Gedenken, der liebenden Schau seiner geistigen Gestalt, kann das alles nichts mehr anhaben. ... So weiß ich in diesem Augenblick um die Wahrheit: "Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz... Denn Liebe ist stark wie der Tod." (Das Hohelied, VIII, 6.)
Für Viktor Frankl wurde dieses Wesen der Liebe zur Gewißheit unter den kaum vorstellbaren Bedingungen im Konzentrationslager, die zitierte Passage steht unter dem Titel "Wenn einem nichts mehr bleibt".
Ich glaube, daß Rilke Abelone die Vision einer solchen von allen äußeren Umständen unbeirrten "liebenden Schau der geistigen Gestalt" besingen läßt. Und solcher "Unbeirrtheit" kann Rilke/das lyrische Ich/Abelone/Malte (nur???) durch
freiwilligen Verzicht auf jede Erfüllung ganz sicher sein:
- ...
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
...
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.
Lieben Gruß
Ingrid