Ein herzliches Hallo ins Forum,
(als Fortsetzung des Futurismus Beitrags und sozusagen als Neujahrsgeschenk) hier ein Beitrag von mir zum Surrealismus, der ebenfalls im Freien Radio für Stuttgart gesendet wurde:
Surrealismus
„Die Imagination ist vielleicht im Begriff wieder in ihre Rechte einzutreten. Wenn die Tiefen unseres Geistes seltsame Kräfte bergen befähigt diejenigen der Oberfläche zu mehren oder sie siegreich zu bekämpfen so haben wir allen Grund sie aufzufangen sie zuerst aufzufangen und danach wenn nötig der Kontrolle unserer Vernunft zu unterwerfen. Selbst die Analytiker können dabei nur gewinnen“ - schreibt André Breton 1924 im Manifest des Surrealismus .
1913 lernt André Breton den Schriftsteller Paul Valéry kennen. Beeindruckt vom Symbolismus, wie von Stéphane Mallarmé, schreibt Breton Gedichte. Er studiert Medizin, wird 1915 zum Sanitätsdienst eingezogen. Arbeitet in einer psychiatrischen Anstalt und liest die Arbeiten von Sigmund Freud, den er 1921 in Wien trifft. Das Unbewusste wird erforscht. Es ist die Zeit des „Automatischen Schreibens“ (écriture automatique), der Hypnoseversuche und Traumprotokolle.1918 begegnet er Guillaume Apollinaire und entdeckt die wilde Poesie von Lautréamont. Sein Medizinstudium bricht er ab und wird freiberuflicher Schriftsteller. 1919 gründet André Breton gemeinsam mit Louis Aragon und Philippe Soupault die Zeitschrift Littérature. Diese steht dem Dadaismus nahe. Die Gruppe der Pariser Dadaisten erweitert sich – so kommen beispielsweise Paul Éluard und Max Ernst dazu (neben Robert Desnos, René Crevel und Benjamin Péret).
1919 wird der Surrealismus von Max Ernst und André Breton entwickelt. In „Die verlorenen Schritte“ schreibt Breton: „Im Jahre 1919 hatte sich mein Augenmerk auf die mehr oder weniger unvollständigen Sätze gerichtet, die bei völliger Einsamkeit und herannahendem Schlaf dem Geist wahrnehmbar werden, ohne dass es möglich wäre, eine vorherige Bestimmung in ihnen zu entdecken.“ Max Ernst 1936 in Jenseits der Malerei: „An einem regnerischen Tag des Jahres 1919, in einer Stadt am Rhein, fiel mir auf, mit welcher Besessenheit mein irritiertes Auge an den Seiten eines Bilderkataloges haftete, in dem Gegenstände zur anthropologischen, mikroskopischen, psychologischen, mineralogischen und paläontologischen Veranschaulichung abgebildet waren. Dort standen Bildelemente nebeneinander, die einander so fremd waren, dass gerade die Sinnlosigkeit dieses Nebeneinanders eine plötzliche Verschärfung der visionären Kräfte in mir verursachte, und eine halluzinierende Folge widersprüchlicher […] Bilder wachgerufen wurde […].“
Ab 1922 leitet Breton die Pariser Dada-Publikation Littérature. Um eine Richtung für die verschiedenen Formen der modernen Kunst vorzugeben , gründet er den Congrès de Paris – mit einer parlamentarischen Satzung. „Der Dadaismus“ - so Breton, könne -“keinem anderen Zweck gedient haben [...] als dem, uns in dem vollkommenen Zustand der Verfügbarkeit zu halten, in dem wir gegenwärtig sind und aus dem heraus wir jetzt in aller Klarheit auf das zugehen werden, was uns ruft.“ Meinungsverschiedenheiten unter den Dadaisten führen schließlich zum Ende des Dadaismus.
Musik Schwitters: Ur-Sonate (2 Minuten, CD 2 Tr. 21)
1924 verfasst André Breton das Manifest des Surrealismus. Darin bezeichnet er Surrealismus als einen „reinen psychischen Automatismus“ . Surrealismus ist danach „SURREALISMUS, Substantiv, m., reiner, psychischer Automatismus, durch welchen man, sei es mündlich, sei es schriftlich, sei es auf jede andere Weise, den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Vernunft-Kontrolle und außerhalb aller ästhetischen oder ethischen Fragestellungen.“
Ziel des Surrealismus ist es, das Unwirkliche und Traumhafte sowie die Tiefen des Unbewussten auszuloten und den durch die menschliche Logik begrenzten Erfahrungsbereich durch das Phantastische und Absurde zu erweitern.
Wörtlich meint „Surrealismus“: „über dem Realismus“, unwirklich, und damit traumhaft. Dabei beansprucht auch das Irreale oder der sinnlose Zusammenhang den gleichen selbstverständlichen Realitätscharakter, wie die alltägliche Wirklichkeit, die selbst oft surreal oder absurd scheint. Surrealistische Bild- und Traumwelten haben heute durch Werbung und Massenmedien als kommerzielle Produkte den Weg in den Alltag gefunden. Die surrealistische Bewegung der 20er Jahre erkennt die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten. Sie benutzt Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung. Sie will das Bewusstsein und die Wirklichkeit global erweitern und alle geltenden Werte umstürzen. Damit ist sie eine anarchistische, revolutionäre Kunst- und Weltauffassung. Die Bezeichnung „Surrealismus“ wird zuerst von Guillaume Apollinaire verwendet. Sein Theaterstück Les Mamelles de Tirésias (Die Brüste des Tiresias) trägt den Untertitel „ein surrealistisches Drama“. Uraufgeführt wird es im Juni 1917.
Der Surrealismus wendet sich gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie. Dabei steht eine nichtrationale und die Gefühle betonende Welt des Traums im Vordergrund. Die Verbindung nicht zusammengehöriger Dinge, Enttextualisierung und verdrehte Perspektiven, wie z.B. bei Salvador Dalí, sind Kennzeichen des veristischen, kritisch-paranoischen Surrealismus. Daneben steht der abstrakte, absolute Surrealismus, ohne irgendeinen Realismus, wie z.B. in Bildern von Joan Miró.
Häufig haben die Bilder der Surrealisten traumhafte und abstrakte Wirkung. Bevorzugt schalten die Surrealisten dabei das Bewusstsein durch Traum, Schlaf oder Rauschmittel ab. Unbewusstes soll in einem automatischen, nicht gesteuerten Schaffensprozess zum Ausdruck kommen. Eine übergenaue Maltechnik, Verfremdung oder Kombination unmöglicher Dinge und Zustände zeigen eine übersteigerte Wirklichkeit. Das Automatische Schreiben (Écriture automatique) soll spontan und ohne Einschränkungen des Bewusstseins sein. In gewollter Trance und in Traumprotokollen sollen Ängste und Begierden ohne Zensur des Bewußtseins erkannt und Figuren ohne Erinnerung an bereits vorhandene Bilder freigesetzt werden. Eine weitere Form stellen halbautomatische Bilder dar: ein Künstler beginnt eine beliebige Zeichnung auf Papier, oft figurativ, faltet seine Zeichnung so ein, dass nur die letzten Striche zu erkennen sind und übergibt das Blatt an den Nächsten, der an den Falzen die Zeichnung fortsetzt. So entsteht eine Gemeinschaftsarbeit, die keine Autorenschaft erkennen lässt und die jede ästhetische Überlegung ausschliesst.
In der Zeitschrift La Révolution Surréaliste (zwölf Nummern 1924–1929) veröffentlicht die Gruppe ihre Auffassungen. Das wachsende politische Interesse führt André Breton und die Gruppe in die Nähe der Kommunisten. 1927 werden einige Surrealisten, darunter André Breton Louis Aragon und Paul Éluard, Mitglieder der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF).
Im Jahr 1928 schreibt André Breton seinen experimentellen Roman Nadja. In Le Surréalisme et la Peinture versucht er eine theoretische Begründung surrealistischer Malerei zu finden. Als Vorbilder dienen dabei Max Ernst, Pablo Picasso, Joan Miró und André Masson. 1928/29 entsteht das Bild „Der Sprachgebrauch“ von Renè Magritte, in dem er auf der Ebene des Bildes eine bildliche und sprachliche Behauptung konfrontiert, die einander auszuschliessen scheinen. „Dies ist keine Pfeife“, denn es ist „nur“ die Darstellung einer Pfeife zu sehen. Das Wort zeigt den Realitätsfaktor und steht scheinbar im Widerspruch zum Dargestellten. Margrittes Werke kennzeichnen eine kalkulierte Widersprüchlichkeit. Texte und Ideen von René Magritte haben später großen Einfluss auf die Konzeptkunst, (z.B. Marcel Broodthaers) 1929 schliesst sich Salvador Dalí auf Anregung von Joan Miró den Surrealisten in Paris an.
1930 definiert Breton im Zweiten Manifest des Surrealismus den Surrealismus als eine sozial-revolutionäre Bewegung: „Marx sagt, die Welt verändern. Rimbaud sagt, das Leben verändern.“ – Der Surrealismus sei die Synthese dieser beiden Ideen, er bekennt sich – so Breton - zur „sozialen wie zur psychischen Revolution.“ In seinem zweiten Manifest des Surrealismus nimmt Breton eindeutig Stellung gegen den sich ausbreitenden Faschismus in Europa. 1930 heisst die Zeitung der Gruppe programmatisch: Le Surréalisme au service de la révolution (Der Surrealismus im Dienst der Revolution, 1930–33). Jedoch haben Breton und seine Freunde immer mehr Probleme mit der Parteidogmatik bis es 1935 zum Bruch mit der KPF kommt. André Breton wird zum Kritiker des Stalinismus. Einige Surrealisten (wie Benjamin Péret und Tristan Tzara) beteiligen sich am Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite . 1936 gründet Breton zusammen mit Georges Bataille unter dem Namen „Contre-Attaque“ eine Gruppe linksrevolutionärer Intellektueller.1938 begegnet er Leo Trotzki im Exil in Mexiko bei Diego Rivera, wo ihr Manifest Für eine unabhängige revolutionäre Kunst entsteht. IDer Surrealismus breitet sich über Frankreich mit Gruppen und Manifestationen in Brüssel, Barcelona, London und Prag aus. 1938 organisiert Breton in Paris die erste „Internationale Surrealismusausstellung“. Salvador Dali wird nach längeren Auseinandersetzungen 1939 von den Surrealisten ausgeschlossen. .
1940 flieht André Breton vor den Nationalsozialisten über Marseille und die Antillen nach New York. Dort begegnet er Marcel Duchamp und Max Ernst. Mit ihnen veröffentlicht er in der Zeitung 'VVV', die eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Surrealismus in den Vereinigten Staaten spielt. Nach einer Wiederbelebung während der Jahre der Résistance (1940–44) verliert die surrealistische Bewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. 1946 kehrt André Breton nach Europa zurück. Dort werden seine Hoffnungen eines gesellschaftlichen und politischen Neubeginns enttäuscht. Einige Surrealisten , wie Louis Aragon und Paul Éluard, haben sich der moskaufreundlichen Parteilinie angeschlossen. 1947 organisiert Breton mit Marcel Duchamp eine umfassende Surrealismus-Ausstellung in Paris.
Auch in der Nachfolge der Surrealisten um Breton gibt es zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen, die den Namen aufgenommen haben. Christian Dotremont gründet 1947 die Revolutionary Surrealist Group und schliesst sich 1948 mit Asger Jorn und mehreren anderen Künstlern zu der Gruppe COBRA zusammen. Gleichzeitig entsteht der vom Surrealismus beeinflusste Lettrismus um Isidore Isou. In den 50er Jahren schliessen sich Mitglieder dieser Gruppen zur Situationistischen Internationalen zusammen. Neben surrealistischen Techniken als Bestandteil des Konzeptes ist der politische Anspruch im Situationismus meist vorrangig. 1966 gründet sich die – ebenfalls politisch motivierte - Chicago Surrealist Group. Surrealistische Konzepte sollen in politischen Aktionen umgesetzt werden. Auch heute noch werden surrealistische Ideen aufgenommen von Gruppen wie International Massurrealism Movement, OFFAL Project in New York oder der Surrealist London Action Group.
Wer sich für den Surrealismus interessiert, sollte einen Ausflug nach Ludwigshafen unternehmen. Dort gibt es bis Mitte Februar Einiges dazu zu sehen und zu entdecken. Im Internet informieren kann man sich unter:
http://www.surrealismus-ludwigshafen.de/
Frohes Fest wünscht Barbara