Endlich komme ich dazu, von diesem ganz besonderen Abend zu erzählen.
Ulrich Reinthaller betritt die Bühne mit einem Lächeln und wendet sich sofort sehr persönlich an das Publikum im Großen Sendesaal (der von sich aus nicht gerade eine Atmosphäre bietet, die einen sofort an Rilke denken läßt) und erklärt zunächst, er wolle „Zeit gewinnen“. Sowohl er als auch wir können uns so an das Mikrophon gewöhnen, das er – des Audio-Livestreams wegen – im Gesicht trägt.
Nachdem er auch alle begrüßt hat, "die – wie passend bei Rilke
– über den Äther mit uns verbunden sind", ebenso wie auch alle, die zu diesem „Verbundensein“ nicht erst ein Medium wie das Internet benötigen, spricht er ein paar Worte über die „Mystik“ und bittet uns: „Lassen Sie sich sanft den Verstand rauben…“
Christophe Pantillon hat das erste „Wort“. Er wird den ganzen Abend musikalisch gestalten, mit Bachs Cello-Solosuiten, wunderbar intim und ganz ohne allen Aufhebens, mit großer Selbstverständlichkeit interpretiert.
Und dann Ulrich Reinthaller: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn…“ --- er geht frei im Saal herum, spricht auswendig, mit ganz natürlicher Mimik und Gestik, sucht immer wieder den direkten Blickkontakt mit seinem Publikum, als ob es das Allernormalste von der Welt wäre, worüber er spricht… auch seine Stimme hat es dabei niemals nötig, eine pathetische Farbe anzunehmen. Rilkes nicht immer ganz leicht verständliche Worte scheinen Ulrich Reinthaller ganz unmittelbar aus dem Herzen zu kommen…
Und ich erkenne: in seinen „Duineser Elegien“ hat Rilke zwar über Dinge gesprochen, die unser verstandesmäßiges Begreifen bei weitem übersteigen…
Dennoch sind es Themen, die jedem einzelnen von uns in der Wirk-lichkeit seiner Seele sehr vertraut sind.
Jeder von uns hatte wohl schon einmal eine Begegnung mit dem „Engel“, dem „tödlichen Vogel der Seele“… der so schreck-lich sein kann, daß man diese Begegnung manchmal am liebsten gar nicht wahrhaben möchte…
Auch mit dem „Flußgott des Blutes“ haben viele von uns wahrscheinlich das eine oder andere Mal schon zu ringen gehabt…
Und wie viele Menschen kennen doch dieses Gefühl, nicht „wie Zugvögel verständigt“ zu sein, sondern verzweifelt nach Orientierung zu suchen…
Einige mögen sich wohl auch noch an ihre Kindheit erinnern, an diese Zeit im „Zwischenreiche zwischen Welt und Spielzeug“…
Ulrich Reinthaller gelingt es, alle diese Dinge und noch viel mehr Unaussprechliches in den Herzen seiner Zuhörer lebendig zu machen.
Auch die Verbindung der Worte Rilkes mit der Musik Bachs ist eine Idee, die wunderschön aufgeht. Denn auch Bach „spricht“ ja von ähnlich „Unfaßlichem“, und Christophe Pantillon macht es einfühlsam hör- und damit erlebbar…
Und die fünfte Elegie, Reinthallers letzte für diesmal (?): er kennt sie gut, die „Rose des Zuschauns“, und er weiß um die „unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig / unbegreiflich verwandelt - , umspringt in jenes leere Zuviel.“ Wie wohl es tut, gerade diese Zeilen in solcher Ehrlichkeit von einem Schauspieler zu hören!
Was Ulrich Reinthaller uns an diesem Abend beschert hat, ist niemals „leer“. Und es ist auch niemals „zuviel“. Auch dann nicht, als er nach dem (nach einem kurzen Atemholen) begeisterten Applaus sich für unseren „Mut“ bedankt, weil wir uns auf diesen Abend eingelassen haben, und noch ein „Geschenk“ für uns hat, wie er sagt, das er lächelnd auspackt:
- Du mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Träume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel laß sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schoß.
Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur die Gebärde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn -
An beide Künstler: ein ganz großes DANKE für diesen Abend!
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)