sinn und zweck der interpretation von Rilkes Gedichten

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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kunle
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sinn und zweck der interpretation von Rilkes Gedichten

Beitrag von kunle »

liebe forum mitglieder,
ich würde euch gerne fragen, welche bedeutung ihr der interpretation von gedichten im allgemeinen gebt , und ins besondere der interpretation von rilke gedichten.
auch wenn sich diese frage sehr no anhört, bitte ich euch darüber nachzudenken.
ich selbst würde sagen: sie können den eigenen verständnis horizont erweitern, werden aber die direktheit, einfühlsamkeit und macht in der sprache eines lyrikers wie rilke dem herzen nie näherbringen können.
da mein persönliches interesse eher im zweiten angesprochenen punkt liegt, bin ich solchen interpretation gegenüber immer etwas skeptisch. aber ich habe auch noch sehr wenig erfahrung mit rilke interpretationen.
falls ihr links zu, eurer meinung nach, hervorragenden interpretationen habt, nur her damit.

was meint ihr?
al
k.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

hallo kunle,
dazu zwei Zitate, eines von Emil Staiger, dem großen Interpreten: "Begreifen, was uns ergreift." Und eines von Goethe. "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen."
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
kunle
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Beitrag von kunle »

liebe(r) gliwi,
danke für die zitate.
ich finde, meiner eigenen neigung entsprechend, besonders goethes zitat ansprechend.
mein schwager hat mir vor kurzem von bestimmten interpretationen von heine gedichten vorgeschwärmt, die sich besonders auf politisch-soziale kontexte bezogen haben. diese gedichte lassen sich natürlich in einen bestimmten kontext gestellt viel besser verstehen.

ich selbst bin zwar auch an den hintergründen der autoren und ihres werks (die ja untrennbar sind) interessiert, aber im falle von RMR, spielt das bei mir (zur zeit jeden falls) keine grosse rolle.
seine zeilen sind von solch einer sprachlichen reife und kraft, dass sie, selbst wenn ich sie nicht immer mit meinem kopf verstehe, mein herz und mein gefühl einfach mitreißen.
ich finde dieses "spannungsfeld" (das unter keinen umständen immer eines sein muss) zwischen gefühl und verstand sehr interessant. daher auch meine frage.
zum 1. zitat: das trifft es auch, aber auch nicht. "begreifen, was uns ergreift". kann man das, was einen anderen ergreift, wirklich begreifen? wenn man es bloß begreift, fehlt da nicht das ergriffen-sein, und somit das worum es geht. kann diese ergriffenheit sich durch intellektuelles verständnis einstellen, oder ist das bloß intellektuelle neugierde. und wenn ja, wohin führt die?
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Naja, liebe(r) kunle, Staiger stellt ja das Ergreifen, also Ergriffensein, vor das Begreifen. Also zuerst wirst du ergriffen, und dann untersuchst du, worauf die besondere Wirkung dieses Gedichts beruht.
Wenn du ein tolles Musikstück hörst, schadet es auch nicht, wenn du die Instrumente kennst und vielleicht noch sonst etwas darüber weißt, wie man Musik macht.Genauso in der bildenden Kunst. Es schadet nicht, wenn man weiß, wie bestimmte Effekte erzielt werden. Natürlich kannst du Kunst wie Musik wie Gedichte schön finden ohne das alles. Aber wie meine Signatur schon sagt, ich bin keine Freundin dieser Haltung. Ich meine, wir sollten unser Leben lang dran arbeiten, geistig weiterzukommen und nicht beim naiven Beeindrucktsein - das durchaus seinen Wert hat! - stehenbleiben. Intellektuelle Neugierde gehört in meinen Augen zu den besten menschlichen Eigenschaften überhaupt. Wohin sie uns führt? Jedenfalls aus der geistigen Unmündigkeit heraus.
Gruß
gliwi
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kunle
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Beitrag von kunle »

liebe gliwi,
danke für die ausführungen.
ich bin mir nicht sicher wie es mit dem beeindrucktsein steht. ich denke du könntest diesen staunenden geist eventuell unterschätzen. diesem geist wohnt, meiner meinung nach, viel mehr inne, als bloße naivität.
ich bin absolut deiner meinung, dass menschen besondere eigenachften besitzen, die sie unbedingt nützen sollten, und dass wir eine tolle möglichkeit haben uns geistig weiter zu entwickeln.
aber ich denke auch, dass der geist des staunens, wenn richtig "verstanden", uns noch weiter aus unserer geistigen "unmüdigkeit" bringen kann, als der analytische verstand.

ps. was genau ist geistige unmüdigkeit (im gegensatz zu geistiger müdigkeit vielleicht)?

al
k.
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lilaloufan
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Unmündigsein

Beitrag von lilaloufan »

Hallo kunle,

ich staune über 4:29 h; da sind jedenfalls sicher die meisten von uns noch nicht wach. :wink:

Das tollste ist aber, dass Dein Gedanke ja auch stimmt, wenn er auf „Mündig-Sein“ bezogen wird: dass der Geist des Staunens, wenn richtig "verstanden", uns noch weiter aus unserer geistigen "Unmündigkeit" bringen kann als der analytische Verstand. Ja, diese Art von Entwicklungspotential sollte man nicht unterschätzen!

Wie unmündig gerade brillante Analytiker sein können, davon gibt die Wissenschaftsgeschichte auch der Zeit nach Kant beredt Kunde.

Ich erlebe an heilpädagogischen LebensOrten geistig sehr mündige Menschen, und die sind intellektuell noch nicht einmal neugierig. Geschweige denn erwacht. Aber sie übertreffen uns alle im Staunen-Können.

Nun muss ich aber sagen: Das steht, meinem Urteil nach, weder im Gegensatz zu gliwis Signatur noch zu ihrem Posting. Auch der die Ratio betonende Mensch kann diesen Weg, der beim rechten Staunen beginnt, gehen, nicht zum Nachteil seiner Mündigkeit. Das ist vielleicht die Neue Aufklärung.

Gruß, l.
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kunle
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Beitrag von kunle »

ps: gliwi,
habe gerade gemerkt, dass schlampiges lesen für "unmüdigkeit" verantwortlich war. ich lese jetzt "unmüNdikeit" .
ups!
kunle
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Beitrag von kunle »

danke lilaloufan.
die neue aufklärung: harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil. sicher ist dies für uns alle äußerst erstrebenswert. das würde einen heilen menschen ausmachen, nicht?
könnte dies mit der sog. emotionalen intelligenz zusammenhängen, einem relativ jungen gebiet innerhalb der psychologie?
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lilaloufan
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Kopf und Herz und Hand

Beitrag von lilaloufan »

kunle hat geschrieben:herz und kopf sind heil. … das würde einen heilen menschen ausmachen, nicht?
Nun, noch nicht ganz. Es ist ja immer schwer, sich auf einen Gesundheitsbegriff zu verständigen, gerade was „Seelisches Gesundsein“ anlangt, aber da ist die Salutogeneseforschung immerhin auf der Suche nach menschengemäßen Paradigmen, und Goleman hat dazu etwas nicht zu Vernachlässigendes beigetragen. Goleman nimmt, wie Du, zunächst eine Zweiheit in den Blick: “The range of what we think and do is limited by what we fail to notice. And because we fail to notice that we fail to notice there is little we can do to change until we notice how failing to notice shapes our thoughts and deeds.“ Die Betonung liegt zunächst auf “thoughts and deeds“, womit er Denken und Wollen meinen mag, aber er bemerkt zwischen diesen Polen zumindest eine Spielbreite, etwas „dazwischen“, einen Ausgleich, und dort siedelt er sein Konzept von der “emotional intelligence“ an: Manchmal sind die dem gesunden Menschenverstand auf der Hand liegenden Gegebenheiten die sensationellsten und sozial folgenreichsten Entdeckungen der „Psychologie“. Dass eine im Deutschen Idealismus wurzelnde Psychologie das alles längst beschrieben hat, nimmt Goleman überhaupt keine Verdienste, denn Philosophisches heute in eine von positivistischer Empirieerwartung geprägte Fachdiskussion einzubringen ist gar nicht einfach.

Wenn Du von Deiner Zweiheit:
kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
zu der Dreiheit findest, in der «Herz», «Staunen» und «Fühlen» eine Mitte charakterisieren zwischen einem Kopf|Sinne-/Verstehen-/Ratio-Pol und einem Glieder|Verdauung-/Wille-/Weltveränderung-Pol, dann bist Du meines Erachtens dem, was einen - wie Du es problematischer Weise nennst - „heilen Menschen“ ausmacht, sehr nahe.
  • Um es verständlicher zu machen, füge ich hinzu: Deine Worte „Harmonie“ und „Einklang“ verstehe ich so, dass Du so etwas wie ein „heiles“ Verhältnis zwischen Verschiedenartigem und dennoch einander Durchdringendem ja suchst. Nur gilt Dir «Herz», «Staunen», «Fühlen» als ein Pol, während ich meine, es ist eine Mitte zwischen «Kopf», «Verstehen», «Ratio» einerseits und «Hand-und-Fuß», «Bewirken», «Potentia» andererseits.
Ich werde hier im Forum nicht müde darauf hinzuweisen, dass Rilke um diese Dreiheit wusste. Ihm selbst fiel wohl das Ergreifen gerade dieses Wille-Pols nicht leicht. Aber in der „großen Arbeit“ (der Dichtung) hat er sich über alle Maßen darum gemüht. Es war – das wird häufig vorschnell verneint – Rilkes „große Arbeit der Liebe“. Nicht sein Fühlen. Nicht sein Denken. Diese beiden Talente sah er als Auftrag an.

Gruß, l.
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stilz
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heil

Beitrag von stilz »

lilaloufan hat geschrieben: Wenn Du von Deiner Zweiheit:
kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
zu der Dreiheit findest, in der «Herz», «Staunen» und «Fühlen» eine Mitte charakterisieren zwischen einem Kopf|Sinne-/Verstehen-/Ratio-Pol und einem Glieder|Verdauung-/Wille-/Weltveränderung-Pol, dann bist Du meines Erachtens dem, was einen - wie Du es problematischer Weise nennst - „heilen Menschen“ ausmacht, sehr nahe.
und dann schreibst Du, lilaloufan, erklärend von der "Dreiheit"...
und davor von "Salutogenese" (schon wieder ein neues Wort gelernt, danke! :wink: ).

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß man unter "heil" ja nicht in erster Linie "gesund" verstehen muß, sondern daß es kunle hier wohl um "heil und ganz" geht.
Für solches "Heilsein" ist es nicht unbedingt notwendig, finde ich, um "Zweiheiten" oder "Dreiheiten" zu wissen. Ganz ist ganz, und kein "Pol" und natürlich erst recht nicht die "Mitte" sind dabei ausgeklammert.
Solches "Ganz-Sein" macht mir auch sehr klar, wie "heil" und "heil-ig" zusammenhängen.

Das soll nicht heißen, daß ich nicht nachvollziehen kann, was Du, lilaoufan, mit "Dreiheit" von "Fühlen, Denken, Wollen" meinst. Ich schätze es sehr, wie Du das auseinander-setzt, um es dann wieder zusammen-setzen zu können! :lol:

Lieben Gruß!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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lilaloufan
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Ganzheit? Ohne Hand und Fuß?

Beitrag von lilaloufan »

kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
Es geht mir gerade um diese Ganzheit. Das, was kunle hier schreibt, ist keine Ganzheit. Es ist ein ganz bestimmter Ausschnitt, sozusagen der Mensch oberhalb des Zwerchfells.

Die meisten der Menschen, die den "heilen Menschen" in sich nur per "Therapie" oder auch mit umfassender (lebenslanger) Assistenz finden, sind aber nicht in den beiden Bereichen krank, die kunles Satz in den Blick nimmt. Sondern - verkürzt gesagt - im Willen.

Selbstverständlich kann man auf Teile blicken und darin das Ganze verstehen. (So überreicht der Kavalier die Rose; er lässt die Wurzel weg.) Man muss dazu aber wissen, was dieses Ganze, das man verstehen will, in seiner Wesens-Gliederung umfasst. Nicht jedes Detail, aber den funktionalen Aufbau. Sonst geschieht Kurioses: Die Verehrte wird die Rose schlecht behandeln, wenn sie nicht um die Wurzel weiß: Sie wird die Schnittstelle nicht versorgen und die Rose dümmstenfalls in die trockene Vase stellen. Schöner Wuchs und Blütenduft waren zusammen eben nicht dauerhaft ein Ganzes. Nicht falsch verstehen: Eine Rosenblüte kann natürlich als solche ein Ganzes sein.

Auch wer vom Haus nur Dach und Fassade kennt, wird ohne Fundament bauen, mit fatalen Folgen für das vermeintlich Ganze des zunächst ganz ansehnlichen, aber kurzlebigen Bauwerks.

Unter "Hammer" finde ich bei Wikipedia: "Der Hammer besteht aus einem Kopf und einem Stiel". Wenn ich mir einen unbestielten Hammerkopf vergolden lasse, mag ich etwas Wertvolles besitzen, aber keinen Hammer. Der Stiel fehlt. Ein Hammer ist nur Hammer, wenn er diese Zweiheit aufweist. Auch dann, wenn sie aus einem Stück geschmiedet ist.

Aber der, der mit einem Hammer kraftvoll, fachgerecht und wohl gar schöpferisch umgeht, der Mensch, der ist, wenn man ihn als ebenso zweigliedriges Wesen ansehen wollte, einfach nicht zu verstehen. Lausche mal dem Klang der Hämmer auf der Baustelle, beim Zimmermann, beim Dachdecker, beim Steinmetz, auch beim Schmied am Amboss: Man kann diese Dreiheit sogar hören. Der hydraulische und der Druckluft-Nagler geben nur ein einförmiges Geräusch von sich, das sind Maschinen. Aber der Mensch, der mit dem Hand-Werkzeug nicht gerade tolpatschig umgeht, der wird einen Rhythmus entwickeln, bei dem a) Ziel und Dosierung bestimmende Aufmerksamkeit, b) Wucht der Kraftentfaltung und c) Erfühlen des Arbeitsfortschritts im elastischen Ausschwingen des Schlages eine hörbare Dreiheit ergeben. Ja, man kann das geradezu „diagnostisch“ hören! Ich hatte einen Kollegen, der musste beim Kupfertreiben gar nicht auf das Arbeitsergebnis blicken und wusste hörend, wie er die Schüler korrigieren musste. Je nachdem der Kopf mit den Sinnen nicht wach genug dabei war und das Werkzeug die Richtung verlor oder ganz danebenging, oder das Blitzg’scheite sich störend in den Schlag einmischte und den formenden Willen lähmte, oder das Fühlen nicht recht mitträumte, so dass der „fühllos“ harte Schlag deformierte statt zu formen.
kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
Davon allein entstehen nicht klingende Kupferglocken; da muss die Hand beteiligt sein.

Und zwar nicht als Anhängsel einer Zweiheit, sondern als Ausdruck eines dritten Gliedes des Ganzen. Wie man das benennt ist weniger wichtig, aber ignorieren, in seinem Zusammenhang, sollte man’s nicht. Sonst kann man seinen Willen auch nicht verleihen, nicht dem Hammerschlag, nicht dem Mitmenschen in arbeitsteiliger Welt, nicht dem, der einer Entwicklungs-Hilfe bedarf. Wo man vom Willen nichts bemerken will, atrophiert er oder er wird brutal.

In diesem Forum schreib’ ich das ja nicht, um meine Auffassung vom Menschen zu propagieren. Sondern weil Rilke oft pauschal einer Willensschwäche geziehen wird, ein Held der Arbeit sei er nicht gewesen, und hinsichtlich der Frauen sei er unbeständig gewesen, bindungs-unwillig usw. Daher meine wiederholten Hinweise auf die immense Willensleistung Rilkes auch in der Selbstverwandlung.

Gerade angesichts solcher Sätze wie des hier von kunle zitierten scheint mir der Blick auf die Ganzheit RMR gefährdet, auch wenn kunle das auf keinen Fall beabsichtigte, wollte.

Und dennoch: Machen wir nicht aus diesem Nebenthema die Hauptsache! Sonst müsste der Thread heißen: sinn und zweck der interpretation von kunle-beiträgen!

:wink: l.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
helle
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Beitrag von helle »

Etwas »propagieren« will ja keiner in diesem Forum, aber das Wort nimmt möglichen Einwänden vorsichthalber gleich den Wind aus den Segeln, wie der Schlußsatz auch. Hättest Du statt propagieren gesagt, Du wolltest hier Deine Auffassung vom Menschen nicht vertreten, würde man sich doch fragen, warum nicht.

Nun stammt der Ausdruck "Held der Arbeit" von mir (das dürfte Dir wohlbekannt oder, nach den neuen Rechtschreibregeln, wohl bekannt sein) und steht in einem gedanklich sicher bescheidenen (und nur deshalb ausgesparten), aber durchaus ironischen Kontext: »Ein Held der Arbeit«, schrieb ich damals, »war der zarte René sicher nicht, ein tüchtiger Dichter gewiß. Ich bezweifle, daß er so richtig in die Hände gespuckt hat, wenn auf einem der Schlösser mal ein Wasserhahn oder ein Türschloß kaputt ging.«

Ein klarer Fall von Majestätsbeleidigung, dochdoch. Nur, warum das heißen soll, Rilke werde »pauschal einer Willensschwäche geziehen«, bleibt mir unklar. Gar nicht pauschal. Bestimmte Dinge will er »leisten«, wie er so gern sagt, vor allem seinen dichterischen Auftrag, andere nicht. Und erst beides macht ein Ganzes,

so in die Nacht sinniert
von helle
stilz
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Beitrag von stilz »

helle hat geschrieben:...das Wort nimmt möglichen Einwänden vorsichthalber gleich den Wind aus den Segeln, wie der Schlußsatz auch. Hättest Du statt propagieren gesagt, Du wolltest hier Deine Auffassung vom Menschen nicht vertreten, würde man sich doch fragen, warum nicht.
schreibst Du, helle...

:lol:
Diese Diskussion hat schon den richtigen Titel, Sinn und Zweck der Interpretation...
Nun ... es gibt doch einen Unterschied zwischen propagieren (im Sinne von: für etwas werben, etwas aggressiver: agitieren) und vertreten, finde ich.
Daß lilaloufan sein Menschenbild nicht vertritt, was in der Tat sehr merkwürdig wäre (wer sonst, wenn nicht er, sollte sein eigenes Menschenbild vertreten, wo auch immer), davon kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein.
Daß er's nicht propagieren will, nehme ich zur Kenntnis, ebenso, daß er es aus irgendeinem Grund für nötig hält, das extra hinzuschreiben.
Darüber diskutieren läßt es sich ja in jedem Fall!

Dir, helle, stimme ich zu darin, daß auch ich bisher noch nicht das Gefühl hatte, Rilke werde "pauschal einer Willensschwäche geziehen".
Deine "Held der Arbeit"-Äußerung und ihren Kontext hast Du schon selber erklärt.

Zur Bindungs-un-willigkeit möchte ich sagen: Wenn jemand nicht "gebunden" sein will (und das scheint mir bei Rilke tatsächlich der Fall gewesen zu sein), so frage ich mich: wieso sollte darin eine "Willensschwäche" liegen? Ist un-willig nicht etwas fundamental anderes als willens-schwach?

In Bezug auf die "Ganzheit" stimme ich Euch beiden zu: zu Rilkes Ganzheit gehört es nunmal dazu, daß er die Häuser, in denen er gelebt hat, nicht mit eigenen Händen aufgebaut hat (was ich allerdings auch nicht von ihm verlange. Ich muß gestehen, daß es etliche Arbeiten gibt, die ich selber sehr gern meinem Mann überlasse :wink: ).
Und was Du, lilaloufan, über den "heilen Menschen" sagst, der nicht nur aus Ratio und Gefühl besteht, sondern zu dessen Ganzheit eben auch der Wille, das Tun, Hand und Fuß, gehören ---- das trifft sich jedenfalls sehr mit meinem eigenen Menschenbild (das ich ebenfalls zwar vertreten, nicht aber propagieren will...).
Und was Rilkes "Handwerkszeug" war, ist ja auch klar. Er nennt es selbst:
...als Arbeiter muss Ihnen immerhin die Erfahrung eines gewissen Könnens innewohnen, und die Freude am Gut-Machen einer Sache kann Ihnen nicht so ganz fremd geblieben sein. Wenn Sie einen Augenblick von diesem guten, verlässlichen Boden aus auf das Gewoge Ihrer schriftlichen Leistungen hinausblicken, so wird Ihnen nicht entgehen, wie sehr dort der Zufall mit Ihnen spielt und wie wenig Sie sich erzogen haben, die Feder als das zu gebrauchen, was sie vor allem ist: als ein redliches, genau beherrschtes und verantwortetes Werkzeug.

Lieben Gruß!

stilz


P.S.: ... nur so in die Wolken geschrieben :wink: :
Wie ist es denn eigentlich mit dem Wind und den Segeln bei Deinem, helle, eigenen Schlußsatz so in die Nacht sinniert ? ;-) :wink:
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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