Rilke: Liebes-Lied

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

helle
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Beitrag von helle »

Hallo steffi,

viele von denen, die dieses Forum regelmäßig besuchen und darin schreiben, werden irgendwann bei einer Schüleranfrage mal grantelig, obwohl die Diskussionen andererseits auch von solchen Anfragen leben. Wenn man so fragt wie Du, und sich seine eigenen Gedanken zum Thema macht, gibt es hier meistens auch Antworten, das sieht man ja, und manchmal auch längere Gespräche, »thread« heißt das ja jetzt und ich werde es nicht aufhalten, daß sich der Begriff etabliert, aber ich finde ihn doof.

Das eine ist Rilkes Verhältnis zur Musik, das andere ist die Metapher der Musik, wie im »Liebeslied« – beides muß nicht unmittelbar zusammenhängen. Rilke hat erst spät zum Verständnis der Musik gefunden und war weit von dem, was man einen Kenner nennt. Er hatte aber Freundinnen oder Bekannte, die musizierten, so die Gräfin Sidonie Nádherny, die auf ihrem Schloß in Böhmen vor allem Beethovensachen spielte, die bei Rilke hängenblieben oder spät die Geigerin Alma Moodie, die für ihn in den Räumen von Muzot Bach spielte, und vor allem die Pianistin Magda von Hattingberg, mit der er 1914 eine kurze und stürmische Liaison hatte, eine Schülerin des Komponisten Ferruccio Busoni, der Rilke (dem »Musiker in Worten«) 1907 eine seiner musiktheoretischen Schriften gewidmet hatte; diese persönlichen Bekanntschaften veränderten und formten Rilkes Haltung zur Musik, der er zunächst und lange Zeit äußerst schüchtern und mißtrauisch gegenübergestanden und deren verführende Gewalt er gefürchtet hatte. Da ist schon eine Analogie von Musik und Liebe wie im »Liebeslied«.

Außerdem besteht von früh an eine gewisse Beziehung zur Musik, weil Rilke ein hörender Mensch war und natürliche Klänge und Laute und auch den Lärm der Welt in besonderer Weise wahrnahm, und Musik nicht nur der Stimme und den Instrumenten und meinethalben dem Wind und den Sphären, sondern auch den Dingen zusprach. Und er begreift sich als Sänger und sein dichterisches Tun als Gesang, zwar in einem übertragenen Sinn, aber kategorisch ist das von der Musik auch wieder nicht zu trennen, auch wenn für Rilke diese beiden Seiten erst gegen Ende seines Lebens zusammenfallen.

Ich glaube, die Verschränkung, das Ineinanderblenden von Liebe und Musik im »Liebeslied« kommt weniger aus der Überlegung als aus dem Gefühl. Verliebte haben so etwas wie gemeinsame Schwingungen, das ist mehr als eine Metapher, vielleicht so etwas wie ein elektrostatisches Phänomen, auch wenn Rilke diese Empfindung sprachlich natürlich als Metapher ausführt. Darum bin auch entschieden anderer Auffassung als Du, was den letzten Vers angeht. Rilke ist, wie gliwi sagt, selten ironisch, aber wenn er es ist, ist das unmißverständlich und schillert nicht so herum. Hier ist er's nicht, sondern hier sind zwei Personen derart von einer höheren Gewalt erfaßt, daß sie fast willenlos sind, nur Instrumente, die ein anderer betätigt (da liegt das Dilemma, das stimmt wiederum), vielleicht nicht der liebe Gott, aber der Liebesgott bzw. wie zwei Saiten auf seiner Fidel. Nun hat Rilke es andererseits nicht ungern, sich etwas Höherem zu beugen, das darf dann auch süß sein.

So seh ich's, stimmen, um im Bild zu bleiben, muß das deswegen noch nicht.
Gruß
h.
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Volker
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Beitrag von Volker »

Hallo Steffi,

nur ein paar Anmerkungen zu deinen 3 Fragen:

1) Hatte Rilke eine besondere Beziehung zu Musik?
Weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, aber ich glaube nicht, dass er keine Beziehung zu Musik hatte. Jemand der Sonette an Orpheus schreibt, muss wohl Musik lieben und zumindest ahnen, wie eine Leier klingt. Jemand der weiß, wie ein Geiger mit einem Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht eine mehrstimmige Melodie erklingen läßt, der muss schon einiges von Musik verstehen bzw. erlebt haben, wie Musik gemacht wird.

2) Das "Mitschwingen" sein Lebensdilemma.... Was ist damit gemeint?
Wieso "Lebensdilemma"? Mir scheint, er beschreibt dies Mitschwingen durchaus positiv. Vielleicht ist es sogar gewollt. Ganz bestimmt aber erlebt er es nicht ohne Genuss. :wink: -
Allerdings merkt er auch, dass ihn dies Mitschwingen von anderen Dingen (wohl von seiner Arbeit) abhält. Insofern schon ein gewisses Dilemma. Vermutlich aber nur vorübergehend. :wink:

3) Der letzte Vers "O süßes Lied": Wahrheit oder Ironie?
Auf keinen Fall Ironie. Er genießt es doch , das süße Lied!.
Aber wie eine schöne Musik kann auch das gleichzeitig schmerzhaft sein. Schön und schmerzhaft eben.

Soweit meine unmaßgebliche Meinung. :)
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gez. Volker
steffi**
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Beitrag von steffi** »

Hallo nochmal! Vielen Dank für eure Antworten! Ihr habt mir doch einen recht guten Einblick in dieses Gedicht gegeben, vorallem, da ich durch eure Erläuterungen das Gedicht ganz anders verstehen kann. Also von meiner Seite aus wär's das dann ;) aber ich würde mich natürlich geehrt fühlen, wenn ihr noch etwas länger über meine hochinterlektuellen Fragen diskutieren möchten :D
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Also Volker, das hast du sehr schön gesagt: schön und schmerzhaft zugleich.
Das trifft es genau.
Hallo lilaloufan, wie macht man das technisch, was du hier gemacht hast, ich glaube es heißt "verlinken"? Das würde ich auch gern können, gerade für so Anfragen ist das ja sehr praktisch.
Gruß
gliwi
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Volker
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Beitrag von Volker »

@gliwi
gliwi hat geschrieben:Also Volker, das hast du sehr schön gesagt
Liebe gliwi, das wäre aber jetzt nicht nötig gewesen :wink:

linken:
normalerweise so:
Gewünschten Forumsbeitrag mit SUCHE finden. Link kopieren.
Dann im Editierfenster auf URL klicken, link einsetzen, also "http:// usw", dann wieder URL klicken
Das Ganze erscheint dann im Forumfenster z.B. so:
http://rilke.de/phpboard/viewtopic.php?t=2133

Wenn nicht die "http:// usw" Schreibweise erscheinen soll, kannst du den link in die eckigen Klammern beim ersten einsetzen. Danach einen beliebigen Tex ... er klicken

Hört sich alles wohl komplizierter an als es ist.
Ist letzten Endes aber nur ein bißchen optische Spielerei.
Ich hab' auch Verstand.©
gez. Volker
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lilaloufan
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linken

Beitrag von lilaloufan »

Danke, Volker! Und ich hab' hin- und her-überlegt*, wie ich gliwi Screenshots schicken könnte :)
*: "dribber simuliert", sagen die Frankfurter :)
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stilz
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Beitrag von stilz »

Ich freu mich sowohl über lilaloufans links auf die bisherigen "Musik-Gespräche" als auch über helles Hinweise... danke! Das mit Busoni war mir ganz neu.

Und noch ein technischer Tip: wann immer man gern wüßte, wie jemand etwas gemacht hat in seinem posting, dann kann man das ganz leicht "ausspionieren", indem man oben rechts auf "zitat" klickt. Dann erscheint das gesamte posting, natürlich eingerahmt von der "quote-Funktion", mit allen eckigen Klammern und "URLs", so, wie es eben funktioniert hat...

:lol:

Lieben Gruß

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Vielen Dank allerseits, besonders an Volker! :D "Simliere" sagt man übrigens im Badischen auch.
Schönen Pfingstmontag noch! Und zur Wettersitutation eines meiner Lieblingsgedichte, nicht von Rilke, sondern von Hilde Domin:

Im Regen geschrieben

Wer wie die Biene wäre,
die die Sonne
auch durch den Wolkenhimmel fühlt,
die den Weg zur Blüte findet
und nie die Richtung verliert,
dem lägen die Felder in ewigem Glanz,
wie kurz er auch lebte,
er würde selten
weinen.

Gruß
gliwi
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