"bösartig", "Gebell"... wie seltsam, in diesem Zusammenhang!
Ich möchte dazu nur sagen: mir persönlich ist es gleichgültig - und ich meine damit:
gleich gültig -, wer und aus welchen Motiven heraus jemand eine Frage ins Forum stellt.
Ich freue mich einfach über die Gelegenheit, diese Frage auch mir selbst zu stellen, das, was dabei herauskommt, mit-zu-teilen und zu lesen, was andere dazu sagen...
Vielleicht ist das ein bisserl naiv von mir, und die erhabenen Gedanken, die ich hier äußere
, werden tatsächlich irgendwo dort draußen in der Welt zu düsteren Zwecken "mißbraucht". Na, aber ich bin ja schließlich auch nicht "vom Fach", ich finde, da kann mir das egal sein.
Noch zu Deiner, Andrea, Ablehnung des Wortes "Meinung", weil damit etwas "relativiert" werden könnte... ich verstehe, glaube ich, Deine Abneigung dagegen.
Dennoch möchte ich dieses Wort auch weiterhin verwenden, für mich drückt es in erster Linie aus, was Du in einer Klammer schreibst:
ich könnte mich irren... --- und das heißt, ich stehe zwar dazu, was ich sage und gesagt habe, aber es ist nicht "unumstößlich", ich kann auch zu anderen Meinungen hin überzeugt werden. - Das allerdings kann nur im gegenseitigen Austausch passieren, also wenn ich mit anderen in Beziehung, Relation, trete... na, und in dieser Hinsicht gefällt mir "Relativieren" doch wieder sehr gut...
Zum Thema:
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Für die erste Zeile entscheide ich mich für eine Synthese aus den von Andrea/lilaloufan und gliwi favorisierten Möglichkeiten.
Auch ich finde, "ES ist ZEIT" ist irgendwie größer und bedeutungsvoller als "es ist ZEIT", dieses ES hat mehr Raum um sich als gliwis unbetontes... Andreas "es trägt mehr Pathos" gefällt mir nicht so sehr, wohl weil "Pathos" in mir etwas Künstliches, Aufgesetztes anklingen läßt, und das finde ich in diesem Gedicht überhaupt nicht.
Also betontes "ES".
Allerdings gebe ich auch gliwi recht, denn "HERR" ist für mich auch nicht bloß eine unbetonte Einleitungssilbe, sondern eine bewußte Anrede, die "Aufforderung" dieses Gedichtes richtet sich nicht an Gärtner und Obstverkäufer...
Und auch mir scheint der Doppelpunkt eine Pause nach "HERR" zu verlangen.
Ich kümmere mich also wenig um Jamben oder alternierendes Versmaß und lese:
HERR: --- ES ist ZEIT.
Dann geht es "alternierend" weiter, allerdings mit einigen Ausnahmen, die ich wieder nicht nur rein sprachlich, sondern auch inhaltlich verstehe:
Die Anfänge der Zeilen 2, 5 und 6 betone ich, also "LEG", "GIEB", "DRÄNGe".
Ebenso wie in Zeile 4 (da allerdings heißt es "BeFIEHL" und kann daher "alternierend" bleiben) handelt es sich dabei um direkte Aufforderungen an den HERRN.
Das Ungewöhnliche daran, mit Gott sozusagen im Imperativ zu sprechen, will Rilke nicht nur nicht verstecken, sondern sogar herausstreichen, daher gibt es an diesen Stellen einen "Bruch" im Versmaß.
Und auch in der letzten Zeile finde ich einen solchen "Bruch", ich lasse zwei Hebungen aneinanderstoßen und lese:
UNRUHig
denn das drückt für mich am allerbesten aus, was ich in dieser Zeile empfinde: es ist nicht nur Unruhe, sondern so etwas wie Haltlosigkeit... sogar der scheinbare Halt, den ein Versmaß bieten kann, ist verlorengegangen...
Unabhängig davon, ob der ursprüngliche Fragesteller noch einmal auftaucht, würde mich sehr interessieren, was Ihr zu meiner "Lesart" sagt!
Ingrid