Keine Therapeutisierung der Kunst!
Verfasst: 22. Jun 2006, 15:34
In einem Gespräch über die Paradigmen „helfender Berufe“ habe ich dieser Tage mich ausgetauscht über die Frage nach Lebenshilfe durch Kunst, im Speziellen - etwas überspitzt formuliert: - „Rilke als ’Seelsorger’“. Ich war der Meinung, ein Gedicht ist Kunst, ist zunächst nicht dazu da, die Seele des Lesenden zu ordnen, aber: es kann zu Recht vom Lesenden und auch vom Vermittelnden dazu geeignet gemacht werden. Eine Kollegin vertrat die Auffassung, der Dichter selbst stelle - darum wissend[!] - das für ihn selbst als ordnend Erlebte in seiner gültigsten Form einer Leserschaft zur Verfügung, als Heilmittel gewissermaßen.
Daran haben sich zunächst ein paar Missverständnisse entzündet, die wir jetzt geklärt haben, und ich möchte nun das Thema hier zur allgemeinen Diskussion stellen.
Die beiden Textstellen, die uns da weiterhalfen, will ich hier nennen:
«Sie überschätzen gewiss überaus, was den Einfluss meiner Bücher angeht, seine Kraft und Leistung in Ihnen; kein Buch, sowenig wie ein Zuspruch, vermag etwas Entscheidendes, wenn der, den es trifft, nicht durch ganz Unabsehliches vorbereitet ist für eine tiefere Aufnahme und Empfängnis: wenn nicht seine Stunde der Einkehr ohnehin gekommen ist. Die in die Mitte des Bewusstseins zu rücken, genügt dann das oder dies: manchmal ein Buch oder Kunstding, manchmal der Aufblick eines Kindes, die Stimme eines Menschen oder eines Vogels, ja, unter Umständen ein Geräusch des Windes, ein Krachen im Fußboden, - oder, da man noch am Kaminfeuer saß (was ich ab und zu tat im Leben), ein Hineinschauen in die Verwandlungen der Flamme. Alles dies und noch viel Geringeres, scheinbar Zufälliges, kann ein Sich-Finden oder Sich-Wieder-Finden (…) veranlassen und bestärken -, die Dichter, ja, ab und zu mögen auch sie unter diesen guten Anlässen sein…» (Brief an Ilse Blumenthal-Weiß, 28.XII.1921)
An der anderen Stelle, fast drei Jahre später, in einem Brief an Professor Hermann Pongs, spricht Rilke von der völligen «Unlust, ja Abneigung, irgend jemandes Lage zu verändern oder, wie man sich ausdrückt, zu verbessern» und schreibt: «Niemandes Lage in der Welt ist so, dass sie seiner Seele nicht eigentümlich zustatten kommen könnte … Und ich muss gestehen, mir ist, wo ich an anderem Schicksal teilzunehmen genötigt war, immer vor allem dies wichtig und angelegentlich gewesen: dem Bedrückten die eigentümlichen und besonderen Bedingungen seiner Not erkennen zu helfen, was jedes Mal nicht so sehr ein Trost als eine (zunächst unscheinbare) Bereicherung ist. Es scheint mir nichts als Unordnung zu stiften, wenn die allgemeine Bemühung (übrigens eine Täuschung!) sich anmaßen sollte, die Bedrängnisse schematisch zu erleichtern oder aufzuheben, was die Freiheit des anderen viel stärker beeinträchtigt, als die Not selber es tut, die mit unbeschreiblichen Anpassungen und beinahe zärtlich dem, der sich ihr anvertraut, Anweisungen erteilt, wie ihr – wenn nicht nach außen, so nach innen – zu entgehen wäre. Die Lage eines Menschen bessern wollen setzt einen Einblick in seine Umstände voraus, wie nicht einmal der Dichter ihn besitzt, einer Figur gegenüber, die aus seiner eigenen Erfindung stammt. Wieviel weniger noch der so unendlich ausgeschlossene Helfende, dessen Zerstreutheit mit seiner Gabe vollkommen wird. Die Lage eines Menschen ändern, bessern wollen, heißt, ihm für Schwierigkeiten, in denen er geübt und erfahren ist, andere Schwierigkeiten anbieten, die ihn vielleicht noch ratloser finden. Wenn ich irgendwann die imaginären Stimmen des Zwerges oder des Bettlers in der Form meines Herzens ausgießen konnte, so war das Metall dieses Gusses nicht aus dem Wunsche gewonnen, der Zwerg oder der Bettler möchten es weniger schwer haben; im Gegenteil, nur durch eine Rühmung ihres unvergleichlichen Schicksals vermochte der zu ihnen plötzlich entschlossene Dichter wahr und gründlich zu sein, und er müsste nichts mehr fürchten und ablehnen als eine korrigierte Welt, darin die Zwerge gestreckt sind und die Bettler bereichert.» (21.X.1924; das Zitat geht noch spannend weiter.)
[Die Überschrift hier ist geklaut auf der Site http://www.blaumeier.webmen.de/kuenste.htm ; man wird dort gewiss nichts dagegen haben.]
Daran haben sich zunächst ein paar Missverständnisse entzündet, die wir jetzt geklärt haben, und ich möchte nun das Thema hier zur allgemeinen Diskussion stellen.
Die beiden Textstellen, die uns da weiterhalfen, will ich hier nennen:
«Sie überschätzen gewiss überaus, was den Einfluss meiner Bücher angeht, seine Kraft und Leistung in Ihnen; kein Buch, sowenig wie ein Zuspruch, vermag etwas Entscheidendes, wenn der, den es trifft, nicht durch ganz Unabsehliches vorbereitet ist für eine tiefere Aufnahme und Empfängnis: wenn nicht seine Stunde der Einkehr ohnehin gekommen ist. Die in die Mitte des Bewusstseins zu rücken, genügt dann das oder dies: manchmal ein Buch oder Kunstding, manchmal der Aufblick eines Kindes, die Stimme eines Menschen oder eines Vogels, ja, unter Umständen ein Geräusch des Windes, ein Krachen im Fußboden, - oder, da man noch am Kaminfeuer saß (was ich ab und zu tat im Leben), ein Hineinschauen in die Verwandlungen der Flamme. Alles dies und noch viel Geringeres, scheinbar Zufälliges, kann ein Sich-Finden oder Sich-Wieder-Finden (…) veranlassen und bestärken -, die Dichter, ja, ab und zu mögen auch sie unter diesen guten Anlässen sein…» (Brief an Ilse Blumenthal-Weiß, 28.XII.1921)
An der anderen Stelle, fast drei Jahre später, in einem Brief an Professor Hermann Pongs, spricht Rilke von der völligen «Unlust, ja Abneigung, irgend jemandes Lage zu verändern oder, wie man sich ausdrückt, zu verbessern» und schreibt: «Niemandes Lage in der Welt ist so, dass sie seiner Seele nicht eigentümlich zustatten kommen könnte … Und ich muss gestehen, mir ist, wo ich an anderem Schicksal teilzunehmen genötigt war, immer vor allem dies wichtig und angelegentlich gewesen: dem Bedrückten die eigentümlichen und besonderen Bedingungen seiner Not erkennen zu helfen, was jedes Mal nicht so sehr ein Trost als eine (zunächst unscheinbare) Bereicherung ist. Es scheint mir nichts als Unordnung zu stiften, wenn die allgemeine Bemühung (übrigens eine Täuschung!) sich anmaßen sollte, die Bedrängnisse schematisch zu erleichtern oder aufzuheben, was die Freiheit des anderen viel stärker beeinträchtigt, als die Not selber es tut, die mit unbeschreiblichen Anpassungen und beinahe zärtlich dem, der sich ihr anvertraut, Anweisungen erteilt, wie ihr – wenn nicht nach außen, so nach innen – zu entgehen wäre. Die Lage eines Menschen bessern wollen setzt einen Einblick in seine Umstände voraus, wie nicht einmal der Dichter ihn besitzt, einer Figur gegenüber, die aus seiner eigenen Erfindung stammt. Wieviel weniger noch der so unendlich ausgeschlossene Helfende, dessen Zerstreutheit mit seiner Gabe vollkommen wird. Die Lage eines Menschen ändern, bessern wollen, heißt, ihm für Schwierigkeiten, in denen er geübt und erfahren ist, andere Schwierigkeiten anbieten, die ihn vielleicht noch ratloser finden. Wenn ich irgendwann die imaginären Stimmen des Zwerges oder des Bettlers in der Form meines Herzens ausgießen konnte, so war das Metall dieses Gusses nicht aus dem Wunsche gewonnen, der Zwerg oder der Bettler möchten es weniger schwer haben; im Gegenteil, nur durch eine Rühmung ihres unvergleichlichen Schicksals vermochte der zu ihnen plötzlich entschlossene Dichter wahr und gründlich zu sein, und er müsste nichts mehr fürchten und ablehnen als eine korrigierte Welt, darin die Zwerge gestreckt sind und die Bettler bereichert.» (21.X.1924; das Zitat geht noch spannend weiter.)
[Die Überschrift hier ist geklaut auf der Site http://www.blaumeier.webmen.de/kuenste.htm ; man wird dort gewiss nichts dagegen haben.]