Garten-Frage

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

mimi
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Garten-Frage

Beitrag von mimi »

hallo,
ich weiss, ihr seid nicht gerade glüklich, wenn man euch um einen Interpretations -gefallen bittet. Ich verstehe dies auch vollkommen. Doch ich bitte euch trotzdem um eure Hilfe. Könnte mit jemand vielleicht erklären, was Rilke in seinem Gedicht "ich will ein Garten sein" aussagen möchte?? Hat das auch wieder etwas mit einem Lebensdilemma zutun?
ich danke euch und
mit lieben Grüssen
Noemi
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Noemi,
1. ich für meine Person bin schon froh, wenn ich nicht mit "hi" angeredet werde.
2. Was ich nicht mag - und einige andere hier auch nicht -,ist, wenn jemand eine fix und fertige Interpretation geliefert haben möchte, und das meistens auch noch "Suuuperdringend". Da liegt der Verdacht nahe, dass die Person selbst keinen Gedanken an das Gedicht verschwendet.
3. Wo ich persönlich gerne einsteige, ist, wenn jemand sich mit einem Gedicht auseinandersetzt und dann hier entsprechende konkrete Fragen einbringt, so wie du jetzt zum Dilemma. Ich kann aber nichts mit deiner Äußerung "auch wieder" anfangen - worauf beziehst du dich da?
4. Spontane Gedanken zu diesem Gedicht: Spätromantisch. Es erinnert mich an Eichendorff: "Kaiserkron und Päonien rot/ die müssen verzaubert sein." Bei Eichendorff rauschen nämlich auch immer Brunnen im Garten und Menschen sind eingeschlafen. Von einem Dilemma kann ich hier nichts entdecken. "Ich will ein Garten sein...", ein schönes Bild. Schwierig wird es mit denen, die in diesem Garten sich aufhalten. Sie benehmen sich nämlich wie Menschen, brechen Blumen, sprechen miteinander (paradoxerweise "schweigsam"), schlafen auch, und zwar tief, denn sie sind "Betäubte", aber es sind keine Menschen, sondern "Träume". Darüber müsste ich noch nachdenken, aber vielleicht wissen andere hier mehr darüber.
Gruß
gliwi
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mimi
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Beitrag von mimi »

hallo gliwi,
ich danke die für deine Antwort. Wie gesagt, ich verstehe es,dass es nicht angenehm ist, wenn man nur als Interpretations-Maschine gesehen wird.
ich habe schon recht viele Gedichte von Rilke interpretiert, und unteranderem auch das Liebes-Lied, welches für mich sein Lebensdilemma wiederspiegelt. Deswegen habe ich "auch wieder" geschrieben. Tschuldigung...wenn ich lange an etwasem herum denke, merke ich gar nicht, dass die anderen meine Gedanken ja gar nicht kennen :oops:
ich denke mir, er möchte ein Garten sein, weil er so, die vielen Träume, oder eben die Menschen, zwar um sich hat und ihnen lauschen kann und so nicht ganz einsam ist, doch diese sich nicht kümmern, welche Geräusche der Garten (also er) von sich gibt. und er so jene Geräusche machen kann, welche ihm gefallen, und nicht solche, welche andere hören möchten.
Meinst du, ich bin so auf dem richtigen Weg, oder bin ich auf der völlig falschen Fährte?
Ganz liebe Grüsse
Noemi
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Ja, da spricht meiner Meinung nach nichts dagegen. Oben, in den Wipfeln, äußert er sich mit Worten, die unten als Rauschen wahrgenommen werden. Zu diesem bild assoziiere ich Verse von Celan: "...Es sind noch Lieder zu singen/jenseits der Menschen."
Gruß
gliwi
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gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Mimi,
leider hat noch niemand anderes einsteigen mögen - es kommt immer viel mehr heraus, wenn man zu mehreren ein Gedicht diskutiert.
Ich denke, auch bereits bei Eichendorff sind es Traumgestalten, die seine Gärten mit den rauschenden Brunnen bevölkern. "Garten" bedeutet etwas Umfriedetes, Schützendes. Die Situation ist unwirklich. Bringt uns das weiter?
Gruß
gliwi
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stilz
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Beitrag von stilz »

Sehr gerne steige ich auch noch ein, überhaupt, weil ich das Gedicht bisher nicht kannte und wunderschön finde! Danke dafür!

Du, mimi, schreibst:
er möchte ein Garten sein, weil er so, die vielen Träume, oder eben die Menschen, zwar um sich hat und ihnen lauschen kann und so nicht ganz einsam ist
.

Ich glaube, das "lyrische Ich" in diesem Gedicht will noch viel mehr: es will die Träume (nicht die Menschen) mit seinem "Bronnen" nähren, es will sie beim "Schreiten" behutsam unterstützen, indem es "mit Worten wie mit Wipfeln" rauscht, und es will ihnen schließlich "in den Schlummer lauschen".

Für mich geht es nicht darum, daß das "Ich" jene Geräusche machen kann, welche ihm gefallen, und nicht solche, welche andere hören möchten, sondern es bemüht sich, diesen Garten so zu gestalten, daß sich die Träume darin wohlfühlen und gern darin verweilen möchten.

Das alles hat für mich etwas sehr "Behütendes", und es klingt auch die Hoffnung darin an, zum "Lohn" für dieses Behutsame dann ein besonderer Vertrauter dieser Träume sein zu dürfen...

Von einem "Lebensdilemma" kann ich hier eigentlich nichts entdecken.


Liebe Grüße!

stilz
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lilaloufan
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Beitrag von lilaloufan »

stilz hat geschrieben:Ich glaube, das "lyrische Ich" in diesem Gedicht will noch viel mehr: es will die Träume (nicht die Menschen) mit seinem "Bronnen" nähren, es will sie beim "Schreiten" behutsam unterstützen, indem es "mit Worten wie mit Wipfeln" rauscht, und es will ihnen schließlich "in den Schlummer lauschen".

Für mich geht es nicht darum, daß das "Ich" jene Geräusche machen kann, welche ihm gefallen, und nicht solche, welche andere hören möchten, sondern es bemüht sich, diesen Garten so zu gestalten, daß sich die Träume darin wohlfühlen und gern darin verweilen möchten.

Das alles hat für mich etwas sehr "Behütendes", und es klingt auch die Hoffnung darin an, zum "Lohn" für dieses Behutsame dann ein besonderer Vertrauter dieser Träume sein zu dürfen...

Von einem "Lebensdilemma" kann ich hier eigentlich nichts entdecken.
Ja, dem mag ich mich gerne anschließen. Ein solches „Ich will…“, das dann viel später bei Rilke gipfelt in dem: „Erde, du liebe, ich will!“, hat ja das instinktive „Ich will aber!“ des trotzenden Kindes, auch das begehrliche „Ich will endlich“ des Ausgehungerten, das strategische „Ich will unbedingt“ des leidenschaftlichen Liebeswerbers und sogar das versessen idealistische „Ich will einzig“ dessen überwunden, der aus seinen Lebensmotiven fundamentalistische Grundsätze geschmiedet hat. „Ich will ein Garten sein“, ein solches Wort hat den Schritt vom Eigenwillen zum „Herr, dein Wille geschehe!“ vollzogen, nicht in der Stimmung einer schwächlichen Ergebenheit, sondern in der Autarkie dessen, der erlebt: Wer den Himmeln zur Verfügung steht, zählt selbst zu den Göttern, die Himmel und Erde bewohnen.

Auch ich entdecke nicht dein „Dilemma“, @mimi, (und du trübtest dein Verstehen, wenn du das zum einen Mal Passende auch ein andermal aufzufinden hofftest). Es mag sein, dass du etwas als Dilemma erlebst, was als Gegensatzgefüge tatsächlich in diesem Gedicht ist, ausgespannt in zwei Polaritäten:
a) die einen „Träume“ sind Einzelne, die anderen Geeinte
b) die einen „Träume“ sind Schreitende, die anderen Ruhende
und dort, wo die Wegachsen dieses „Blumengartens“ kreuzen, glänzt der erquickende „Brunnen“ auf.
Das sind die Bilder, aber wer spricht sie aus? Dort, @stilz, wo du beharrlich und zu Recht nicht die Dichterpersönlichkeit, sondern das durch sie geoffenbarte „lyrische Ich“ Worte finden hörst, heißt es: Dieses will ein Garten sein, darin die Träume [nicht Menschen, d’accord!].
Ist Rilkes „lyrisches Ich“ - durchaus nicht Träumer - hier nur ein Irgendwer? Oder ein Menschheitliches? Wer „will“ Garten werden, nach und nach? Garten für welches hier lustwandelnd Bewegte, dort zugleich konzentriert Ruhende? Für was nur, was da vorkommt zum einen als individuabel, unteilbar, weil allein, und zum anderen gesellt in Einigkeit Vieler?

Ich will diese Fragen in diesem Beitrag gar nicht beantworten, denn – ich weiß! – meine „Antworten“ klingen oft viel viel „fertiger“ als ich sie je meinte. Aber ich will euch verstehbar machen, dass ich sie so stelle. Auch das heißt nicht: Nur so dürfe man sie stellen.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
helle
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Beitrag von helle »

Ich will ein Ketzer sein, aber das geht mir zu schnell. Eben schreibt der junge Rilke noch an den Papa "Ich will bei meiner Arbeit emsig walten", wogegen nichts zu sagen ist, nun will er schon so willenlos, daß er "den Himmeln zur Verfügung steht" und beinah selbst "zu den Göttern zählt, die Himmel und Erde bewohnen." Was will er denn eigentlich sagen in diesem Gedicht von 1897, also aus der Zeit vorm Stundenbuch, die Rilke später selbst etwas argwöhnisch betrachtet? Mir ist das durchaus unklar.

Das lyrische Ich, der Sprecher des Gedichts "will ein Garten sein". Ein Garten, "an dessen Bronnen" (die antikisierende Form tut's um des Reimes willen) "die vielen Träume neue Blumen brächen". Hier stört mich zunächst die Selbstverständlichkeit der "vielen Träume", aber gut, ein Garten lädt zum Träumen ein, und dann stört mich der Konjunktiv "brächen" (um des Reimes willen?!) nach dem Indikativ "Ich will". Wie die Träume Blumen brechen, was diese Metapher meint, bleibt mir verschlossen. Ich will das Gedicht nicht diskreditieren, ich nehme es ernst und frage nach den grammatischen Bezügen und der poetischen Ordnung: "die einen abgesondert und versonnen, /und die [anderen?] geeint in schweigsamen Gesprächen" – die einen: offenbar die "Träume" und nicht die "Blumen". Also diese Träume bilden zwei Gruppen: abgesondert und versonnen die eine, die andere "geeint in schweigsamen Gesprächen". Das "anderen", das man in Gedanken ergänzen muß, fehlt vermutlich aus metrischen Gründen, das erschwert das Verständnis, überdies halte ich "versonnen" und "schweigsame Gespräche" auch nicht für rechte Gegensätze. Und es erinnert mich, mit Verlaub, das Bild der "schweigsamen Gespräche" an "Dunkel wars, der Mond schien helle", wo es ähnlich heißt: "schweigend ins Gespräch vertieft".

In Str. 2 geht's weiter mit dem Pronomen "sie" – offenbar die "Träume", das etwas verschleierte Gedichtsubjekt. Also sie brechen am Bronnen Blumen, die "Träume" des Gedichts und einige von ihnen "schreiten" und andere "ruhen", sie sind anthropomorph, sie erinnern sehr an Personen. Es mag Beckmesserei sein, aber müßte es nicht heißen "über ihren Häuptern"? Dort, so lege ich es aus, wo die Träume schreiten, genauer: darüber, will das lyrische Ich "mit Worten wie mit Wipfeln rauschen" – es will wohl die Sprache der Natur sprechen jenseits der Bedeutungen, manchmal kann ich solche Wünsche gut verstehen, beim Fußball gucken oder in den Werbepausen. Wer aber sind die "Betäubten"? Sind es nun Menschen oder sind es noch immer Träume (aber Träume schlummern ja nicht), und warum eigentlich betäubt und wovon? Schließlich "will" das Bewußtsein, der Sprecher des Gedichts mit seinem "Schweigen in den Schlummer" – doch wohl der Betäubten – "lauschen". Ich weiß nicht, wer die "Betäubten" sind, und wie sie sich äußern, so daß man ihnen "in den Schlummer" lauschen kann, auch kommt mir das indiskret vor. Das alles sind so Fragen. Ich will keinem die Freude an diesen Versen nehmen, aber ich finde sie diffus und dunstig, mehr von Reimschema und Stimmungen diktiert als von Gedanken.
stilz
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Beitrag von stilz »

Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen
die vielen Träume neue Blumen brächen,
die einen abgesondert und versonnen,
und die geeint in schweigsamen Gesprächen.

Und wo sie schreiten, über ihren Häupten
will ich mit Worten wie mit Wipfeln rauschen,
und wo sie ruhen, will ich den Betäubten
mit meinem Schweigen in den Schlummer lauschen.




Zuerst einmal:
Ich freu mich sehr, helle, über Deinen "ketzerischen" Beitrag! Denn er gibt mir Gelegenheit, noch genauer zu erzählen, wie ich das Gedicht verstehe.

Zu dem konkret von Dir Angesprochenen:

"Ich will..." und dann der Konjunktiv "brächen":
Mich stört dieser Konjunktiv nur dann, wenn ich diese Zeilen ausschließlich vom grammatikalischen Standpunkt aus lese. Aber auf so eine Idee bringst erst Du mich. Vorher war es selbstverständlich:
Ich will ein Garten sein... aber ich bin es nicht... also, wenn ich es wäre, dann hätte ich einen "Bronnen", an dem die Träume (und ich wünsche mir, daß es "viele" sein mögen) "neue Blumen" brächen.
Oder auch: ich will ein Garten sein, ich bin ein Garten, und es gibt diese Quelle in mir, und ich wünsche mir, daß die Träume kommen und sich bedienen mögen...

Diese "neue Blumen brächen"-Metapher heißt für mich:
Mir ist es nicht genug, daß es Träume gibt, die den Menschen im Schlaf kreative Phantasiegebilde spendieren. Sondern ich kann das auch, ich habe sogar so viele solcher "Blumen", daß ich die Träume einlade, sich welche davon zu nehmen...

Und ist es nicht genau das, was ein Dichter - und Rilke ganz besonders, finde ich jedenfalls! - schließlich tut: er streut seine "Blumen" aus, für die Leser, und er spricht nicht in erster Linie die "Gedanken" dieser Leser an, sondern eben auch etwas in ihnen, das ich als "Traumbewußtsein" bezeichnen möchte. Deshalb scheint es auch so gut zu passen, daß Du die Verse
diffus und dunstig findest, mehr von Reimschema und Stimmungen diktiert als von Gedanken.

Ob sie vom Reimschema diktiert sind, kann ich nicht sagen, sicherlich ist "Häupten" darauf zurückzuführen, da stimme ich Dir zu. Schon bei "Bronnen" bin ich nicht so sicher, da dieses Wort andere, weniger konkrete Assoziationen in mir erzeugt als das prosaischere "Brunnen". (ich merke grad: wenn ich mich ein bisserl drauf "einlasse", krieg ich auch bei den "Häupten" noch ein anderes Gefühl... aber darauf möchte ich mich nicht versteifen).
Und diese Assoziationen meines "Traumbewußtseins" sind es, die dieses und auch viele andere Rilke-Gedichte ansprechen. Ich glaube, daß das von ihm so gewollt ist, und daß dieses Gedicht ein Ausdruck dessen ist.

Sicherlich richtig ist, daß dieses Gedicht von Stimmungen diktiert wurde.
Was ist daran schlimm? Sind denn Träume immer von und aus klaren Gedanken gemacht? Meine jedenfalls nicht!



die einen abgesondert und versonnen,
und die geeint in schweigsamen Gesprächen.


Hier sehe ich etwas sehr Interessantes, und deshalb bin ich Dir dankbar für Deinen Beitrag, der mich erst dazu bringt, das alles so genau zu formulieren, daß es mir klar wird:
Es scheint doch einen Subjektwechsel zu geben, aber der ist wirklich weit davon entfernt, "sauber" zu sein:
Ich verstehe es so, daß zunächst die "Blumen" damit gemeint sind, also die kreativen Phantasiegebilde, nicht "Gedanken" oder "Gefühle", sondern komplexere Gebilde, in dem "Zwischenreich", wo klare Grenzen zu verschwimmen scheinen. Solche Gebilde wohnen in "mir" (mit der Ich-Form meine ich hier nicht mein eigenes, sondern immer das "Lyrische Ich" des Gedichtes), und es gibt einzelne, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen und jedes für sich "versonnen" sind... und es gibt andere, die miteinander zu kommunizieren scheinen... aber da sie alle miteinander im "Traumbewußtsein" angesiedelt sind, gibt es dort eine andere Art von "Sprache", und die ist eben "schweigsam".
Nun ja.
Und wenn ich mir jetzt überlege, was eigentlich der Unterschied sein mag zwischen solchen "Gebilden", wie ich sie grad geschildert habe, und "Träumen"... dann stelle ich fest, daß es auch hier überhaupt keine klare Grenze gibt! Und ich überlege mir weiter: woher kommen die Träume, woher kommen die "Blumen", die ich in mir habe? Kommen sie aus mir selber, oder irgendwie "von außen"? --- Und auch das kann ich nicht sagen!

Deshalb ist es auch nicht schwierig, das Subjekt wieder zurückzuwechseln, und die, die "schreiten" bzw "ruhen", sind einfach die "Träume", gleich gültig, ob von außen kommend oder in mir drin wachsend...

Es gibt "schreitende", da geht etwas weiter, es entwickelt sich gerade etwas, und dieses "Schreiten" kann ich unterstützen, indem ich "mit Worten rausche". Diese Metapher bezeichnet für mich etwas, das ich gerade jetzt, da ich auf Deinen Beitrag antworte, selber erlebe:
Ich fange an, zu formulieren, und während des Formulierens gibt es neue Sichtweisen, ich lese durch, was ich gerade geschrieben habe, und es gibt neue "Erkenntnisse", ich formuliere wieder um, ändere in einigen Dingen meine Meinung, "rausche" nochmals, und alles "schreitet" weiter... und das "Ergebnis" wird kein endgültiges sein, nur möglicherweise irgendwann soweit, daß ich es abschicken kann...

Und es gibt auch "ruhende", das sind die Themen, wo sich gerade nichts Deutliches zu tun scheint, sie können sogar "betäubt" sein, vielleicht weil irgendwas "Gefährliches" oder "Bedrohliches" dabei ist, das "ruhiggestellt" werden muß, oder auch weil es einfach gerade eine Ruhephase gibt... ja, ich stelle gerade fest: man kann schon auch sagen, daß Träume so etwas wie "schlummern" können, sich längere Zeit überhaupt nicht rühren, bis sie auf einmal wieder (woher?) auftauchen...

Und Du schreibst dann, Du weißt nicht, wie sie sich äußern, so daß man ihnen "in den Schlummer" lauschen kann, auch kommt mir das indiskret vor.

Und da stimme ich Dir zu, es ist sehr "indiskret", was das Lyrische ich da will!
Besser gesagt, es kommt gar nicht auf die Idee, daß es in einem solchen Zusammenhang sowas wie "Diskretion" überhaupt geben könnte. Denn die Sehnsucht ist größer...


Damit, mit dieser Sehnsucht, bin ich bei Deinen, lilaloufan, roten Fragezeichen. Und diese Fragen will ich auch nicht beantworten! Und ich bin nicht sicher, ob ich nicht schon viel zuviel gesagt (und damit auch "eingegrenzt") habe...


Lieben Gruß!

stilz
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Zur Frage "Häupten" möchte ich noch anmerken:
Abends wenn ich schlafen geh,
vierzehn Englein um mich stehn.
Zwei zu meinen Häupten...

Das "bräche" verstehe ich auch so: Wenn ich ein Garten wäre, dann brächen...
Gruß
gliwi
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stilz
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Beitrag von stilz »

Danke, gliwi, diese Hänsel und Gretel-Stelle war ganz genau die Assoziation, die sich bei mir im Hinterkopf regte, ohne daß ich sie erkannte!

Lieben Gruß

stilz
helle
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Beitrag von helle »

Liebe stilz,

vielen Dank für Deine ausführliche Entgegnung. Ich bin nicht in allem Deiner Meinung, vor allem was die Klarheit der, sagen wir, Komposition des Gedichts angeht, aber ich will das eigentlich nicht ausformulieren, meine ewige Krittelei am Rilke wird allmählich ja langweilig.

Im übrigen habt Ihr, Du und gliwi, Recht, "zu Häupten" ist gebräuchlich gewesen, bei Hermann Paul lese ich: "zu Häupten, wobei der auffallende Pl. wohl durch das Muster von zu Füßen veranlaßt ist, auch zu seinen/ihren Häupten"

beste Grüße H.
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lilaloufan
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Ich will

Beitrag von lilaloufan »

  • Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen
    die vielen Träume neue Blumen brächen,
    die einen abgesondert und versonnen,
    und die geeint in schweigsamen Gesprächen.

    Und wo sie schreiten, über ihren Häupten
    will ich mit Worten wie mit Wipfeln rauschen,
    und wo sie ruhen, will ich den Betäubten
    mit meinem Schweigen in den Schlummer lauschen.
helle hat geschrieben:…nun will er schon so willenlos, daß er "den Himmeln zur Verfügung steht" und beinah selbst "zu den Göttern zählt, die Himmel und Erde bewohnen." Was will er denn eigentlich sagen…
Lieber @helle, jeder wirkliche Häretiker hat sich ganz gründlich vertraut gemacht entweder mit der Lehre, gegen die er antritt, oder mit Zuständen der Praxis, die er anprangert. Er kann nicht beim Stellen der Frage, was ein Dogma besagen wolle, schon kopfschütteln. Sonst bleibt er, statt mit seinem Zweifel Bestehendes gewissenhaft zu prüfen, ein Ignorant, der nur seine eigenen Vorbehalte wiederholt, ohne selbst deren Litanei zu kennen.

Ich wundere mich - da du doch im Forum überzeugend erweist, Kritik nicht philiströs, sondern souverän zu beherrschen (und ich würde es nicht wie du „Krittelei“ genannt haben). Und ich bin enttäuscht: zum einen, dass du meine Schritt für Schritt aufgebaute Charakteristik von gesteigertem Willen so gründlich in Richtung Willenlosigkeit missverstehst. Zum anderen bedauere ich, dass du bei diesem Gedicht deine Klarheit so aus dessen formalen Elementen wiederzugewinnen suchst und nicht aus der Aussage und den Bildern selbst, die ein dem unpoietischen Bewusstsein freilich Diffuses, Dunstiges, sprachlich doch sagbar machen.

Zunächst zum Ersten: Vom willensschwach Windwendigen hätten die Himmel keinen Gewinn: Den Himmeln steht zur Verfügung, wer seine ganze Existenz dafür einsetzt, dass deren Wille geschehe. 'Also auch auf Erden'. Eine Menschenseele, die nicht nur gleichgültig und resignativ sich einem Auf und Ab und Wohl und Wehe überlässt, sondern die der Himmel Garten, Zeugnis Abelscher Kulturtätigkeit sein will, fruchtbarer Ort des Hervorbringens, der Verwandlungen, des Gedeihens, und dabei dem Himmel nicht etwa achtlos ausgesetzt, sondern anvertraut – die trägt Entwicklung in die Reiche der Himmel. Ein solcher Seelen-Garten ist nicht Erdenwildnis und nicht himmlisches Paradies, sondern eben „Garten“ - und damit die Steigerung jener Gegensätze.
Friedrich von Schiller hat geschrieben:Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.
Was sie willenlos ist, sei du es wollend; - das ist's.
Die Menschenseele (nicht die seelische Tagesform eines 1879 noch ungeübten Poeten, sondern menschheitlich betrachtet: die Entelechie), die Menschenseele will ein Garten sein. Das sogenannte „lyrische Ich“, Νώος ποιητικόυ ,sagt das, und wo dieses spricht, spricht Allgemeinmenschliches, nicht ein René und nicht ein Irgendeiner. Mehr steht da nicht. Nicht, dass sie nur in einer ganz bestimmten Gemütsstimmung Garten sein wolle, sondern dass sie „ein Garten sein“ will. So ist das. Es ist nicht eine Sehnsucht, Garten zu sein, und nicht eine verbohrte idée fixe, Garten sein zu müssen, sondern Bild einer Daseinserfüllung: Die Menschenseele nähert sich der Übereinstimmung mit ihrem eigenen Wesen, wenn sie Garten wird.
Und dies wird sie nicht im naturhaften Entwicklungsgang, sondern nur wenn sie sich entschließt und aufrafft und einem Gärtner Gelegenheit gibt, daran zu ackern und aus Brunnen zu schöpfen und den Erziehschnitt zu betreiben. Dem Gärtner vielleicht, als den die Frauen im Garten Gethsěmane den Auferstandenen sahen.

Die Menschenseele will – in diesem Sinne – Ort immerwährender Auferstehung sein.

Nun ist dieser Gedanke so nah an religiös verbrauchten Bildern, dass meine Sätze womöglich wie Kanzelwort wirken. Darum hier ganz deutlich: Ich will kein Prediger sein, ich stelle keinen Imperativ auf, sage nicht: Du Mensch solltest dies oder du solltest jenes tun oder sein oder sein wollen. Sondern ich behaupte, Rilke beobachtet intim das Selbstverständnis der Menschenseele, und er hört sie sagen: «Ich will ein Garten sein».

Und was nun geschähe (ja, Konjunktiv!) in diesem Garten? An einem Bronnen brächen die vielen Träume neue Blumen. Welche Träume? Abgesonderte Einzelne und solche, die in einem einverständigen Miteinander nicht vieler Worte bedürfen zum Gespräch. Dies ist ein Gegensatzpaar, und das andere: Die einen schreiten, die anderen ruhen, gleichsam betäubt. Und was will die Menschenseele: Sie will diese Träume differenziert begleiten, die einen mit rauschender Sprachmacht (nach Athenischer Sitte), die anderen mit hinhorchend empathischer Verschwiegenheit (der Spartanischen Tugend). Poesie der Menschenseele hat beide Wurzeln: Die apollinische wie die dyonisische.

Warum nur, @helle, suchst du deine interpretatorische Sicherheit bei der poetischen Ordnung? Gerade die höchste Poesie bricht diese Ordnungen meisterlich auf und bringt damit einen literarischen Entwicklungsschritt.

Alles, was dich „stört“ und was du bemängelst und was du verbessern möchtest mit deinem Rotstift, das gibt es nicht nur auch anderenorts, sondern das ist Zeugnis stilsicherer Freiheit.

Die vierzehn Englein aus Humperdincks Oper, die sind mir natürlich auch gleich eingefallen, aber es gibt noch mehr: Du hast es bei Hermann Paul gefunden; hier aus Bild Bild Bild: >Häupten< geh. jmdm. zu Häupten, zu jmds. Häupten über jmdm., in der Nähe seines Kopfes: das Bildnis seines Vaters hing ihm zu Häupten; zu ihren Häupten befand sich ein kleines Fenster; Lichter brannten zu Häupten und zu Füßen des Toten; am oberen Ende: zu Häupten des Tisches, der Tafel, des Bettes; das ersehnte Puppentheater, das dem Wunschzettel ... zu Häupten gestanden hatte Th. Mann 1,548 (Buddenbr.) usw.

Und so ist es mit allem anderen:
helle hat geschrieben:Ein Garten, "an dessen Bronnen" (die antikisierende Form tut's um des Reimes willen) "die vielen Träume neue Blumen brächen".
Um des Reimes willen? Oder ist da eine Lautqualität poetisch verwendet, die wir im Aussprechen durchempfinden können: Wie wir da nicht den furchterregend dunklen Schacht vor uns sehen, nicht in dusteren Modergeruch tauchen, aus dem der Eimer das seit Urzeiten dort in Finsternissen lagernde Tiefenwasser durch zerreißende Spinngewebe hindurch ans Tageslicht hebt, sondern wo wir ein fast Quellmäßiges meinen, eine ganz offene Brunnschale mit bewegtem Wasser, um die her hölzerne Butterfässer zum Trocknen an die Mauerbrüstung gelehnt sind, duftend vom im Wasser wie verjüngten Holz, dessen aetherisches Aroma das verdunstende Nass in den lichten Umkreis verströmt, und über den glitzernden Spiegel gaukeln geheimnisvolle Libellen und unwirklich blütenkeusche Schmetterlinge. Das erste wäre ein Brunnen, gegraben von den unseligen Verfemten, die man hernach in ebenso tiefe Verliese stürzte, das zweite ein von Sylphen erzauberter Bronnen, wie er den lange schon Siechen erquickt.
Christian Morgenstern hat geschrieben: O Nacht, du Sternenbronnen,
ich bade Leib und Geist
in deinen tausend Sonnen -

O Nacht, die mich umfleußt
mit Offenbarungswonnen,
ergib mir, was du weißt!

O Nacht, du tiefer Bronnen…

O Nacht…
Noch einmal: „Um des Reimes willen“?
Novalis hat geschrieben: Er ist der Stern, er ist die Sonn,
Er ist des ew’gen Lebens Bronn,
Aus Kraut und Stein und Meer und Licht
Schimmert sein kindlich Angesicht.
Hat nicht der „Gärtner“ auch über sich das Ich-Bin-Wort gesprochen: „Wer sein Vertrauen in mich setzt, den wird nicht mehr dürsten.“ (Joh. 6;35)!

Wie auch immer, in einen Garten der Träume gehört ein Bronnen:
Achim von Arnim hat geschrieben: Ein Himmel ohne Sonn,
Ein Garten ohne Bronn,
Ein Baum ohne Frucht,
Ein Mägdlein ohne Zucht,
Ein Süpplein ohne Brocken,
Ein Thurm ohne Glocken,
Ein Soldat ohne Gewehr,
Sind alle nicht weit her.
Aber wer sind die Träume, die so eigenmächtig Blüten pflücken; welche Träume schreiten, welche anderen Träume ruhen in dem Menschenseelen-Garten? Diese Träume, über die hin der Garten ein Wort-Gebraus erhebt, und diese Träume, in deren Ohnmacht der Garten voller Andacht hineinhorcht?

Von dem einen Menschheitstraum ist viel die Rede - Leonardo da Vinci war davon rastlos durchstürmt, der Liedermacher Reinhart Mey besang ihn als Freiheitssphäre, der Rüsselsheimer Fahrzeugbauer warb mit einem Slogan, der diesem Traum Vorrang vor der Gebrauchsqualität seiner Produkte konzedierte: das Fliegen. Dieses Fliegen, dessen wir längst (einigermaßen) vermögen, nämlich im Flug unserer Gedanken, die die ganze Welt durchmessen können. Ein Traum, der in der Seele wahr wird, von dem die tageswachen Nachbilder – unsere Fluggeräte und die den Himmel zerkritzelnden Kondensstreifen – nur Karikaturen sind. Und solcher Menschheitsträume gibt es noch mehr: Der vom Fliegen bildet sich ab im Denken (das seine Sicherheit aus der Ruhe schöpft), der ethische oder sozialkünstlerische Traum von allgemeiner Befriedung des Gemüts „Alle Menschen werden Brüder“ im Fühlen, und unser Wollen träumt so gern den dramatisch bewegten Traum der Omnipotenz, die Welt nach der Choreographie unserer Ideale tanzen zu lassen.

Aber alle solchen Träume, das Denken, das Fühlen und das Wollen, möchten im Garten Menschenseele von „neuen Blumen“, nicht mehr allein von den Lilien mosaïscher Offenbarung, sondern zum Beispiel auch von den in der Fünfzahl ihrer Blütenordnung das menschliche Maß in unzähliger Variationsfülle kundgebenden Rosen, erfreut werden. Wäre (!) dieses Blumenbrechen [= ist dieses potentielle Blumenbrechen] ein Suchen nach neuen imaginativen Bildern, das unsere Bildindustrie mit verwirrend vielen Surrogaten zu bedienen versucht?

Und wo diese Seelen-Träume den rauschenden Zustrom im Bereich der Häupte(r) brauchen, sollte das nicht das Neue Hören sein, dieses Offensein für inspirative Erneuerung unseres Menschentums aus dem Wehen der Phantasiekräfte, die unsere Audio-Berieselungsmaschinen unausweichlich aus dem Reich der Phantastik zu substituieren streben?

Und diese dritte Geste, dieses taktvoll der Stille hingegebene Einverstandensein mit dem Schweigen des in früheren Menschheitszeiten von sprechenden Göttern bevölkerten olympischen Sternenkosmos, wie an Aufbahrungsstätten großer Geister, wo deren ganze biographische Lebensleistung nur dann vor der inneren Anschauung auflebt, wenn in der teilnehmenden Menschenseele aller Rest von willenshaftem Eigenstreben dem gleichsam Betäubten gegenüber ebenso schweigt wie dieser: Kann das nicht eine Haltung sein, die zu jenem intuitiven Verbundensein mit den Menschheitsträumen hinführt, mehr und mehr? Das verneint wird durch alle Menschenbilder, die dem Menschen vorlügen: Du bist ein isolierter Fremdling im Kosmos!

Ich dechiffriere hier keine Symbolik, sondern ich nehme diese Zeilen, wie sie sind. Ich schreibe nicht: Garten bedeutet dieses, Träume bedeuten jenes. Ich greife nur auf, was in dem einen, einzigen Subjekt dieses Gedichts liegt. Dieses Subjekt heißt: „Ich“.

Von diesem „Ich“ wusste Rilke 1897: Es will ein Garten sein. Jeder Garten ist kultiviertes Ökosystem, alle seine Elemente sind in Wechselwirkung und Homöostase aufeinander bezogen. Fehlt nur eines, muss sich die Balance wieder neu regulieren. Ebenso ist es mit dem, was menschliche Individualität heißt: Sie enthält alle Ressourcen, die zur Verwilderung wie die zur Verödung; dies ins Gleichgewicht zu bringen ist Aufgabe der Selbsterziehung. Diese Aufgabe stand dem 23-Jährigen vor der Seele, ganz nüchtern und klar: Das Ich will ein Garten sein!

Wir Heutigen haben Zeugnisse seiner künstlerischen Vision von diesem Garten; das Denkmal ist begehbar.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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lilaloufan
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Subjekt der Nebensätze

Beitrag von lilaloufan »

stilz hat geschrieben: die einen abgesondert und versonnen,
und die geeint in schweigsamen Gesprächen.


...Es scheint doch einen Subjektwechsel zu geben, aber der ist wirklich weit davon entfernt, "sauber" zu sein:
Ich verstehe es so, daß zunächst die "Blumen" damit gemeint sind...
Liebe @stilz, das scheint mir wirklich ein Irrtum zu sein; ich hoffe, mein Beitrag von heut' früh ist dir in diesem Punkt plausibel. Es gibt ja nur einen Hauptsatz: «Ich will.», und der wird in der zweiten Strophe zwei Mal invers wiederholt: «…will ich…». In den Nebensätzen und Partizipialkonstruktionen ist nur von den Träumen als Subjekten die Rede; „Blumen“ ist Akkusativobjekt des Relativsatzes.

Mir ist eingefallen, dass man meinen Gedankengang nur aus dieser formalen, grammatischen Voraussetzung verstehen kann.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
stilz
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Beitrag von stilz »

Zunächst zum von mir behaupteten und von lilaloufan als Fehler erkannten "Subjektwechsel": das ist natürlich wirklich ein Fehler, und ich hätte eigentlich "Objektwechsel" schreiben sollen.
Inzwischen bin ich auch gar nicht mehr der Meinung, daß es einen solchen Objektwechsel von Träumen zu Blumen tatsächlich gibt... ich kam nur deshalb auf diese Idee, weil das "Ich" die Träume, die doch erst kommen sollen, schon so genau kennt und "einteilt", wie es doch eigentlich nur die eigenen "Blumen" kennen kann.
Aber das kommt halt alles daher, daß die Grenzen zwischen "innen" und "außen" nun mal keine klaren und undurchlässigen sind...


Und noch zu dem, was Du, lilaloufan, über den "Willen der Menschenseele" im Gegensatz zur "Sehnsucht des (etwas beliebigeren) Lyrischen Ichs" sagst:

Ich habe bei Rilkes "Lyrischen Ichs" die vielleicht etwas seltsame Auffassung, daß er damit weder "René" noch die "allgemeinmenschliche Seele" als Ganzes meint, sondern nur einen ihrer Anteile, nämlich denjenigen, der so bedingungslos Garten sein will... das ist allerdings ein Anteil, den auch ich als "Allgemeinmenschliches" bezeichnen möchte (sonst würden wir hier ja auch gar nicht diskutieren, weil wir dem Gedicht nicht nur verständnislos begegnen würden, sondern auch ohne innere Anteilnahme...)

Für mich haben auf diese Weise die meisten Rilke-Gedichte etwas von dem, was (wieder: für mich!) seine "Ding-Gedichte" ausmacht:
Es wird ein bestimmtes "Ding" geschildert, mit all seinen Eigenheiten und auch "Potentialen", ohne Bewertung, und unabhängig davon, was sonst noch ist.
In diesem Gedicht ist für mich das "Ding" der Anteil der Menschenseele, der "Garten" sein will.
Und dann, für diesen Seelen-Anteil und sein Potential, paßt alles, was Du, lilaloufan, über "Willen" schreibst.

Da die Menschenseele aber auch noch andere Anteile hat, die diesem Willen möglicherweise entgegengesetzt sind oder wenigstens hinderlich im Weg stehen... also deshalb habe ich "Sehnsucht" geschrieben, und so erklären sich für mich auch die Konjunktive.

Nun könnte man freilich einwenden, alles, was diesem "Garten-sein-Wollen" entgegensteht, wäre nicht eigentlich Teil der Menschenseele, sondern will sich dort nur unberechtigterweise breitmachen und muß deshalb nicht nur einen eigenen Namen kriegen, beispielsweise "Ego", sondern sogar schließlich einem "Erziehungsschnitt" zum Opfer fallen...
Möglicherweise gibt es da wirklich ganz klare Grenzen, und später einmal, wenn wir tot sind und auferstanden, oder auch "zwischen den Inkarnationen", oder wie auch immer... also: dann werden wir das alles auch ganz genau erkennen können.
Inzwischen, finde ich, müssen wir uns mit unseren "Wahrnehmungsröhren" begnügen, und was dem einen als "Ego" gilt, wird vielleicht vom anderen für wahr genommen als unverzichtbarer Anteil seiner unsterblichen Seele... hier möchte ich nicht bewerten und zer-urteilen (danke für dieses Wort)!
Mag sein, daß es Menschen gibt, die ihre "Wahrnehmungsröhren" geweitet haben und tatsächlich einen Blick in das "Offene" tun können... dennoch: auch dieser Blick würde von einem bestimmten, nämlich dem "erdgebundenen", Standpunkt aus getan...
(Das soll nicht heißen, daß ich gerade in diesen Dingen nicht Deiner Meinung bin, lilaloufan! Ich möchte nur nicht gern diese Meinung/Deinung als unbestritten, unbestreitbar und unumstößlich hinstellen!)


Und noch etwas:
Die Menschenseele, also, meine jedenfalls, will sich auch schützen: vor schwülstig dahingeschriebenem Wortgeklingel, das "diffus und dunstig" an Unbewußtes rührt, vielleicht absichtslos, vielleicht aber auch nicht --- ich denke da auch an unsere "Kann ein Gedicht für sich allein stehen?"-Diskussion http://rilke.de/phpBB3/viewtopic.php?t=2166

Ich finde Deine, helle, "Krittelei" wirklich erfrischend und ganz und gar nicht "langweilig"! Mir gefällt es nämlich nicht, wenn wir hier alle "hehr und rein" und vollkommen kritiklos auf dem Bauch rutschen vor Meister Rilke und für jede Silbe, die er geschrieben hat, eine "kosmisch-wahre" Begründung finden.
Und in diesem besonderen Fall bin ich wirklich sehr dankbar dafür, daß helle diesen krittelnden Teil übernommen hat, denn so konnte ich mich ungestört einlassen auf die "Verteidigung" dieses Gedichtes.

Ich muß gestehen: wenn es dazu nur solche Beiträge wie Deine, lilaloufan, und auch meine gegeben hätte... dann hätte mich das möglicherweise mißtrauisch gemacht, und ich wäre selber versucht gewesen, helles Rolle zu übernehmen.
Denn: gebt mir irgendein tatsächlich nur kitschig dahingeschludertes Gedicht, und ich werde es schaffen, "tiefe Weisheiten" darin zu entdecken!
Oder vielleicht heißt das auch einfach: auch dieses "Kitschige" hätte schließlich die "Menschenseele" hervorgebracht...

Liebe Grüße rundum!

stilz

P.S.: ad lilaloufan: und hat helle in Sachen "Häupten" nicht schon selber erfolgreich nachgeforscht und damit (neuerlich) bewiesen, daß er nicht "Philister" ist?

P.P.S.: ad helle: ich weiß, Du hast meine "Verteidigung" nicht nötig... aber das hat Rilke wohl auch nicht, wenn ich's trotzdem tu, dann, weil es für mich not-wendig zu sein scheint...

P.P.P.S.: Vielleicht ist auch dieses Forum nur ein Abbild der "Menschenseele", mit allen ihren Anteilen, den kritischen wie den hingebungsvollen, dem "Milan" und der "Maus" - aus welchem thread dieses lilaloufan'sche Bild stammt, weiß ich nicht mehr, stattdessen nehme ich Morgenstern:

Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
Des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch, im Besitze eines Zeisses,
Betrachtet voll gehalt'nen Fleißes
Vom vis-à-vis geleg'nen Berg
Ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Ihn aber blickt hinwiederum
Ein Gott von fern an, mild und stumm.
Zuletzt geändert von stilz am 8. Apr 2012, 12:01, insgesamt 1-mal geändert.
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