Wie einfach ist es wieder, mit allem einverstanden zu sein, was du @
stilz schreibst. Denn wo du nicht zustimmst, da sprichst du gar nicht von dem, was ich meinte; es ging mir doch überhaupt nicht um das Nonverbale!
Selbstverständlich kennt der Künstler seine Mittel; er hat sie doch entwickelt, und bliebe er nur Kopist. Gerade wo es um das sich handelt, womit wir noch im Banalsten ständig umgehen – verbal wie nonverbal (wir alle „können“ sprechen, gestikulieren, grimassieren) -, da „kennen wir uns aus“, ja freilich.
Wer „könnte“ nicht zum Tresen gehen und dort einen Becher heben? Der Schritte sind gleich viel, die Anstrengung des Arms ganz dieselbe für den Priesternovizen, der zum Altar schreitet, das erste Mal den goldenen Kelch zu heben. Gerade hat er noch mit der Gebärde von Ergebenheit und Demut sein ganzes Dasein in eine andere Hand gelegt: Wovor zögern seine eig’nen Hände jetzt wie zu früh entfaltet, warum schwanken die unsicher gewordenen Knie, was macht das seit Kindheit erübte „Amen“ zum Gestammel? Es ist nicht wie die Aufgeregtheit ersten Eros-Erlebens, auch nicht die des Pennälers bei der Visitation des Oberschulinspektors und nicht wie die Anspannung des Bogens, die sich beim jungen Schützen fortsetzt in das eigene Überdehntsein vorm öffentlichen Probeschießen. Sondern es ist, weil den Weihebezirk eine
Schwelle umgibt, jenseits derer alles, alles ganz anders gilt, ernster angeschaut als in den sonst bekannten Prüfungen: Wir sind dort «
Neuling». Dieses Schwelle-Erleben ist aber nur ein sichtbares Bild für das, was wir uneinsehbar an der Aufwachschwelle und bei der Rückkehr aus dem Bezirk der Musen mitbringen. In dem einen sind wir gesegnet, in dem anderen hier erquickt, dort inspiriert worden: aber von welchen Kräften, was war am Werk, heiligend, regenerierend, wortprägend? Wir kennen uns nicht aus, sobald wir beschenkt zurückgekehrt sind: Das meinte ich.
Was aber, wenn diese Begegnung/Begabung - die, sobald wir sie uns bloß noch erinnernd vergegenwärtigen können, ganz unbeschreiblich ist -, nicht eine Begegnung wäre mit einem Gotte aus dem Schnürboden, sondern eine mit uns selbst, mit dem unsichtbaren Ich, „
der an meiner Seite geht, ohne dass ich ihn erblicke“, der „
ruhig schweigt, wenn ich spreche“ (
R. Jiménez, «Yo no soy yo»)? Das hieße, wir kennen uns, ins bloß dinglich vorstellende Bewusstsein wieder einziehend, zunächst
mit uns selbst nicht unmittelbar aus, sind noch nicht gleich wieder persönliches, bloß psychologisches Ich, sondern müssen dieses erst wieder zusammenklamüsern. Hier, zu Hause im Verstandesdenken, haben wir einen Namen, sofort verfügbar, wenn ein Wesen frägt: „Wer bist denn du?“ – („Wer nicht weiß, wie er heißt, und vergisst, wer er ist, der ist dumm. Bumm!“ sagt der Frosch in einem Kinderbuch von
Mira Lobe.) Aber dort, wo wir waren, unverständiges Glied eines Weltenverstandes, im Schlaf, im Allerheiligsten, am Quell der Poesie, dort waren wir «
namenlos», zur Erde «
entschlossen, von weit her».
Wer journalistisch schreibt oder nur Chronist ist, kennt das nicht: Dieses immer wieder erneuerte Schwellen-Erleben gehört allein zu der Großen Arbeit, die nur der Dichter vor sich hat. Ich will das einmal an einem Beispiel gegenüberstellen:
«
Aber ich frage mich oft, ob nicht das an sich Unbetonte den wesentlichsten Einfluss auf meine Bildung und Hervorbringung ausgeübt hat: (…)
die Stunden, die ich zubringen konnte, in Rom einem Seiler zuschauend, der in seinem Gewerb eine der ältesten Gebärden der Welt wiederholte, … genau wie jener Töpfer, in einem kleinen Nil-Dorf, neben dessen Scheibe zu stehen mir unbeschreiblich, in einem geheimsten Sinne ergiebig war.» Das ist aus einem Brief an
Alfred Schaer, 26.II.1924. - «
Drum zeig ihm [dem Engel]
das Einfache, das von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet | als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick. | Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standest | bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil. | Zeig ihm (…)»; diese Passage aus der IX. Elegie endet ja mit: «
Wer wir am Ende auch seien.»
Das erste Beispiel, ganz im Narrativen bleibend, ist eines anderen als des Erzähler-Ichs nicht beirrt, ist sozusagen am hellen Mittag verfasst. Das andere weiß um eine Überschusskraft des Daseins, entspringend «
im Herzen». Wie aber sieht’s da drinnen aus? Bestimmt nicht wie in jenem begehbaren Ausstellungsobjekt, von dem die Illustrierten derzeit berichten…
Um diese Elegie schreiben zu können, reicht es nicht, die Lebens-, Reiseerinnerung zu betrachten wie in einem Noch-einmal-Erleben, sondern da ist ein radikaler Perspektivwechsel nötig: Man durchschlendert nicht die vormals bereisten Pfade der Gedächtnisspur, zurückblickend, sondern man
wird betrachtet, und der Engel staunt. Dort hinüber zu schlüpfen, in die Augen des Engels, ist aber Schwellengang.
Und diese Schwellengänge, die vollzogen sich, wie Rilke an
Ilse Jahr schreibt (22.II.1923), «
schon an gewissen Stellen im Stundenbuch (…)
, dieser Aufstieg Gottes aus dem atmenden Herzen, davon sich der Himmel bedeckt, und sein Niederfall als Regen.»
Übrigens auch dieses: „Man weiß selbst kaum wie“ bringt Rilke zum Ausdruck, in einem Brief vom 9. August 1924 aus Muzot: «
Oft ist es seltsam für die Lage des Hervorbringenden, an den dünneren Tagen des Lebens (den vielen!) solche Essenz des eigenen Daseins, in ihrem unbeschreiblichen Überwiegen, neben sich zu fühlen. Die Vorhandenheit eines solchen Gedichts steht eigentümlich hinaus über die Flachheit und Nebensächlichkeit des täglichen Lebens, und doch ist aus ihm dieses Größere, Gültigere abgewonnen und abgeleitet worden, man weiß selbst kaum wie; denn kaum ist es getan, gehört man schon wieder ins allgemeinere blindere Schicksal, zu denen, die vergessen oder wissen als wüssten sie nicht, und die durch ein geläufiges Ungefähr- oder Ungenau-Sein dazu beitragen, die Fehlersummen des Lebens zu vermehren. So ist jede große künstlerische Leistung, bis in ihr letztes und mögliches Gelingen hinein, zugleich Auszeichnung und Demütigung für den, der dazu fähig war. Freilich hat das künstlerische Wort eine Atmosphäre der Freiheit um sich, die uns fehlt; es hat keine Nachbaren, außer wieder andere gleichwertige Bildungen, und zwischen ihm und ihnen mag eine Geräumigkeit sich ausgestalten, ähnlich der des gestirnten Himmels: ungeheure Distanzen und die unabsehlichen Bewegungen höherer Ordnung, für die uns jede Übersicht abgeht.»
Ich müsste so viele Worte hier in meinem Gedankengang betonen, um sicher zu gehen, dass der Faden erkennbar wird! Ich will ja nicht propagieren, meine Lesart sei die einzig denkbare. Sondern ich will schlüssig aufweisen, nicht nur dass sie
auch denkbar ist, sondern dass sie
fehlen würde im sonst unvollständigen Kreis der Sichtweisen. Wenn wir von einem Hügel in eine weite Ebene blicken und dabei die ganze Landschaft wie hingeordnet erleben auf den Milan, der mit weit gebreiteten Schwingen über ihr kreist, so kann doch im nächsten Augenblick diese selbe Landschaft wie zusammengefasst sein in jenem Punkt, auf den der Greif sich gleich stürzen wird, angezogen von der uns unsichtbaren Maus, wie unser Blick angezogen war von der Anmut seines Gleitflugs. Beide Bilder der Landschaft sind Eins und sind noch lange nicht Alles.
Falls der künstlerisch produktive Akt
eine Art Kultus ist –
Beethoven, heißt es, habe das ganz ähnlich empfunden – so wird der Künstler ebenso wie der Zelebrant Stufen der Läuterung gegangen sein, die seine Riten rechtfertigen. Auf diesen Übwegen, gleich ob es in die Unterwelt ginge oder auf den Parnass, werden dem einen allerlei „Windmühlen“ erschienen sein, ein anderer – auch er Künstler - hat Tintenfässer geschleudert, ein dritter nimmt wieder und wieder einen „
inkommensurabeln anonymen Schmerz“ (an Kassner, 15.XII.1926) voraus, namenlosen [!] Schmerz in «
unendliche(r) Zustimmung und immer noch Zustimmung zum Da-Sein» (an Rudolf Bodländer, 13.III.1922).
Ich will den Gedankengang noch einen Schritt weiter führen:
stilz hat geschrieben:
Zu Deiner Frage, ob solches Streben wirklich vor ’Gott’ als eine Unbescheidenheit gelten würde:
Nicht das Streben an sich, das ist in Ordnung. Aber das ein bisserl eitle "Sich-Darin-Gefallen"...
Und auch dieses nicht vor Gott, so wie ich ihn verstehe, denn der ist allbarmherzig und allverzeihend.
Aber vor einem selber, in ehrlichen Momenten.
Ob sich Rilke diese „große Arbeit“ kokett (irgendwo hier im Forum las ich: „narzisstisch“!) zugute hält, stolz auf seine Schwellengänge und ihre Gnade damit verspielend wie des Schneiders Weib bei
Kopisch?
helle hat geschrieben:…ein bißchen vom frommen Glanz rieselt ja wohl auch auf den Verfasser nieder.
Da halte ich ein Zeugnis für vertrauenswürdig, in dem Rilke so sehr auf das Werk (das ja gelingen darf) wie auf sich selbst blickt: «
So sehr der Künstler in einem auch das Werk meint, seine Verwirklichung, sein Dasein und Dableiben über uns hinaus -, ganz gerecht wird man erst, wenn man einsieht, dass auch diese dringendste Realisierung einer höheren Sichtbarkeit, von einem endlich äußersten Ausblick aus, nur als ein Mittel erscheint, ein wiederum Unsichtbares, ganz und gar Inneres und vielleicht Unscheinbares -, einen heileren Zustand in der Mitte des eigenen Wesens zu gewinnen.» (Brief an Weras Mutter,
Gertrud Ouckama Knoop, vom 26.XI.1921) Ein Heileres zu suchen würde dem nicht einfallen, der sich als vollendeten Heiligen anpreisen möchte. Mein Beitrag hier will sagen, das Gedicht: „Lösch mir die Augen aus…“ im Buch der Pilgerschaft
kann im Lichte solcher Suche gesehen werden (auch wenn Rilke selbst das nie so erläutert hat oder hätte). Und:
Dann verlieren die ansonsten durchaus abstrusen Bilder völlig diesen Makel und werden so wahr wie tief.