lilaloux hat geschrieben: … Seine Arbeit ist in ähnlicher Weise eine meditative wie unsre: Inspiration ist offenbar nicht ein passives Begabtwerden, sondern allerstärkstes Tätigsein. Musen sind wohl nur anwesend, wenn sie mit solch meditativer Aufmerksamkeit der Seele rechnen dürfen.
In http://www.rilke.de/phpBB3/viewtopic.php?p=6649#6649 schreibst du @Tonika vom „meditativen Auswendiglernen“.
Ich habe gestern in einem Gespräch den Gedanken noch einmal neu entwickelt, dass Rilkes literarische Arbeitsweise eine meditative war:
In den „Briefen an einen jungen Dichter“ rät er ja (17.II.1903) zu einer Arbeitsweise,
- zunächst sich an die „Natur“ zu wenden («Dann versuchen Sie wie eine erster Mensch, zu sagen, was Sie sehen und erleben und lieben und verlieren.»), an Motive, «die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet», ausgedrückt mit „Dinge(n) Ihrer Umgebung“, „Bilder(n) Ihrer Träume und (…) Gegenstände(n) Ihrer Erinnerung“
- „in sich zu gehen“, die „versunkenen Sensationen“ der Innenwelt „zu heben“
- und dann Verse „kommen“ zu lassen aus einer „Wendung nach innen“, aus „Versenkung in die eigene Welt“.
«Darum (…) wusste ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen. (…) Denn der Schaffende muss eine Welt für sich sein und alles in sich finden und in der Natur, an die er sich angeschlossen hat.»
Dass Rilke hier seine eigene Arbeitsweise offenbart und dem Jüngeren vermittelt ist ja fast no zu sagen. Unzählige Male dankt er in den Briefen seiner letzten Schaffenszeit der „Einsamkeit“, der „Stille“, die ihm lebens- und im höchsten Sinne arbeitsnotwendig war.
Ich habe mir einmal die poetischen Arbeitsweisen vergegenwärtigt, die mir bekannt geworden sind. Herausgekommen ist eine kreuzförmige Skizze:
Da ist zum einen die polare Dimension, deren Auflösungs-Pol wohl die ambulatorische Arbeitsweise Goethes trefflich darstellt: «Ich ging im Walde |so für mich hin |und nichts zu suchen |das war mein Sinn.» und auf deren Verfestigungs-Pol man die archivarische Arbeitsweise Stefan Zweigs ansiedeln könnte, auch Thomas Manns Diszipliniertheit, gesteigert noch bei Arno Schmidts Verzettelung.
In einer dazu senkrecht stehenden Achse steht auf der einen Seite das unberedte Plappern mancher hier taktvoll ungenannt bleibender Vielschreiber, nach der anderen Seite ein verantwortungsvolles Verstummen – ich denke an Dag Hammarskjöld, und letztlich im Extrem an Paul Celan. Und in der Mitte beider Polaritäten, im Kreuzungspunkt, Rilke.
Ist das in solcher Verkürzung als Gedankengang nachvollziehbar?
{28.8.2009: Link (im zweiten Anlauf) aktualisiert l.}