Seit kurzem lese ich endlich Rilkes "Rodin" - das ist ein mir sehr kostbares Buch.
Und nun bin ich auf die Stelle gestoßen, von der hier die Rede ist, und habe mich an Eure postings erinnert.
Tonika hat geschrieben: Rilke schreibt hier über die plastische Gestaltung von der Antike bis zur Gegenwart (ab S. 145 ff.).
Liebe Grüße von Tonika
Nun - das ist ein wenig mißverständlich ausgedrückt.
Denn Rilke schreibt hier eigentlich nicht von der plastischen Gestaltung, sondern vor allem von der
Evolution des Menschen:
Und diesen Körper, wann hatte man ihn zuletzt gesehen? Schichte um Schichte hatten sich die Trachten darüber gelegt, wie ein immer erneuter Anstrich, aber unter dem Schutz dieser Krusten hatte die wachsende Seele ihn verändert, während sie atemlos an den Gesichtern arbeitete. Er war ein anderer geworden. Wenn man ihn jetzt aufdeckte, vielleicht enthielt er tausend Ausdrücke für alles Namenlose und Neue, das inzwischen entstanden war, und für jene alten Geheimnisse, die, aufgestiegen aus dem Unbewußten, wie fremde Flußgötter ihre triefenden Gesichter aus dem Rauschen des Blutes hoben. Und dieser Körper konnte nicht weniger schön sein als der der Antike, er mußte von noch größerer Schönheit sein. Zwei Jahrtausende länger hatte das Leben ihn in den Händen behalten und hatte an ihm gearbeitet, gehorcht und gehämmert Tag und Nacht. Die Malerei träumte von diesem Körper, sie schmückte ihn mit Licht und durchdrang ihn mit Dämmerung, sie umgab ihn mit aller Zärtlichkeit und allem Entzücken, sie befühlte ihn wie ein Blumenblatt und ließ sich tragen von ihm wie von einer Welle - aber die Plastik, der er gehörte, kannte ihn noch nicht.
Und ich finde es wunderbar, wie Rilke diese Metapher übernimmt, als er an Kappus schreibt:
Nur in diesem Sinne, als Aufgabe, an sich zu arbeiten («zu horchen und zu hämmern Tag und Nacht»), dürften junge Menschen die Liebe, die ihnen gegeben wird, gebrauchen.
Das, was seit Tausenden von Jahren "das Leben" an uns getan hat, das können wir nun - mithilfe der Liebe, die wir dazu "gebrauchen" - selber tun...
Vielen Dank, Christoph, für's Aufmerksammachen!
Lieben Gruß
Ingrid