Frage zu "Blaue Hortensie!

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Scoletti
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Frage zu "Blaue Hortensie!

Beitrag von Scoletti »

Hallo!
Habe folgendes Problem: Ich soll dieses Gedicht interpretieren, doch damit tue ich mich serh schwer. Ich erbitte keine vollständige Interpretation (selbst ist die Frau :-) ), sondern Anregungen zum Thema und Inhalt, um es dann selbstständig weiter führen zu können.
Worum ging es Rilke in diesem Gedicht?
Welchen Hintergrund (historischen, emotionalen) hat das Gedicht?
Ich taste mich erst seit kurzem an Rilke heran und habe deshlab noch einige Schwierigkeiten bzgl. des Verständnisses.
Vielen Dank im Vorraus!
MfG, Scoletti
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Scoletti,
das ist mein Rilke-Lieblingsgedicht. Zum Hintergrund weiß ich nichts, aber ich finde, da muss mensch auch nichts wissen. Worum geht es Rilke hier? Um die genaue Beschreibung der Farbe einer blauen Hortensie... und sonst gar nichts. Es ist ein Ding-Gedicht. Genial finde ich die Vergleiche, mit denen er diese besondere Blau beschreibt. Groß interpretieren lässt sich da meiner Meinung nach nichts, es ist, wie es ist, man kann allenfalls den sprachlichen Bildern und den Sinneseindrücken ein wenig nachspüren...sehen, aus welchen Bereichen er sie nimmt u.ä. Bei rilke kann man immer ganz viel über die Form sagen: Reime, Alliterationen, Ausgestaltung der Sonettform, hier auch Grammatisches:
"Nichtmehrgetragnes"! Diese dritte Strophe finde ich sowieso zum Weinen schön.l.
Viel Glück!
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Scoletti
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Beitrag von Scoletti »

Hallo Gliwi!
Danke für deine Hilfe, dass du mich auf den Gedanken gebracht hast, dass es ein Dinggedicht ist, hat mir echt geholfen.
Aber folgendes Problem habe ich noch:
Das Gedicht konnte ich nun in Bezug auf seine Form interpretieren, aber die Sprachbilder machen mir zu schaffen.
Im ersten Vers habe ich ein Oxymoron erkannt, aber wo befinden sich weitere?
Ich bitte dich (oder auch andere) nochmals um Hilfe.
Vielen Dank im Vorraus!
MfG, Anne
schüler

Beitrag von schüler »

ich habe mich auch gerade eben an der interpretation der blauen hortensie versucht,aber ich bin ganz un gar nich zufireden mit meiner leistung...
geht es denn wirklich nur um die pflanze an sich? ich weiß nich,abner einige von uns ahben versucht,das menschliche leben,also die vergänglichkeit des menswchlichen lebens miteinzubeziehen!?
bin grad sehr verwirrt und leider wird das auch noch bewertet....
helle
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Beitrag von helle »

Ich denke auch, es geht nicht nur "um die Pflanze an sich" und das genaue Erfassen des Gegenstandes (das vielleicht auch), Rilke beschreibt die Pflanze ja nicht wirklichkeitsgetreu, sondern versucht ziemlich subjektiv, irgendwie ihre Farbtupfer heranzufächeln. So daß die Bilder, mit denen er die Hortensie vergleicht und umschreibt und paraphrasiert, nicht nur funktional sind und dem Vergleich dienen, sondern genau so bedeutungsvoll sind wie die Hortensie selbst. Vielleicht ist auch umgekehrt die etwas gammelige Blume überhaupt nur Anlaß, zu autonomen poetischen Bildern zu kommen, zu den hier ausgebreiteten (da empfinde ich wie Gliwi) irgendwie schönen, vom Vergänglichen gestreiften Empfindungen und Beobachtungen. Die stehen auch für sich selbst, sozusagen gleichberechtigt. Oder noch mal anders gewendet, gibt es hier nur eine thematische, aber keine hierarchische Ordnung der Dinge.
stilz
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Beitrag von stilz »

Dinggedicht hin, Dinggedicht her... auch ich sehe natürlich, daß in diesem Gedicht nicht nur das Blau der Hortensie möglichst getreu geschildert wird, sondern daß es auch um Vergänglichkeit geht , ebenso wie um Erneuerung und Lebendigkeit (...man sieht ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen...) -

Das Gedicht heißt ja nicht "das Blau der Hortensie", sondern "Blaue Hortensie", und zu diesem "Ding" Hortensie gehört die Vergänglichkeit nun mal dazu, wie zu uns allen. Ich finde nicht, daß "Dinggedicht" bedeuten sollte, daß das Geschilderte auf seine "dinglichen" Eigenschaften reduziert wurde. Deshalb gefällt mir auch der Terminus nicht - besonders dann nicht, wenn es nicht um Dinge geht, sondern um Lebendes.

Liebe Grüße

stilz
Scoletti
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Beitrag von Scoletti »

stilz hat geschrieben:Dinggedicht hin, Dinggedicht her... auch ich sehe natürlich, daß in diesem Gedicht nicht nur das Blau der Hortensie möglichst getreu geschildert wird, sondern daß es auch um Vergänglichkeit geht , ebenso wie um Erneuerung und Lebendigkeit (...man sieht ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen...) -

Liebe Grüße

stilz
Ja, aber geht es um die Vergänglichkeit der Blume (oder allg. der Natur) oder kann man sagen, dass die Menschen gemeint sind? Oder doch das Leben allgemein?
Übrigens hab ich mich geirrt, in dem ersten Vers ist doch kein Oxymoron enthalten. Jedenfalls suche ich Sprachbilder und andere Stilfiguren, aber irgendwie will mir keins auffallen., deshalb bitte ich weiterhin um Hilfe.
MfG, Anne
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Es gibt genug Literatur über das Dinggedicht(ich meine, auch von Rilke selber, weiß jetzt aber nicht, wo) um meine Auffassung zu stützen, dass das hier nicht das 21.748. Gedicht über die Vergänglichkeit ist, sondern dass dieses Gedicht eben die blaue Hortensie beschreibt, basta. Wenn uns, z. B, bei "eines kleinen Lebens Kürze" dazu Vergänglichkeit, früher Tod usw. in den Sinn kommen, dann sind das unsere Assoziationen, aber es ist nicht das eigentliche Thema des Gedichts. Diese verblichene Kinderschürze ist nur dazu da, dieses einzigartige Blau zu beschreiben, nicht, um die Vergänglichkeit zum Thema zu machen. Wenn Ihr nun partout als Thema die Vergänglichkeit ausmachen wollt, so behaupte ich, ihr habt eine vorgefasste Meinung und biegt das Gedicht so hin, dass es dazu passt. Kann jedeR halten, wie sie will, wird aber dem Gedicht nicht gerecht.
Auffällig bez. Laute: von 7 Reimen sind 3 auf i und 2 auf au. überhaupt sehr viele Is, besonders in der 2. Strophe. In den 2 Terzetten mehrere Üs.
Alliterationen: V.2/3 B, V 6/7: W
Wortschatz, Grammatik: Nichtmehrgetragnes- Wortschöpfung. Dazu "Verwaschenes": Partizipien werden substantiviert.
Vergleiche: Rilkes Haupstilmittel! Gleich zu Anfang: "So wie..", dann V.7, V 9. auch V 6 kann man als Vergleich auffassen.
Ganz dominierend: die Farben. Mit Grün fängt es an, mit Grün hört es auf.
Gruß
gliwi
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Anna B.
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Beitrag von Anna B. »

Hallo gliwi,

Und du erbst das Grün


vergangner Gärten und das stille Blau
zerfallner Himmel.
Tau aus tausend Tagen,
die vielen Sommer, die die Sonnen sagen,
und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen
wie viele Briefe einer jungen Frau.
Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder
in der Erinnerung von Dichtern liegen,
und alle Winter, wie verwaiste Länder,
scheinen sich leise an dich anzuschmiegen.
Du erbst Venedig und Kasan und Rom,
Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom,
die Troïtzka Lawra und das Monastir,
das unter Kiews Gärten ein Gewirr
von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, -
Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, -
und Klang wird dein sein Geigen, Hörner, Zungen,
und jedes Lied, das tief genug erklungen,
wird an dir glänzen wie ein Edelstein.


RMR

Anna :lol:
"anna blume... man kann dich auch von hinten lesen... du bist von hinten wie von vorne: "a-n-n-a." (kurt schwitters)
stilz
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Beitrag von stilz »

Blaue Hortensie


So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.


Aus: Neue Gedichte (1907)



Vorgefaßte Meinung. Hm.
Nun, mir scheint, man muß schon ziemlich entschlossen sein, an der Meinung "In Dinggedichten haben gewisse Inhalte nix verloren" festzuhalten, um angesichts der Zeile "... wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze" nicht an Vergänglichkeit zu denken.
Soviel Entschlossenheit kann ich zumindest heut Nacht beim besten Willen nicht mehr aufbringen.

Gute Nacht!

stilz
Scoletti
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Beitrag von Scoletti »

Hallo Gliwi!
Danke, du hast mir sehr geholfen, ich habe jetzt eine gute Stoffsammlung, mit deren Hilfe ich dieses Gedicht nun interpretieren kann.
Auch ich denke, dass es "nur" um die Beschreibung der Farbe einer Hortensie geht, ich werde nicht versuchen, auf Krampf etwas hineinzuinterpretieren. Dann würde ja die Bezeichnung "Dinggedicht" nicht mehr zu treffen.
Eines macht mir aber noch zu schaffen: Die Farben. Haben die vielen Farben eine Bedeutung? Gibt es einen Grund, warum Rilke das Gedicht mit Grün anfängen und mit Grün enden lässt?
Zum letzten Mal bitte ich dich um Hilfe.
Vielen Dank!
MfG, Anne
helle
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Beitrag von helle »

Oha - erstens ist es, wie es ist und zweitens ist es, wie ich's sage, und damit Ende der Predigt? Hier geht's doch nicht um Fragen wie, wer große Hauswoche hat oder wie lang der Mississippi ist, sondern das sind Auslegungsfragen und die lassen sich nicht dadurch klären, daß man auf den Tisch haut und basta sagt, das ist kindisch.

Für mich ist es keine zwingende Alternative, daß in "Blaue Hortensie" die Rede von einer Hortensie ist und dabei auch das Thema Vergänglichkeit - sagen wir mal -: anklingt, ebenso wie andere Themen, Tod oder Kindheit oder Erneuerung, das ist doch kein entweder/oder. Ich würde auch darüber streiten, daß eine (oder gar die – sozusagen platonische -) blaue Hortensie "beschrieben" wird, eine Beschreibung sieht wohl anders aus und kommt im Aufsatz oder Bestimmungsbuch vor. Dagegen muß dem Leser auch in so einem Flora-Gedicht alles "in den Sinn kommen", Liebe, Tod, Vergänglichkeit, sonst ist es doch fürs Herbarium.

Und ich bin nicht der Auffassung (auch wenn ich mich wiederhole), daß (z.B.) "diese verblichene Kinderschürze nur dazu da ist, dieses einzigartige Blau zu beschreiben", sondern Gegenthese, auch wenn sie jetzt zugespitzt ist: dieses einzigartige Blau ist nur dazu da, die blaue Kinderschürze und die verwaschenen und abgelegten Klamotten und die Farbtiegel und das Briefpapier sowie Freude, Tränen, Verlust usw. heranzutragen, damit all dies erscheinen kann im großen Weltreich der Sprache, wo die Dinge einfach so nebeneinander und in ungeahnten Verbindungen bestehen können. So wie schon das Blau nicht der blauen Hortensie gehört ("ein Blau/ nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln"), sondern sie hat es nur geborgt, vom Himmelsblau vielleicht. So sehe ich das, und gliwi wird es anders sehen und Stilz wieder etwas anders und ich hoffe, Scoletti auch etwas anders und so fort, es wär ja öde sonst. Meint

helle
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Liebe Helle,
nichts liegt mir ferner, als jemandem vorzuschreiben, woran er/sie bei einem Rilke-Gedicht denken darf. Aber verliere bitte nicht aus den Augen, dass Anne kein Buch über Rilke schreiben will, sondern eine Gedichtinterpretation, die sie jemandem vorlegen muss, der sie dann bewertet. Und du kannst mir glauben, dass ich damit einige Erfahrung habe. Wenn du eine Beethoven-Sonate hörst, darst du ja auch an alles Mögliche denken, aber wenn du darüber geprüft wirst, musst du halt die Tonart benennen und solche Dinge, das andere ist "subjektiv" und interessiert die Prüfer nicht.
Liebe Anne,
warum Grün? Mir fällt ein: Grün ist botanisch die Farbe des Lebens, poetisch die Farbe der Hoffnung. An der Hortensie ist viel mehr Grün als Blau. Grün ist eine Mischfarbe aus Gelb und Blau. Das Grün wäre, wenn wir denn unbedingt die Vergänglichkeit reinziehen wollten, geradezu ein Gegengewicht: das Leben, die Hoffnung, die Zukunft. Vielleicht kannst du damit was anfangen.
Gruß
Christiane
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ArmerSchüler

:-:

Beitrag von ArmerSchüler »

Ich hab sein Lebenszeit reininterpretiert... vor dem Krieg ..während dem Krieg .. und nach dem Krieg ...
lacrima
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Beitrag von lacrima »

nach dem, was ich gelernt habe, werden in dinggedichten und speziell im impressionismus und symbolismus, in den rilke ja einzuordnen ist, hinter den beschreibungen persönliche absichten und hintergründe angedeutet werden...
Weißt du's noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
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