Interpretation zu Einsamkeit, Buch der Bilder

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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andreas
Beiträge: 2
Registriert: 5. Dez 2002, 17:16

Interpretation zu Einsamkeit, Buch der Bilder

Beitrag von andreas »

Kann mir jemand bei der Interpretation des Gedichtes Einsamkeit aus dem Buch der Bilder helfen. Ich habe vor allem Mühe mit dem letzten Vers?
Vielen Dank
MischiFischi
Beiträge: 14
Registriert: 15. Nov 2002, 09:05
Wohnort: Kiel / Bremen

Meinst du das hier ??

Beitrag von MischiFischi »

Hallo Andreas!
Meinst du dieses Prachtexemplar von Gedichtchen?

Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.

Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...


Ich muss gestehen, dass ich mich mit vielen Gedichten Rilkes aus der früheren Zeit nicht auseinandergesetzt habe .... Was meinst du denn dazu, v.a. zum letzten Vers? An sich und auf den ersten Blick betrachtet, liegt hier doch ein ganz einfacher Vergleich vor: Der Regenkreislauf wird auf die Einsamkeit übertragen. Was heißt das dann für den letzten Vers? Und wie ist dieser Vergleich dann noch modifizierbar und auszubauen? Wer ist vom Flusslauf der Einsamkeit betroffen, wer nicht (mehr) ???? ... Ein erster Anfang, gib der Rilke.de - Menge deine geistigen Ergüsse preis, sie wird sie verschlingen .... !!!!

Grüße, Michael
Gast

Beitrag von Gast »

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...
Ich verstehe das Gedicht bis zu diesem letzten Vers. Aber warum geht die Einsamkeit mit den Flüssen. Was ist der Zusammenhang zwischen der Einsamkeit (und dem Rest der Aussage) und den Flüssen. Kommt die Einsamkeit dann so zahlreich, dass sie "in Strömen fliesst"? Zudem: warum wählt Rilke den Vergleich mit dem Regenkreislauf?
gliwi
Beiträge: 941
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Beitrag von gliwi »

Hieße das, dass sie tagsüber davonschwimmt und nur nachts über die menschen kommt, und zwar gerade über die, die "zu zweit" sind?
Wäre das die große Desillusionierung, dass man glaubt, mit der erfüllten Liebe von der Einsamkeit erlöst zu werden und dann die erfahrung macht, dass dem nicht so ist?Und diese Enttäuschung schlägt in Hass auf den anderen um, der die Erwartungen nicht erfüllt hat ?Gruß Christiane R.
Christiane
Beiträge: 27
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Beitrag von Christiane »

Meiner Meinung nach wählt Rilke das Bild des Wassers, weil es ein elementarer Bestandteil des Lebens ist und viele Erscheinungsformen hat. Indem der Kreislauf des Regens mit dem der Einsamkeit verglichen wird und somit auch die Flüsse in ihrer möglichen Aufgewühltheit und ihrer großen Länge ein Bild für die Einsamkeit sind, wird das Bild noch einmal extrem gesteigert. Aber vielleicht kann man die Flüsse auch positiv sehen: mit ihrer großen Kraft treiben sie die Einsamkeit davon und sie wird somit überwunden.
Ich glaube nicht, daß die beiden Bilder von den Menschen, die enttäuscht sind und diejenigen, die sich hassen, miteinander zu sehen sind; das sind für mich eher einmal eben die Enttäuschten (die Liebe suchen, aber nicht finden) und zum anderen diejenigen, die sich einst liebten und sich nun hassen (z.B. nach einer langen abgestumpften Beziehung, in der man nur noch zusammen ist, weil man, warum auch immer, nicht gehen kann).

Gruß, Christiane
Richard Godwin Kurman
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Brief mit Regen

Beitrag von Richard Godwin Kurman »

Ein Brief vom 06.10.07 aus Paris hat Zeilen wie im befragte Gedicht. Jedenfalls eine aehnliche stimmung.
Auch Amerikaner kann lesen.
naser

Re: Interpretation zu Einsamkeit, Buch der Bilder

Beitrag von naser »

Der letzte Vers schliesst das Bild : "Die Einsamkeit ist wie ein Regen". Der Regen fällt nachdem er durch die Gewänder der Städte (in diesem Falle durch frühe Gassen) und durch die Seelen der Menschen unversehrt sickert zurück an seine Anfangsstelle : Die weiten Gewässer der Natur. Wesentlich ist, das er unverändert bleibt. Das Gedicht will sagen : Trotz scheinbaren Zwitterstunden bleibt die Einsamkeit so wie sie ist..... Elementar ! Es gibt also nur sie in dem Leben dieser Menschen. Alles andere ist Schein !
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