Suche Drei-Sterne-Gedicht

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo,

eine kleine Ergänzung: Rainer Maria Rilke geht in seinem Vortrag "Moderne Lyrik" von 1898 auch auf S. George ein. Nachzulesen im 4. Band der KA (S. 61ff.). Dort heißt es u.a.: "...Ein ganzes Chaos von Gefühlen, Sehnsüchten und Erzürnungen strömt ungedämmt aus in Momberts Gesängen, der dem Übermaß seines Empfindungsinhaltes zuviel zutraut, wenn er wähnt, daß das bloße Erstarren seiner Eruptionen schon "Form" sei, während bei George jene tiefsten und letzten Geständnisse, die das Wesen aller Lyrik bedeuten, rein formelle Glaubensmeinungen sind, welche die Verse mit kalter und fast armer Klarheit erfüllen..." Und er spricht weiter von den "Randsäulen seines engen weißen Marmortempelchen", über das George nichtmehr wagt in die Landschaft zu sehen. Rilkes Kritik richtet sich aber auch - und vor allem - gegen die Nachahmer Georges. Es lohnt sich diesen Vortrag einmal zu lesen, um einen Einblick in die Lyrik um die Jahrhundertwende - aus Sicht Rilkes - zu erhalten .

Barbara :lol:
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Anna B.
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Beitrag von Anna B. »

Sehr geehrter Herr Interpretator :lol: ,

vermute annehmen zu dürfen, dass sich Drei-Sterne beziehe auf die Anonymitaet dieses Werkes, wie es zuerste die Sache gewesen ist . Des späteren erst es benannt wurde zu "Winterliche Stanzen" - wie den vorherigen Artikeln leicht entnommen werden dürfte...

Freundlichst grüßend Anna (auch genannt: Ballerina anonymus Blume) :lol: :lol: :lol:
.Sabine.
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Beitrag von .Sabine. »

Hallo, ein freundliches adventliches Hallo in die Runde,

gefunden:

Schneeflocken

Gnädige Frau, es schneit, es schneit!
Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid?

Gnädige Frau, hier in der Ferne
schneit's bei hellichtem Tage Sterne.

Und diese Sterne flimmern genau
wie die Zähne der gnädigen Frau.

Oder wie Blüten von weißem Flieder,
gnädige Frau, an Dero Mieder.

Oder die Blicke des Herrn Gemahls
am Tage Ihres Hochzeitsballs.

Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen,
gnädige Frau, wie tanzende Elfen.

Hänseln jeglichen Parapluie;
will man sie fassen, zerflimmern sie.

Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern,
die sind wirklich nit zu schildern.

Gnädige Frau, so wild, so mild
wie ein opalisch flimmerndes Bild.

Und, ach Gnädigste, diese Sterne
tanzen auf manchermanns Nase gerne.

Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau,
zertanzen sie zu Thränentau.

Zertanzen sie wie kichernde Lieder:
morgen, morgen tanzen wir wieder!

Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß!
Frechheit - aber wer muß, der muß.


Richard Dehmel
(1863-1920)

Sabine :lol:
"Ich lerne sehen.... " (Rainer Maria Rilke)
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lilaloufan
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Re:

Beitrag von lilaloufan »

Anna B. hat geschrieben:Hallo,

eine weitere Frage hätte ich doch noch: warum hat K. Kraus den Autoren ausgerechnet an dem Wort "leisten" erkannt ? Was ist daran so Rilke typisch ?

Viele Grüße von Anna :lol:
Liebe Anna,

in Posting #7121 ist aus einem Brief (an E. M.) vom 13.IX.1922 zitiert, dessen letztes Wort nicht von ungefähr „leisten“ heißt.

Wenn ich bedenke, wie häufig heutzutage der Joker „machen“ die Stelle solcher Transitiva wie „leisten“, „vollbringen“, ja sogar „schaffen“ vertritt („ein Praktikum …“; „eine Aufgabe …“, „Ordnung …“), und dass diese Verarmung/Verflachung des Verbeninventars [nicht Verschmälerung übrigens!] für Rilke bereits schmerzlich spürbar wurde, dann verstehe ich schon ein wenig, dass dieses „arme“ unscheinbare Wort für Karl Kraus eine untrüglich Rilke erkennen lassende Wendung schien.

Bei dieser Gelegenheit: Herzlichen Dank (auch @Barbara) fürs Einstellen der «Winterlichen Stanzen»; die haben mir gestern früh unvermutet weitergeholfen, als ich anderthalb Stunden vor einer Ansprache bemerkte, auf das falsche Thema eingestellt zu sein, und über die Suchfunktion dann dieses Gedicht fand, das genau das traf, was ich zum tatsächlich gegebnen Thema ausführen wollte.

Grüße,
Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
stilz
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Re: leisten...

Beitrag von stilz »

Wie schön, diesem Gespräch heut unerwartet wieder zu begegnen!
Ich erinnere mich noch gut: obwohl ich damals viel weniger Ahnung von Rilke hatte als heute, konnte ich sofort nachvollziehen, daß Karl Kraus den "echten Rilke" gerade am Wort "leisten" erkannt hatte.
Ich dachte dabei wohl vor allem an den "Malte", da ist an verschiedenen Stellen davon die Rede, die Liebe zu "leisten":

Aufzeichnung 68:

Er kennt auf einmal dieses entschlossene Herz, das bereit war, die ganze Liebe zu leisten bis ans Ende.

Aufzeichnung 70:

Manchmal früher fragte ich mich, warum Abelone die Kalorien ihres großartigen Gefühls nicht an Gott wandte. Ich weiß, sie sehnte sich, ihrer Liebe alles Transitive zu nehmen, aber konnte ihr wahrhaftiges Herz sich darüber täuschen, daß Gott nur eine Richtung der Liebe ist, kein Liebesgegenstand? Wußte sie nicht, daß keine Gegenliebe von ihm zu fürchten war? Kannte sie nicht die Zurückhaltung dieses überlegenen Geliebten, der die Lust ruhig hinausschiebt, um uns, Langsame, unser ganzes Herz leisten zu lassen?

Aufzeichnung 71:

Nun, da er so mühsam und kummervoll lieben lernte, wurde ihm gezeigt, wie nachlässig und gering bisher alle Liebe gewesen war, die er zu leisten vermeinte. Wie aus keiner etwas hatte werden können, weil er nicht begonnen hatte, an ihr Arbeit zu tun und sie zu verwirklichen.
...
Ja, seine innere Fassung ging so weit, daß er beschloß, das Wichtigste von dem, was er früher nicht hatte leisten können, was einfach nur durchwartet worden war, nachzuholen. Er dachte vor allem an die Kindheit, sie kam ihm, je ruhiger er sich besann, desto ungetaner vor; alle ihre Erinnerungen hatten das Vage von Ahnungen an sich, und daß sie als vergangen galten, machte sie nahezu zukünftig. Dies alles noch einmal und nun wirklich auf sich zu nehmen, war der Grund, weshalb der Entfremdete heimkehrte.


Diese letzte Stelle führt mich nun heute auch noch zur Neunten Elegie:

... warum dann
Menschliches müssen - und, Schicksal vermeidend,
sich sehnen nach Schicksal?
...
Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar
alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das
seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Und wir auch
ein Mal. Nie wieder. Aber dieses
ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal:
irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.


Und so drängen wir uns und wollen es leisten,
wollens enthalten in unsern einfachen Händen,
im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.
Wollen es werden. - Wem es geben? Am liebsten
alles behalten für immer... Ach, in den andern Bezug,
wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier
langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.
Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,
also der Liebe lange Erfahrung, - also
lauter Unsägliches. ...


Hier ist für mich der Schlüssel für Rilkes "leisten". Es geht ihm darum, etwas mit "hinüber" zu nehmen, in den "andern Bezug". Das kann nur dort gelingen, wo wir aktiv "unser ganzes Herz leisten", statt unser Leben passiv "einfach nur zu durchwarten"...
So fordert Rilke auch in der "Fortsetzung" zu den "Winterlichen Stanzen" *) das "innere Du", das sich seinem "Ich" gegenüberstellt, auf, sich vorzubereiten:
...
Los ohne gleichen: im Vergehn zu sein;
zu schweben unter lauter Stellen Schwindens,
sich für die Zeiten künftigen Erblindens
zu füllen mit gefühltem Augenschein.
...


Und auch im hier schon oft zitierten erläuternden Brief an Witold Hulewicz spricht Rilke noch einmal vom "Leisten":
Der Tod ist die uns abgekehrte, von uns unbeschienene Seite des Lebens: wir müssen versuchen, das größeste Bewußtsein unseres Daseins zu leisten, das in beiden unabgegrenzten Bereichen zu Hause ist, aus beiden unerschöpflich genährt...Die wahre Lebensgestalt reicht durch beide Gebiete, das Blut des größesten Kreislaufs treibt durch beide...

[Hervorhebungen "bold" jeweils von mir]


Ja.
Ich glaube wirklich, Rilke könnte auch heute noch zufrieden sein damit, daß man ihn gerade an diesem Wort erkennt.

Herzlichen Gruß!

Ingrid

---
*) Wo hast Du denn die eigentlich gefunden, Barbara? In meinem Gedichtband sind sie nicht enthalten...
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von stilz »

Und nun noch ein Fund, der mich nachdenklich werden läßt, was es wohl mit der „Fortsetzung“ der „Winterlichen Stanzen“ auf sich haben könnte.

Am 1.März schreibt Rilke an Veronika Erdmann, die "Stanzen" betreffend:
“Sie sprechen mir freundlich von einigen … Verszeilen, die auch mir geheimnisvoll-lieb und irgendwie wichtig geblieben sind. Ich fand sie, eines Tages, schon verblichen, auf einem sonnenvergilbten Blatt, sie wiedererkennend: kurz nach meiner Rückkehr von Spanien, dürfte ich sie, in Paris, 1913 oder Anfang 1914, aufgeschrieben haben…“

Am 11. Februar 1922 vollendet Rilke die Zehnte der Duineser Elegien. Gleichzeitig verwirft er den zweiten und dritten Teil einer früheren Fassung aus dem Pariser Spätherbst/Jahresende 1913: diese Zeilen sollen nicht in der „Elegie“ stehen.
Dennoch ist ihm vieles, was „im Umkreis der Elegien“ entstanden ist, wert und soll gleichzeitig mit ihnen, in einem zweiten Teil, den er mit „Fragmentarisches“ überschreiben will, veröffentlicht werden; denn „… diese Gedichte, den Elegien verwandt und ihnen durchaus zeitgenössisch, blieben sonst für immer zurück.“, wie er am 23.2.1922 an Anton Kippenberg schreibt.

Diese für die Zehnte Elegie „verworfenen“ Teile berühren mich sehr. Hier scheint sich das Rätsel zu lösen, weshalb Rilke davon ausging, „wir müssen versuchen, das größeste Bewußtsein unseres Daseins zu leisten“, um uns „für die Zeiten künftigen Erblindens/zu füllen mit gefühltem Augenschein.“
Ich denke dabei auch an das Gedicht An den Engel (auch aus dem Winter 1913/14), das mit den Worten endet:
  • Leuchte, leuchte! Mach mich angeschauter
    bei den Sternen. Denn ich schwinde hin.
Ich nehme an, auch diese „frühere Fassung“ ist damals unter dem Titel „Anfänge und Fragmentarisches aus dem Umkreis der Elegien“ veröffentlicht worden. In meinem Insel-Band „Rainer Maria Rilke. Die Gedichte“ steht sie unmittelbar nach den „Winterlichen Stanzen“:
  • Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht
    Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.
    Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens
    keiner versage an weichen, zweifelnden oder
    jähzornigen Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz
    glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen
    blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,
    gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,
    hinnahm, nicht in euer gelöstes
    Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.
    Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,
    ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja
    Zeiten von uns, unser winter-
    währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,
    von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.

    Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel
    über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?
    Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,
    sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern
    schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal
    böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,
    daß du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?
    Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,
    die du hinüberverlorest – so wenig gewaltsam,
    eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.
    (Fast wie das Mädchen, das grade dem Freier sich zusprach
    der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken
    an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern
    fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,
    und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun
    ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,
    die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,
    draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.
    Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;
    als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,
    vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,
    ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.

    Viel zu weit gehörst du in's Leiden. Vergäßest
    du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,
    riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,
    einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks
    leidunmächtig, immer wieder versuchend,
    dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.
    Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde
    nicht daß es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel
    nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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lilaloufan
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von lilaloufan »

Danke, @stilz, für die vielen Hinweise, vor allem auch auf das „leisten“, auf das Karl Kraus aufmerksam gemacht hat.

Lou Albert-Lazard schrieb über dieses »Drei-Sterne-Gedicht«: Rilkes „so seltsam intensive Liebe zum Leben breitet sich in einer äußersten und herrlichen Fülle in dem Gedicht, ,Winterliche Stanzen' aus, einem Gedicht höchster Reife, von fast klassischem Ton, das in seiner befriedeten Freude etwas in sich Beschlossenes hat, als sei es das Siegel seiner Freundschaft mit dem Leben der Natur.

Nun habe ich zu: „Natur ist göttlich voll…“ noch eine andere Frage, die sich bezieht auf das letzte Wort: „die Genüge” – ein Wort, das übrigens auch in dem Gedicht: „Der Reisende” feminin vorkommt:
  • Abschiede streifen die Straßen und Stufen,
    wo noch eben in heiler Genüge
    Menschen sich halten.
Wie fasst Ihr es auf?

Ich habe ein bisschen recherchiert:

Ins Russische übersetzt lautet der Schluss des Gedichts <Internetfund> so:
  • Божественным увидит мирозданье
    тот, кто в творенье божества возник.
    Кто внутренне сумел постичь природу,
    тот отдал ей сполна свою свободу.

    Тот отдал ей себя всего без меры
    и без надежды ощутить иное.
    Тот отдал ей себя всего без меры,
    без мысли, что утратил остальное.
    Тот отдал ей себя всего без меры,
    и в вихре чувств, не мысля о покое,
    он поражен, что сердце охватила
    трепещущая, радостная сила.
{interessant: возни́кнуть = „entstehen lassen“, „entflammen“, „ins Leben rufen“}

Ich kann zwar kein Russisch, aber für „сила“ gibt Leo (in alphabetischer Ordnung) an: „Geltung“, „Gewalt“, „Gültigkeit“, „Intensität“, „Kraft“, „Macht“, „Robustheit“, „Stärke“, „Vehemenz“, „Wucht“.

Das sind immerhin Worte mit seeehr unterschiedlichen Konnotationen. Die сила eines Chunta-Obristen wäre etwas ganz anderes als die сила eines Hurrikans oder die сила eines Cherubs.
Das Grimmsche Wörterbuch hat geschrieben:genüge, f. n. subst. zu genug, ahd. ginuogî, ginôgî abundantia, alts. ginôgî befriedigung, mhd. genüege, mnd. genoge, genuge, gnoge wb. 2, 61a, noge 3, 194b. im 15. jahrh. auch genung, genüng, d. i. genünge, der nebenform genung von genug folgend, s. dort 1, g. übrigens gilt auch gnüge nicht blosz bei oberd. schriftstellern, wie gnug neben genug. s. auch die alte nebenform genügde.

1) fraglich ist zunächst das schwanken im geschlecht.

2) der begriff tritt in schwankender abstufung auf, wie genug (s. dort 5), theils nach genauem masz, theils nach vollem oder gehäuftem gemessen, je nach der auffassung der betheiligten.

a) der genaue begriff zeigt sich z. b.
α) in verbindung mit notdurft, mangel oder zu viel
β) bemerkenswert billige genüge, nach billigem masze gemessen, nicht nach strengem (es ist ja beim zumessen auch streit darum)
γ) der genaue begriff auch in dem vielgebrauchten zur genüge, dasz es genug ist, ausreicht,

b) daneben volle genüge u. ä., nach vollem oder reichlichem masz gemessen

c) weiter gesteigert überflüssige genüge, wie überflüssig genug, d. h. vom überlaufenden masze

3) es nimmt auch den gen. des gegenstandes zu sich, wie genug selbst,
das gehört aber zugleich zu dem transitiven genügen (s. d. 1, a), befriedigen, genug geben.

4) der begriff verlegte sich aber auch von auszen nach innen, vom gegenstand der genüge in den eigner, daher für befriedigung u. ähnl.

a) wer genüge hat an lebensbedarf u. dgl., hat auch genüge in sich, ist genügt, begnügt, vergnügt, wieder in verschiedener abstufung je nach ansprüchen

b) dann wesentlich oder ganz innerlich, befriedigung, in verschiedenster abstufung, bis zum höchsten

c) auch, zugleich wieder äuszerlich, geradezu für lust, ergötzen, freude, also wie vergnügen (eigentlich volle befriedigung)

d) auch in der bedeutung sättigung zeigt sich der übertritt von auszen ins innere

5) genüge, befriedigung von ansprüchen, genugthuung.

a) genüge thun, gleich genug thun, aber auch ein genügen thun

b) dazu genüge geschehen, wie zu genug thun von der andern seite genug geschehen: (…) von rechtsansprüchen und rechtsspruch, s. dazu u. genug. noch jetzt im amtlichen und zeitungsstil, doch wieder ohne den artikel, z. b. dem nächsten bedürfnis ist damit genüge geschehen.

c) auch gewichtiger genüge leisten, eigentlich als von amts wegen auferlegte leistung
Oh!

Ich muss zugeben, jetzt bin ich noch mehr verwirrt. Und normalerweise stelle ich meine Frage gerne so, dass wenigstens ein Versuch meinerseits deutlich wird, der Antwort näherzukommen. Aber diesmal haben meine eigenen Versuche nur von jeder möglichen Antwort weggeführt. Deshalb frage ich euch heute mal mit ganz leeren Händen.

Liebe Grüße,
Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
stilz
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von stilz »

Zuerst noch einmal das Ende der „Stanzen“:
  • Natur ist göttlich voll; wer kann sie leisten,
    wenn ihn ein Gott nicht so natürlich macht.
    Denn wer sie innen, wie sie drängt, empfände,
    verhielte sich, erfüllt in seine Hände.

    Verhielte sich wie Übermaß und Menge
    und hoffte nicht noch Neues zu empfangen,
    verhielte sich wie Übermaß und Menge
    und meinte nicht, es sei ihm was entgangen,
    verhielte sich wie Übermaß und Menge
    mit maßlos übertroffenem Verlangen
    und staunte nur noch, daß er dies ertrüge:
    die schwankende, gewaltige Genüge.
Lieber Christoph,
für mich liegt die Antwort auf Deine Frage im „maßlos übertroffenem Verlangen“ zwei Zeilen davor:
Wenn etwas übervoll ist - wie kann man es ertragen, ohne zu schwanken und dabei Gefahr zu laufen, etwas davon zu „verlieren“?

Ich denke an ein Gedicht Hugo von Hofmannsthals:
  • Die Beiden

    Sie trug den Becher in der Hand -
    Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
    So leicht und sicher war ihr Gang,
    Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

    So leicht und fest war seine Hand:
    Er ritt auf einem jungen Pferde,
    Und mit nachlässiger Gebärde
    Erzwang er, daß es zitternd stand.

    Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
    Den leichten Becher nehmen sollte,
    So war es beiden allzu schwer:
    Denn beide bebten sie so sehr,
    Daß keine Hand die andre fand
    Und dunkler Wein am Boden rollte.

Und ein Bibelwort fällt mir ein, Matthäus 12,34:
  • Εκ γάρ του περισσεύματος της καρδίας το στόμα λαλεί.
    Denn aus dem Überfluß des Herzens schwatzt der Mund.


Und bei den Zeilen:
  • Natur ist göttlich voll; wer kann sie leisten,
    wenn ihn ein Gott nicht so natürlich macht.
denke ich an Goethes Trilogie der Leidenschaft.

Das erste dieser Gedichte, „An Werther“, endet so:
  • Verstrickt in solche Qualen, halbverschuldet,
    Geb ihm ein Gott, zu sagen, was er duldet.
Das zweite, die „Elegie“, hebt mit den Zeilen an:
  • Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
    Gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide.
Und hier das dritte, die „Aussöhnung“:
  • Die Leidenschaft bringt Leiden! – Wer beschwichtigt
    Beklommnes Herz, das allzuviel verloren?
    Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt?
    Vergebens war das Schönste dir erkoren!
    Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen;
    Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!

    Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen,
    Verflicht zu Millionen Tön um Töne,
    Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
    Zu überfüllen ihn mit ewger Schöne;
    Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
    Den Doppelwert der Töne wie der Tränen.

    Und so das Herz erleichtert merkt behende,
    Daß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,
    Zum reinsten Dank der überreichen Spende
    Sich selbst erwidernd willig darzutragen.
    Da fühlte sich – o daß es ewig bliebe! –
    Das Doppelglück der Töne wie der Liebe.

Genauer kann ich's im Augenblick nicht sagen, wie ich Rilkes „Genüge“ hier auffasse - und auch das „die Natur leisten“...

Herzlichen Gruß,
Ingrid
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von lilaloufan »

Lieben Dank, Ingrid, vor allem für περισσεύματος της καρδίας. Und doch – ich bin noch nicht weitergekommen.

In Hofmannsthals Gedicht ist ja der Becher dort draußen. In der Hand. Der Wein am Boden.
Die menschliche Leibesgestalt (Kinn und Mund) gleicht ihm, wie bei Edgar J. Rubins Vase.

Aber hier wäre (nicht: bin!) ich selbst als Mensch der Becher:
  • Wer sie [die Natur] innen, wie sie drängt, empfände,
    der
    staunte nur noch, daß er dies ertrüge:
    die schwankende, gewaltige Genüge.
Nun frage ich Dich ganz direkt: Verstehst Du es so, dass „dies“ dem
Rudolf Steiner in seiner Übersetzung von Mt. [b]12[/b].[i]34[/i], 25. September 1909 [GA 114] hat geschrieben:
  • »Überfließen des Herzens«
gleich kommt?

Liebe Grüße,
Christoph
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stilz
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von stilz »

Lieber Christoph,

es tut mir leid, aber auf Deine direkte Frage werde ich wohl nicht so schnell ebenso direkt antworten können.
Denn weißt Du - es war mir ganz ernst, als ich schrieb:
stilz hat geschrieben: Genauer kann ich's im Augenblick nicht sagen, wie ich Rilkes „Genüge“ hier auffasse - und auch das „die Natur leisten“...
Ich begreife dieses Gedicht vorläufig sozusagen in einer „nonverbalen Schicht“ meines Wesens. Und jedesmal, wenn ich versuche, es in Worte zu fassen, entschlüpft es ihnen, und ich bleibe mit einem leeren „Netz“ zurück... deshalb kam ich auf den Gedanken, es - ähnlich dem negative space drawing - mit Assoziationen zu versuchen, die in mir zu diesem Gedicht erscheinen:
  • Wir kennen den Kontur des Fühlens
    nicht: nur, was ihn formt von außen.
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Re:

Beitrag von lilaloufan »

Barbara, [url=http://rilke.de/phpBB3/viewtopic.php?p=2811#p2811]hier[/url], hat geschrieben:Hallo,
ich habe die Fortsetzung Rilkes zu diesem Gedicht gefunden:
  • Drum sei dem winterlichen Zimmer gut
Unter diesem Gedichtanfang finde ich es nicht; wo steht denn dieses Gedicht?

l.
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von stilz »

Lieber Christoph,

nun will ich versuchen, ob ich meiner Empfindung zu Deiner Frage nach der „Genüge“ etwas näherkommen kann.

Natur ist göttlich voll
, sagt Rilke in den „Stanzen“.
Ich denke dabei auch an dieses Gedicht (München, Frühjahr 1919):

  • Natur ist glücklich. Doch in uns begegnen
    sich zuviel Kräfte, die sich wirr bestreiten:
    wer hat ein Frühjahr innen zu bereiten?
    Wer weiß zu scheinen? Wer vermag zu regnen?

    Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
    Wer faßt in sich der Vogelflüge Raum?
    Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
    wie jeder Zweig an einem jeden Baum?

    Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
    ins unbekannte Glück so rein, so reg?
    Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
    und hält sich oben wie ein Wiesenweg?

Und ich denke an die vierte Elegie, von der ich hier gesagt hatte, sie „hat, wie ich sie begreife, das menschliche Bewußtsein zum Thema, im Gegensatz zum "Bewußtsein der Natur“.“

Dieser Gegensatz scheint mir auch in den „Stanzen“ gemeint, wenn es heißt:
  • Natur ist göttlich voll; wer kann sie leisten,
    wenn ihn ein Gott nicht so natürlich macht.
Natur ist göttlich voll, Natur ist glücklich - nur der Mensch kann sie nicht „leisten“. Denn er ist das Wesen, das Gott nicht in dieser Weise bloß natür-lich gemacht hat. Und so begegnen im Menschen sich zuviel Kräfte, die sich wirr bestreiten...

In den „Stanzen“ nennt Rilke eine weitere Begründung dafür, daß der Mensch sie, die Natur, nicht „leisten“ kann:

  • Denn wer sie innen, wie sie drängt, empfände,
    verhielte sich, erfüllt in seine Hände.

Der Mensch ist das Wesen, das versucht, alles, was ihm begegnet, innen zu empfinden, in seinem Bewußtsein... allerdings gelingt ihm das nicht in Vollständigkeit. Die Natur, in ihrer Heil- und Ganzheit (oder, wie Rilke an anderer Stelle sagt: das Offene) – im Inneren des Menschen scheint sie nur in auseinanderfallenden Teilen Raum zu haben.

Wenn es dennoch gelänge, wenn der Mensch die Natur vollständig innen, wie sie drängt, empfände - was wäre dann?
Der Mensch verhielte sich:
  • Verhielte sich wie Übermaß und Menge
    und hoffte nicht noch Neues zu empfangen,
    verhielte sich wie Übermaß und Menge
    und meinte nicht, es sei ihm was entgangen,
    verhielte sich wie Übermaß und Menge
    mit maßlos übertroffenem Verlangen
    und staunte nur noch, daß er dies ertrüge:
    die schwankende, gewaltige Genüge.
--- und ich frage mich nun, ob es etwas „Neues“ geben könnte, von dem ein solcher Mensch nicht bemerken würde, daß er es sich entgehen ließe... ob ein Mensch nach diesem „Neuen“ sogar nur dann verlangen kann, wenn sich in seinem Inneren zuviel Kräfte begegnen, die sich wirr bestreiten ... ?

Goethes Faust fällt mir ein – beim Osterspaziergang sagt er zu Wagner:
  • Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
    O lerne nie den andern kennen!
    Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
    Die eine will sich von der andern trennen;
    Die eine hält, in derber Liebeslust,
    Sich an die Welt mit klammernden Organen;
    Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
    Zu den Gefilden hoher Ahnen.
(Und: »Mir fällt ein, was mir fehlt.«, las ich gestern in einem Interview anläßlich Martin Walsers 85. Geburtstag...)

- - -

Über den zweiten Teil dieser Zeile will ich noch weiter nachdenken:
  • verhielte sich, erfüllt in seine Hände.
Wie begreifst Du, wie begreift Ihr anderen Mitlesenden diese Zeile?


Herzlichen Gruß,

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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lilaloufan
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von lilaloufan »

stilz hat geschrieben:
  • verhielte sich, erfüllt in seine Hände.
Wie begreifst Du, wie begreift Ihr anderen Mitlesenden diese Zeile?
Liebe Ingrid,

„begreifen“ schreibst Du sicher nicht von ungefähr. Das nämlich tun zunächst unsere vorderen Gliedmaßen, bis sich im Schulalter dieses unmittelbar tastende Verhältnis zur Welt in ein vermitteltes wandeln kann, da die Glieder ihre sensomotorische Koordination sogar bis zu ersten persönlich-typischen gestischen Gewohnheiten hin ausgebildet haben und das Begreifen frei wird für Abstraktionserwerb und systematisches Lernen. Wenn uns aber die seelisch-organisch tierverwandte Natur unkultiviert ins Kraut schießt, dann agieren wir weiterhin auf die Weise, wie wir als Kinder ungestüm Willenswesen waren, und werden je nach Temperament und sittlicher Sozialisation jähzornig oder kreativ, aber in beiden Fällen gehen wir – „voll“, wie man neudeutsch oft hört – auf in dieserart willensbetontem Tatendrang, und das Ergreifen der Welt gewinnt Vorrang vor dem Begreifen ihrer Zusammenhänge, vergleichbar dem Biber, den der Ingenieur bestaunen darf, der aber nichts von seinem eigenen Talent „begreift“, eben weil es instinktiv bleibt.

Hättest Du „verstehen“ geschrieben, hätte ich anders schreiben müssen ;-). Insofern scheint es vielleicht, als habe meine Antwort mehr mit Deiner Frage zu tun als mit der Gedichtzeile, auf die jene sich bezog. Ich habe aber diese Stelle bisher nie anders aufgefasst als so - und bleibe neugierig auf die anderen Les-Arten.

Gruß in die Runde,
Christoph
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von stilz »

Lieber Christoph,

danke für Deine Antwort.
lilaloufan hat geschrieben:Insofern scheint es vielleicht, als habe meine Antwort mehr mit Deiner Frage zu tun als mit der Gedichtzeile, auf die jene sich bezog.
Also --- ich freu mich über alles, was Du zum „Begreifen“ sagst. Aber, ehrlich gesagt, wird mir daraus im Augenblick noch nicht klar, was genau Du nun meinst mit „so“:
lilaloufan hat geschrieben:Ich habe aber diese Stelle bisher nie anders aufgefasst [was ja natürlich wieder mit den vorderen Gliedmaßen zu tun hat; :wink: stilzige Anmerkung] als so ...
:wink: Ich möchte nun nicht fragen, wie Du Dich zu Rilkes „verhielte“ verhältst.
Aber mir wird nicht deutlich: siehst (verstehst :wink: ) Du dieses „sich Verhalten“ als ein „sich Benehmen“, „sich dazu Stellen“, „die eigenen Aktionen und Reaktionen darauf Einrichten“ --- oder im Sinne eines „Innehaltens“, wenn nicht sogar eines „sich Enthaltens“ ?

Ich denke dabei auch an die letzten Worte der dritten Elegie, und an diese Stelle aus der zweiten Elegie:
  • Ich weiß,
    ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,
    weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
    zudeckt; weil ihr darunter das reine
    Dauern verspürt. So versprecht ihr euch Ewigkeit fast
    von der Umarmung.
--- und, im Zusammenhang damit, an das, was Faust zu Mephisto sagt:
  • Werd' ich zum Augenblicke sagen:
    Verweile doch! du bist so schön!
    Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
    dann will ich gern zugrunde gehn!
Diese Gedanken in eine konkrete Frage gefaßt:
  • Verhielte sich wie Übermaß und Menge
    ...
    verhielte sich, erfüllt in seine Hände.

Wie verhalten sich die Worte »verhielte sich« in diesem Gedicht zu dem »weil die Liebkosung verhält« in der zweiten und dem »Verhalt ihn« in der dritten Elegie?

Herzlichen Gruß,

Ingrid
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Re: Suche Drei-Sterne-Gedicht

Beitrag von lilaloufan »

stilz hat geschrieben:…In den „Stanzen“ nennt Rilke eine weitere Begründung dafür, daß der Mensch sie, die Natur, nicht „leisten“ kann:

  • Denn wer sie innen, wie sie drängt, empfände,
    verhielte sich, erfüllt in seine Hände.
stilz hat geschrieben:… Aber, ehrlich gesagt, wird mir daraus im Augenblick noch nicht klar, was genau Du nun meinst mit „so“:
lilaloufan hat geschrieben:Ich habe aber diese Stelle bisher nie anders aufgefasst [was ja natürlich wieder mit den vorderen Gliedmaßen zu tun hat; :wink: stilzige Anmerkung] als so ...
:wink: Ich möchte nun nicht fragen, wie Du Dich zu Rilkes „verhielte“ verhältst.
Aber mir wird nicht deutlich: siehst (verstehst :wink: ) Du dieses „sich Verhalten“ als ein „sich Benehmen“, „sich dazu Stellen“, „die eigenen Aktionen und Reaktionen darauf Einrichten“ --- oder im Sinne eines „Innehaltens“, wenn nicht sogar eines „sich Enthaltens“ ?

… in eine konkrete Frage gefaßt:
  • Verhielte sich wie Übermaß und Menge
    ...
    verhielte sich, erfüllt in seine Hände.

Wie verhalten sich die Worte »verhielte sich« in diesem Gedicht zu dem »weil die Liebkosung verhält« in der zweiten und dem »Verhalt ihn« in der dritten Elegie?
Liebe Ingrid,
Deiner letzten Frage kann ich mich heute aus Arbeitsdruck nicht zuwenden, aber wie ich das Geschriebene gemeint habe, möchte ich doch gerne rasch erläutern.
lilaloufan hat geschrieben:… Wenn uns aber die seelisch-organisch tierverwandte Natur unkultiviert ins Kraut schießt, dann agieren wir weiterhin auf die Weise, wie wir als Kinder ungestüm Willenswesen waren, und werden je nach Temperament und sittlicher Sozialisation jähzornig oder kreativ, aber in beiden Fällen gehen wir – „voll“, wie man neudeutsch oft hört – auf in dieserart willensbetontem Tatendrang, und das Ergreifen der Welt gewinnt Vorrang vor dem Begreifen ihrer Zusammenhänge, vergleichbar dem Biber, den der Ingenieur bestaunen darf, der aber nichts von seinem eigenen Talent „begreift“, eben weil es instinktiv bleibt.
Das sollte heißen, wer nicht an sich, dem alten Esel, arbeitete, der würde immer vom von innen drängenden Ungestüm seiner „tierverwandten Natur” zu seinen (dann unfreien und vor allem ungezügelten: „Übermaß und Menge”!) Handlungen und Ängsten getrieben sein, denn erst die ur-menschliche Zurückhaltung kultiviert den Wilden. Sein Verhalten bliebe so, dass man ihn in seinen Hand-lungen „voll”=erfüllt aufgehen sähe, aber eben nicht mit der Hingabe des Interesses an das Tun, sondern so, dass er sich im Hand-haben erschöpfte und man Kopf und Herz vermissen müsste.

Ist’s so jetzt deutlicher?

Grüße ringsum,
Christoph
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