Rilke und C.G. Jung

Tipps und Kritiken zu Werken rund um Rilke

Moderatoren: Thilo, stilz

Martina
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Rilke und C.G. Jung

Beitrag von Martina »

:!: Ich habe mich in meiner Dissertation mit dem Verhältnis zwischen Rilke und C.G. Jung befasst. Diese Arbeit war überfällig, wenn man bedenkt, wieviel ungeprüfte Vermutungen es zu diesem Verhältnis gibt. In der Mitte dieser Begegnung befanden sich Freud und Andreas-Salomé. Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht und ich könnte mir denken, dass sie in diesem Forum interessiert. Ich habe hierzu auch bereits mehrere Vorträge gehalten, befinde mich aber zur Zeit (seit einem Jahr) in Tunesien.
Verfasserin/Titel: Martina Wegener-Stratmann: Totalitätsvorstellungen der Jahrhundertwende. Die Weltbilder von Rainer Maria Rilke und C.G. Jung im Vergleich.
Viele Grüße, Martina
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Martina,
ich habe deinen Beitrag jetzt erst gesehen. Die letzten Monate war ich nämlich kaum noch im Forum - muss auch zugeben, dass mir die extrem differenzierende Themengliederung inzwischen etwas zu mühselig (zum konsequenten Durchsichten) ist.
Es ist aber der erste Beitrag seit langem, der mich wieder etwas neugierig macht. Während meines Studiums (vor zig Aeonen!) habe ich mich auch gerne mit C. G. Jung befasst und kann mir vorstellen, dass die Parallelen zwischen Jung und Rilke größere Tiefen erreichen als die zwischen Freud und Rilke.
Wirf doch einfach mal einen "Brocken", der dich besonders gefesselt hat hier rein, vielleicht "beißt" dann auch jemand an und antwortet!!!
Gruß :roll:
Martina
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Beitrag von Martina »

Hallo Marie,
nach einem netten Djerbaaufenthalt also jetzt meine Antwort.
Auf die Spur bin ich dem Thema Rilke-Jung gekommen, als ich gerade ein Buch über C.G. Jung veröffentlicht hatte. Da gab mir eine Freundin das Buch von Lou Andreas-Salomé über Rilke zum Lesen in die Hand. Ich las und war gefesselt. Da war ein Dichter, dessen Gedankengut ich vorher nicht gekannt hatte, das aber enorme Ähnlichkeit mit der Tiefenpsychologie Jungs hatte. Es war ein Eindruck und ich konnte ihn noch lange nicht belegen. Ich machte mich in der Sekundärliteratur über Rilke auf die Suche und entdeckte, dass es viele Vermutungen über eine Verbindung zwischen beiden gab, aber niemand konnte sie wissenschaftlich belegen. Da beschloss ich eine Doktorarbeit über dieses Thema zu schreiben. Diesem Entschluss kam ein Stipendium zu Hilfe. Ich sammelte jahrelang und bekam entscheidende Hinweise von meinem Doktorvater Prof. Manfred Dierks. Der Schlüssel lag in der Zeit, in der beide lebten und in ihren Wünschen nach Ganzheit, Totalität, Freud dagegen setzte eher auf Analyse statt Synthese. Lou Andreas-Salomé war eigentlich Mitarbeiterin von Freud, aber ihre Interpretation ging eher in Richtung Jungscher Tiefenpsychologie, wenn sie das auch auf Grund des Konkurrenzverhältnisses zwischen Freud und Jung niemals zugegeben hätte. Sie war sozusagen ein Bindeglied. Ich habe sowohl biografisches Material (Jung und Rilke hatten als Knaben sehr ähnliche Träume, die als zentrale Erlebnisse empfunden wurden) als auch Briefmaterial gesammelt und fand meine Vermutung immer weiter bestätigt. Beide standen in der Tradition Schopenhauers. Aber lies selbst, es lässt sich nicht alles so kurz wiedergeben.
Viele Grüße, Martina
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Martina,
mit Schopenhauer als geistigem Vater Rilkes und Jungs tue ich mir etwas schwer - was aber auch an meinen mehr als lückenhaften philosophischen Kenntnissen liegen kann. Schopenhauers Biographie lässt den Vergleich jedenfalls nicht unbedingt zu: der Menschen- und Weltverachter Schopenhauer bestreitet z.B. die Möglichkeit einer spirituellen Evolution (die bei Jung dem Individuationsprozess und bei Rilke der völligen Annahme der Welt, die er in den Elegien preist, das Auf-Leben der Dinge durch den emphatischen Betrachter, gleich kommt), er will den Menschen lieber "von der Welt befreit" sehen.
Gänzlich diametral wird es bei Rilke und Schopenhauer, wenn es um den "Wert" der Frau geht: für Schopenhauer ist Mensch = Mann und Frau steht zwischen Kind und Mann auf der (niederen) Evolutionstufe, während Rilke sogar von der Überlegenheit der Frau im Fühlen und Ein-Fühlen in echter Verehrung ausgeht - womit er seiner Zeit wieder einmal voraus war, denn die Anerkennung der "emotionalen Intelligenz" wie man es inzwischen benennt, setzt sich erst in den letzten ca. 3 Jahrzehnten vermehrt als gleichwertig durch.

Trotz aller Vorbehalte - ich bin auf die Parallelen gespannt, die du sicher für deine Promotion (sorgfältiger als ich mit meinem kurzen Literaturgeblättere) recherchiert hast!!!

Viele Grüße :shock: :roll: :idea:
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo,
ich möchte die Diskussion nicht auf ein Nebengleis führen, aber vielleicht ist Rilkes Interesse an Schopenhauer ganz anders gelagert als unseres. Gut aufgearbeitet ist die Beziehung in den beiden Aufsätzen:
August Stahl, „ein paar Seiten Schopenhauer“ – Überlegungen zu Rilkes Schopenhauer-Lektüre und deren Folgen. – In: Schopenhauer-Jahrbuch Bd.69 (1988) S. 569-582 (1.Teil) und Schopenhauer-Jahrbuch Bd.70 (1989) S. 174-188 (2.Teil).
Einen schönen Sonntagmorgen wünscht e.u.
Martina
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Beitrag von Martina »

Das ist ganz und gar kein Nebengleis, sondern auch ein Aufsatz,den ich in meiner Diss. berücksichtigt habe. Stahl ist da fundamental. Natürlich gibt es zwischen Schopenhauer/Rilke u. Jung viele Unterschiede und die Parallelen liegen auch gar nicht im Detail, schon gar nicht in der Frage der Stellung der Frau, sondern sind viel grundlegender.
Die Parallelen liegen im Zeit-Raum-Denken, z.B. verbindet Jung seine Synchronizitätstheorie mit Schopenhauer. Und sie liegen in den Grundlagen für die Definition des Ubw bei Rilke/Jung.
Gast

Beitrag von Gast »

Hallo e.u. und Martina,
es ist kein Nebengleis, wenn man für Interessierte einen Literaturhinweis gibt! Aber es ist ein Nebengleis und für den Kommunikationsfluss im Forum wenig förderlich, wenn es ausschließlich dabei bleibt oder auf "grundlegende Parallelen" verwiesen wird, ohne diese auch nur kurz aufzuführen!! Ich kenne einiges von August Stahl und im Moment habe ich einfach kein Interesse, keinen Zugang zu einer Unibibliothek, keine Zeit ..., um mich in solch ein Spezialgebiet einzulesen. Auf Gespräche im Forum dagegen hätte ich durchaus Lust - auch wenn ich keine Diss. über Rilke geschrieben habe und nicht sämtliche Veröffentlichungen im Gedächtnis habe! Das Wesentliche lässt sich - wenn man es tatsächlich auch verstanden und verinnerlicht hat - immer auch kurz und bündig widergeben.

Ich habe extra ein paar Tage mit der Antwort gewartet, um zu sehen, ob sich jemand auf die letzten Beiträge meldet - offensichtlich liege ich mit meiner Vermutung aber richtig.
Rilke ist nicht elitär; es gibt nicht nur den akademischen Zugang zu seinem Werk, Gott sei Dank! Und trotzdem sind gerade für Laien lebendige Erläuterungen von Leuten, die sich auch in der Sekundärliteratur auskennen inspirierend.

Ich meine es nicht böse, aber wir sind hier nicht an der Uni, es geht nicht darum, jemandem zu beweisen, was man alles gelesen hat! Das Forum bietet - zwar anonym - aber nichts desto trotz die Gelegenheit einer echten Kommunikation. Ich fand es auch immer interessant, was andere mit und durch Rilkes Gedichte innerlich durchleben, ohne dass sie Literaturexperten sind; aber genau diese Leute werden durch zu viel akademischen Hokuspokus abgeschreckt, schade!

Liebe Grüße :wink:
Marie
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Beitrag von Marie »

Sorry, der letzte Beitrag war von mir, habe wohl zu lange offline gearbeitet und mich ausgeloggt! :D :D
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Ich meine, in diesem wunderbaren Forum ist Platz für alles: für akademische Diskussionen, für Fragen des einsamen chinesischen Rilke-Übersetzers weit hinten in der Mandschurei und für schlichte SchülerInnenfragen. Jede kann sich nach ihren Fähigkeiten und Interessen raussuchen, womit sie sich beschäftigen will. Wir sollten da weder nach oben noch nach unten ein Limit einziehen - ausgenommen gegenüber gewissen geltungssüchtigen Quatschern, die Thilo aber sowieso diskret vom Platz stellt. Es muss auch Platz sein für so was wie deine langen Diskussionen auf Englisch, die du mit rilke-Fan geführt hast und die sicher auch nicht von allen begeistert verfolgt wurden, schon der Fremdsprache wegen. Aber wo sonst, wenn nicht hier?
Gruß
gliwi
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo,
warum so aggressiv, gliwi? Mein Einwand war durchaus berechtigt, nur hast du offensichtlich gleich einen persönlichen Angriff (wo überhaupt kein Angriff war!) hinein interpretiert. Liegt das jetzt an mir oder deinen Projektionen? Lies den Beitrag noch mal genau - es geht nämlich gerade nicht um ein entweder - oder, sondern um Kommunikation zwischen Experten und Laien!

:D :D :D
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Oh je, wo war ich denn jetzt schon wieder agressiv? :roll: Ich glaube ernsthaft, dass mein Beitrag integrativ ist. Ich denke nicht, dass sich jemand durch akademische Beiträge verscheuchen lässt, und das, scheint mir, befürchtest du - ganz ohne Angriff. Was einem nicht zusagt, das klickt man halt als "erledigt" weg und geht zu einem anderen Thema - wo ist das Problem? Aber eigentlich wollen wir ja alle, dass das Forum weiterhin grünt und blüht. (Mit dem Quatscher habe ich einen ganz bestimmten gemeint :evil: .) So, jetzt aber wieder zum Thema, sonst brät uns beiden Thilo wieder zu Recht eins über. :D
Gruß
gliwi
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Martina,
ich hoffe, wir haben DICH jetzt nicht verscheucht?!? :cry: :?: :cry:
Ich bin nämlich wirklich gespannt auf deine persönliche Sicht und deine Erkenntnisse über die Beziehungen dieses Trios!
Freue mich, wenn du dich wieder meldest :D :D :D

Hallo gliwi,
ich "fetze" mich mit niemandem im Forum so gerne wie mit dir! Das schönste ist, dass wir eigentlich der gleichen Meinung sind: Kommunikation ist das Wesentliche!
Ich habe mit "akad. Hokuspokus" auch nicht entsprechende Beiträge gemeint, sondern ausschließliche Verweise auf Quellen, die nun mal nicht jedem zugänglich sind und den ein oder anderen Freizeit-Rilkeianer entnerven können! Hast du mich jetzt wieder lieb, oder muss ich noch ein bisschen weinen? :cry: :cry: :cry:
stilz
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Beitrag von stilz »

Liebe Marie,


ich möchte Dir sagen, daß ich sehr froh bin, daß Du wieder da bist
- ich kenn Dich zwar nicht, aber ich hab Dich und Deine Beiträge wirklich schon ziemlich vermißt!

Und ich möchte mich Dir anschließen, auch ich freu mich (aus ähnlichen Gründen) nur begrenzt über Quellenangaben, ohne daß mehr verraten wird...

Aber ich kann auch irgendwie nachvollziehen, daß man, wenn man so eine Arbeit geschrieben hat, nicht alles hier im Forum nochmal zusammenfassen will, sondern lieber darauf hinweist, wo Interessierte nachlesen können.

Trotzdem: liebe Martina, auch ich würde mich über so einen "Brocken" freuen, wie Marie ihn sich gewünscht hat!


Liebe Grüße

Ingrid
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo,
...ich freue mich auch, wenn ich von "alten Bekannten" mal wieder was höre bzw. lese!

Es ist mir jetzt allerdings noch ein Bedürfnis, kurz auf Knien zu e.u. zu rutschen: ich wollte gerade dir natürlich nicht auf den Schlips treten; schließlich war ich selbst oft genug froh und dankbar, wenn du mit deinem fundierten Literaturwissen weitergeholfen hast! Ich hoffe du verstehst aber auch mein Problem: ich war auf ein paar interessante Meinungen gespannt und kriege dann nur "da steht..." und "grundlegendere Parallelen" um die Ohren geklatscht. Nachdem dann tagelang niemand sich erbarmt hatte, noch 2-3 Sätze zur Erhellung anzufügen, kam mir natürlich schon die Frage "Was soll das?" Also, dickes SORRY (sch..., das ist Englisch! Nicht aufregen, gliwi, hab's schon wieder im Griff!), falls das bei dir, e.u., krumm angekommen ist :roll: :shock: :?:
e.u.
Beiträge: 320
Registriert: 5. Jun 2003, 10:29

Beitrag von e.u. »

Hallo Marie,
nein, es ist nichts krumm angekommen. Ich mag's auch nicht, wenn jemand mit seinem Geheimwissen angibt. In diesem Fall war es vielleicht etwas anders. Ich hatte den Eindruck, jemand wollte noch weitergehende Information haben zu Schopenhauer und Rilke. Wenn sich schon jemand mit dem ziemlich peripheren Thema beschäftigt (wohl nicht immer ganz freiwillig), dann íst ein Literaturtipp meist ganz hilfreich. Der erklärt aber noch níchts. Oft sind die Fragenden auch Studierende oder Schüler, die irgendeine Arbeit schreiben (müssen) und nichts dazu (im Internet) gefunden haben. Bücher sind oft zu entlegen (zugegeben). Also: Hilfe in einer solchen Situation war von mir angedacht, nichts anderes.
Eine ganz andere Sache ist unser aller Dialog über Rilke. Es nützt dabei in der Tat wenig, solche Belege nur hinzuwerfen. Da müsste man die Dinge schon konkreter ausführen, sonst kommt der Dialog nicht voran. Da sist aber mein Problem, denn wer hat schon die ganze Rilke-Forschung im Kopf und kann sie auf Knopfdruck referieren? Also muss man vorher noch einmal nachlesen (auch wichtige Gedanken behält man ja nicht ewig im Kopf, und wer weiß, was sich da mit der Zeit als Erinnerung - ungeprüft - festgesetzt hat). Dazu fehlt manchmal die Zeit, vor allem, wenn das angesprochene Thema für einen persönlich gerade ein "Nebengleis" ist.
Der Ausweg wäre eine Identitätsspaltung, wie sie ja viele unter uns im Forum pflegen. Unter verschiedenen Namen auf verschiedene Weise sprechen und argumentieren. Aber ach, es ist mir zu anstrengend, solche Identitäten ständig auseinander zu halten. Da nehme ich lieber die gelegentliche Schelte hin.
Eines allerdings finde ich schon: Mit "akademisch" hat das eigentlich nichts zu tun. Fachleute, die mit ihrem kleinen Wissen orakeln, damit man sie für weise und beschlagen hält, findet man in allen Berufen und Gesellschaftskreisen..
Aber damit habe ich schon fast zuviel gesagt.
Beste Grüße von e.u.
Antworten