Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

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Dariusz
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Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

Beitrag von Dariusz »

Eine große Bitte:
Da ich den Originaltext als Übersetzungsvorlage brauche und momentan den II. Band der Sämtlichen Werke Rilkes nicht dabei habe, wäre jemand so nett, um hier für mich den Text des 2. Sonetts aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus abzutippen? Es geht um das 2. Gedicht (Sonett), mit den Zeilen:

"Löse mit einigen Tropfen das Engende jener
Grenze der Zeiten, die uns belügt;
denn wie tief ist in uns der Tag der Athener
und der ägyptische Gott oder Vogel gefügt."

Vielen herzlichen Dank!
Darek
stilz
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Re: Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

Beitrag von stilz »

Lieber Darek,

sehr gern "revanchiere" ich mich auf diese Weise für Deine Übersetzungstipps!
Und danke für's Aufmerksammachen, dieses Sonett kannte ich noch nicht.
In der drittletzten Zeile hab ich drei hellblaue Bindestriche eingefügt, um die leere Stelle zu suggerieren, mit der sie beginnt.
Und weil es so gut zu den vielen Gedanken paßt, die es in mir angeregt hat, und mir die beiden Sonette dadurch "zusammengehörig" erscheinen, gleich auch noch das nächste:

  • Brau uns den Zauber, in dem die Grenzen sich lösen,
    immer zum Feuer gebeugter Geist!
    Diese, vor allem, heimliche Grenze des Bösen,
    die auch den Ruhenden, der sich nicht rührte, umkreist.

    Löse mit einigen Tropfen das Engende jener
    Grenze der Zeiten, die uns belügt;
    denn wie tief ist in uns der Tag der Athener
    und der ägyptische Gott oder Vogel gefügt.

    Ruhe nicht eher, bis auch der Rand der Geschlechter,
    der sich sinnlos verringenden, schmolz.
    Öffne die Kindheit und die Schoße gerechter


    --- gebender Mütter, daß sie, Beschämer der Leere,
    unbeirrt durch das hindernde Holz
    künftige Ströme gebären, Vermehrer der Meere.



    Mehr nicht sollst du wissen als die Stele
    und im reinen Stein das milde Bild:
    beinah heiter, nur so leicht, als fehle
    ihr die Mühe, die auf Erden gilt.

    Mehr nicht sollst du fühlen als die reine
    Richtung im unendlichen Entzug -
    ach, vielleicht das Kaltsein jener Steine,
    die sie manchmal abends trug.

    Aber sonst sei dir die Tröstung teuer,
    die du im Gewohntesten erkennst.
    Wind ist Trost, und Tröstung ist das Feuer.

    Hier- und Dortsein, dich ergreife beides
    seltsam ohne Unterschied. Du trennst
    sonst das Weißsein von dem Weiß des Kleides.
Lieben Gruß!

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Dariusz
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Re: Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

Beitrag von Dariusz »

Herzlichen Dank, liebe Ingrid, für die beiden Texte.

Mit einem sommerlichen Gruß aus Krakau
Darek
stilz
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Re: Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

Beitrag von stilz »

Lieber Darek,

ich danke Dir nochmal für meine Bekanntschaft mit diesen Sonetten.
Eine Frage hätte ich (natürlich an alle hier im Forum):
Was mag mit dem "hindernden Holz" im letzten Terzett des ersten Sonetts gemeint sein?
Meine erste Assoziation waren Boote, Schiffe, die auf dem Meer fahren... allerdings scheint das nicht recht zu passen...
Und dann dachte ich noch an das "Feuer" aus der ersten Strophe - ob es bei diesem Bild um eine Flamme, also etwas "Feinstofflicheres" geht, die aus der Materie, dem Holz, entspringt...
???

Und Darek, Du hast geschrieben, Du brauchst den Text als Übersetzungsvorlage. Obwohl Du ein sehr gutes Deutsch schreibst, glaube ich dennoch, daß Deutsch nicht Deine Muttersprache ist (?).
Deshalb möchte ich Dich sicherheitshalber auf eine spezielle Rilke'sche Wortschöpfung aufmerksam machen, die man leicht übersehen oder für einen Druckfehler halten könnte:

Ruhe nicht eher, bis auch der Rand der Geschlechter,
der sich sinnlos verringenden, schmolz.


Ich verstehe dieses Wort etwa als "vergeblich (mit sich und miteinander) ringen", mit der gleichzeitigen Assoziation des fast gleich lautenden "verringern", also "weniger werden".
Ich wäre sehr gespannt, ob sich das in einer anderen Sprache auch hinkriegen läßt...

Lieben Gruß nochmal!

Ingrid
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Dariusz
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Re: Acht Sonette aus dem Umkreis der Sonette an Orpheus

Beitrag von Dariusz »

Liebe Ingrid,
stilz hat geschrieben: Und Darek, Du hast geschrieben, Du brauchst den Text als Übersetzungsvorlage. Obwohl Du ein sehr gutes Deutsch schreibst, glaube ich dennoch, daß Deutsch nicht Deine Muttersprache ist (?).
Stimmt, ich wurde gebeten, eine polnische Übersetzung der 2. Strofe des 2. Sonetts zu überprüfen, die dann in einem kunsthistorischen Buch veröffentlicht werden soll.

Stimmt auch, Deutsch ist nicht meine Muttersprache — aus dem Deutschen (sowie aus dem Englischen) habe ich ein paar Bücher ins Polnische übersetzt, darunter "mein Hauptwerk", d.i. die Biographie Rilkes von D. Prater.

Mein Rilke-Portal (auf Polnisch): http://rilke.pl
stilz hat geschrieben: Deshalb möchte ich Dich sicherheitshalber auf eine spezielle Rilke'sche Wortschöpfung aufmerksam machen, die man leicht übersehen oder für einen Druckfehler halten könnte:

Ruhe nicht eher, bis auch der Rand der Geschlechter,
der sich sinnlos verringenden, schmolz.


Ich verstehe dieses Wort etwa als "vergeblich (mit sich und miteinander) ringen", mit der gleichzeitigen Assoziation des fast gleich lautenden "verringern", also "weniger werden".
Ich wäre sehr gespannt, ob sich das in einer anderen Sprache auch hinkriegen läßt...
Eine höchstinteressante Bemerkung! Gespannt habe ich eine (veröffentlichte) polnische Übersetzung dieses Sonetts (von B. Antochewicz) durchgeblättert und zu meiner Überraschung festgestellt, der Übersetzer habe den Unterschied zwischen "verringen" und "verringern" überhaupt nicht bemerkt — der Satz "die Geschlechter verringern sich" hat in diesem Zusammenhang natürlich keinen Sinn!

Vielen Dank, Ingrid!
Darek
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