Gong

Hier könnt Ihr nach Übersetzungen spezieller Rilke-Texte in fremde Sprachen fragen

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ZaunköniG
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Gong

Beitrag von ZaunköniG »

Seid gegrüßt,

Ich habe in vielen Beiträgen hier Zweifel an der Möglichkeit von Illustrationen und Bearbeitungen gefunden, und obwohl ich manches Argument nachvollziehen kann juckt es mich doch hin und wieder in den Fingern.

Mein Gong ist indes keine Übersetzung, was man ja schon an der gewählten Form sehen kann, sondern eine Nachdichtung oder besser Aneignung.
Nichts desto trotz würde mich die Meinung der Fachleute hier interessieren, wieviel Rilke noch erkennbar geblieben ist.

LG ZaunköniG



Rainer Maria Rilke

Gong



pour Suzanne B.

1

Bourdonnement épars, silence perverti,
tout ce qui fut autour, en mille bruits se change,
nous quitte et revient: rapprochement étrange
de la marée de l'infini.

Il faut fermer les yeux et renoncer à la bouche,
rester muet, aveugle, ébloui:
l'espace tout ébranlé, qui nous touche
ne veut de notre être que l'ouie.

Que suffirait? L'oreille peu profonde
déborde vite - et ne penche-t-on
contre la sienne, pleine de tous les sons
la vaste conque de l'oreille du monde?

2

Comme si l'on était en train
de fondre des Dieux d'airain,
pour y ajouter encor
des Dieux massifs, tout en or,
qui en bourdonnant se défont.
Et de tous ces Dieux qui s'en vont
en de flambants métaux,
s'élèvent d'ultimes sons
royaux!



Gong

Als ob dort umgestülpte Stille summt,
und rings will alles sich im Rausch verbreiten,
im Hin und Wieder ewiger Gezeiten.
Ergriffen horchen wir nur blind und stumm.

Und angerührt vom so durchbebten Raum
erleben wir das Sein so voll und wach. -
Das soll genügen: unser Ohr ist flach,
verglichen mit des Weltohrs Muscheltraum.

Wie Bronzegötter waren wir noch eben,
geschmolzen für ein Höheres im Tiegel.
Und sieh: Massive goldne Götter beben.

Beeindruckt durch den zitternden Gesang
erschaun wir überall der Götter Siegel;
Vollkommen hebt sich lautres Erz zum Klang.
§1: Der Konjunktiv des Menschen ist unbegreiflich
gliwi
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Beitrag von gliwi »

hallo Zaunkönig,
ja, finde ich sehr gelungen, kann man so stehen lassen - bis auf ein Wort, das mir als unpassend ins Auge springt, und das ist der Muscheltraum. Durch die Zusammensetzung wird Traum das bestimmende Wort, Muschel ist nur Beigabe, und das bekommt dann einen anderen Sinn. Wenn man es nicht ganz umbauen will, könnte vielleicht folgende Änderung ein wenig abhelfen: "verglichen mit der Weltohrmuschel Traum." Dann wäre die Ohrmuschel erhalten.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
ZaunköniG
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Beitrag von ZaunköniG »

Danke gliwi,
für deinen Kommentar. Das ist in der Tat ein neuer (und treffender) Aspekt und ich war im ersten Innewerden schon bereit deinen Vorschlag anzunehmen. -

Nun sagt mir mein Innenohr aber, daß ich dann

"weltOHRmuschel Traum" sagen müßte, was rhythmisch aber gerade gar nicht passt.

Hmmm...

Ich werde die Stelle im Blick behalten; mal schauen...

LG ZaunköniG
§1: Der Konjunktiv des Menschen ist unbegreiflich
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Stimmt auch wieder. Ich habe es nicht laut gesagt - immer ein Fehler bei Gedichten. Ohrmuschel ist eben Daktylus! Rilke hätte eine Lösung gefunden...
Gruß
gliwi
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stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo,

ich kann kaum französisch und habe mich daher, vom Original ganz unbeeinflußt, nur mit der deutschen Version auseinandergesetzt. Ich finde dieses Gedicht sehr schön. Danke!

Und ja, das Wort "Muscheltraum" weckt zunächst mal ein bisserl andere Assoziationen, erst beim abermaligen Lesen verbinde ich diese Muschel mit dem flachen Ohr der vorherigen Zeile...
Ich bin keine Dichterin, und ohne Eure Diskussion hier über die "Weltohrmuschel" wär ich nicht auf die Idee gekommen, "Verbesserungen" anzuregen... aber nun möchte ich doch die Zeile mit-teilen, die mir dazu einfällt:

- des Weltohrs Muschel schafft den tief'ren Traum.


Lieben Gruß!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
ZaunköniG
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Beitrag von ZaunköniG »

Hallo Stilz,

Ich habe die Stelle nun manches Mal hin und her gewägt; Dein Vorschlag ist metrisch eine saubere Lösung, aber ein leises Unbehagen empfand ich doch. Ich denke, es ist das 'schafft', was mir nicht gefällt. Es kommt mir an der Stelle zu hemdsärmelig.

Ich bite mal folgende Variante, auch wenn sie noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist:


Und angerührt vom so durchbebten Raum
erleben wir das Dasein voll und wach.
Das soll genügen: Unser Ohr ist flach
und ahnt den Saum der Weltohr Muschel kaum.


LG ZaunköniG
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stilz
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Re: Gong

Beitrag von stilz »

Hallo Zaunkönig,

nach längerer Zeit hab ich heut nochmal sowohl das Original als auch Deine Nachdichtung gelesen.
Ja, wunderbar, Deine letzte Version der dritten "Strophe"!

Allerdings etwas gibt es noch, das mich wundert.

Das soll genügen: unser Ohr ist flach,
Hier setzt Du einen Doppelpunkt, wo Rilke:

Que suffirait? L'oreille peu profonde...
ein Fragezeichen schreibt.

Darf ich Dich fragen, warum? Mir scheint das doch einen ziemlichen Unterschied zu machen...

Lieben Gruß

stilz
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Beitrag von ZaunköniG »

Hallo stilz,

Ich sehe meinen Text selbst nicht als Übersetzung sondern als Aneignung, wie ich ja oben schon geschrieben habe.

Soll das genügen? Rilkes begeisterte Ausführungen interpretiere ich als "ja, das ist mehr als man erwarten kann!" Und indem er selbst eine Antwort gibt, schrumpft seine Frage zu einer rhetorischen. Ich nehme quasi die Antwort vorweg und erläutere danach. Das sehe ich vor allem als dramaturgischen Unterschied, nicht aber in der Kernaussage des Gedichtes.

- - -

Nein, du hast vermutlich recht:

Die Frage drückt besser die Geisteshaltung des Suchenden und damit Empfänglichen aus, als meine "These" eines beseelten Raumes.
Ich habe mich noch nicht entschieden ob ich Stelle ändere, aber vielen Dank für die Anregung.

LG ZaunköniG
§1: Der Konjunktiv des Menschen ist unbegreiflich
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo Zaunkönig,

ja, das ist mir schon klar, daß es keine "Übersetzung" sein soll.

Aber hier:
ZaunköniG hat geschrieben: Soll das genügen? Rilkes begeisterte Ausführungen interpretiere ich als "ja, das ist mehr als man erwarten kann!"
finde ich das, weswegen ich überhaupt geschrieben habe.
Du siehst diese Frage offenbar in Bezug auf den Gong gestellt, auf den Klang, der eine ganze Welt erfüllen kann... und ja, dann hättest Du recht, und es wäre "mehr als man erwarten kann".

Ich lese diese Frage etwas anders, nämlich in Bezug auf das immer noch unzulängliche "Lauschen" des Menschen...
Wie, wenn die Klänge, die um uns herum sind, uns aufriefen, unsere Ohren... nein, in diesem Fall natürlich nicht "zu spitzen" :wink: , sondern viel eher zu "wölben", um auch das Meer (oder auch: Mehr) der Klänge aufzunehmen, für das sie im Moment noch zu wenig "tief" sind?

Da Du ja sagst, es gehe Dir um einen Unterschied zwar im Dramaturgischen, "nicht aber in der Kernaussage des Gedichtes", möchte ich Dir auch diese Interpretationsmöglichkeit zu bedenken geben, vor allem auch wegen Deines
Nein, du hast vermutlich recht:

Die Frage drückt besser die Geisteshaltung des Suchenden und damit Empfänglichen aus, als meine "These" eines beseelten Raumes.
Ich sehe die Frage des "Suchenden" nämlich keineswegs als Widerspruch zu Deiner "These". Ganz im Gegenteil!

Lieben Gruß

stilz
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