armut im stundenbuch

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Tommy Vercetti
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armut im stundenbuch

Beitrag von Tommy Vercetti »

ich bin ein sehr frischer rilke-leser und gehe dem ende des stundenbuches zu. nun hätte ich eine frage:

wie interpretiert ihr das positive der armut, von der im dritten teil gesprochen wird? er redet ja von einer armut, die den armen und gott gemeinsam ist, wobei gott quasi das maximum dieser armut darstellt...

ich frage deshalb, weil mir eine interpretation à la: «materieller reichtum ist nicht alles, man muss innen reich sein» ein bisschen zu flach ist – zudem redet er ja nicht von einer möglichkeit (sprich armut kann eine qualität sein) sondern quasi einer notwendigkeit (armut IST eine qualität).

danke
ZaunköniG
Beiträge: 13
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Beitrag von ZaunköniG »

Hallo Tommy,

ich habe das Stundenbuch gerade nicht zur Hand, kann also auch gerade ganz daneben liegen, aber wenn er die Armut auch auf Gott bezieht, dann vielleicht in dem Sinne, daß die Beschränkung erst den Blick auf das Wesentliche schärft. Das macht der Dichter, wenn er sich einer bestimmten Form unterwirft, das macht auch der Eremit oder Mönch, wenn er alle weltlichen Güter ablehnt.


Deine Formel «materieller reichtum ist nicht alles, man muss innen reich sein», trifft es in der Tat nicht ganz, denn es geht nicht um ein Gleichgewicht von innen und Außen, sondern um den Gegensatz: Askese als Weg der Erleuchtung, wenn man so will. Allerdings muß man diese Armut auch annehmen, nicht nur erleiden. Sonst kann das nicht funktionieren...

LG
ZaunköniG,
der im wahren Leben aber auch nicht so konsequent ist...
§1: Der Konjunktiv des Menschen ist unbegreiflich
stilz
Beiträge: 1226
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Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Hallo,

ich möchte einen kleinen Gedanken dazu beitragen:

Du bist der Arme, du der Mittellose,
schreibt Rilke.

Mittel-los. Das bedeutet für mich auch so etwas wie un-mittel-bar.
Gott hat nicht nur "keine Mittel". Er braucht auch keine. Er ist. Ganz un-ver-mittel-t.
Und deshalb würde es ihm auch nicht einfallen, über seine "Armut" zu klagen, sich gegen sie aufzulehnen.

Zwei Gedichte weiter heißt es:
...
Mach, daß die Armen nichtmehr fortgeschmissen
und eingetreten werden in Verdruß.


Das ist eine der allerschönsten Fürbitten, die ich kenne.
Nicht: mach die Armen reich.
Sondern viel eher: mach, daß die Armen den Reichtum erkennen können, der in ihrem Schicksal liegt: indem sie es annehmen... denn dann erst kann Armut "ein großer Glanz aus Innen" sein...

Um etwaigen Mißverständnissen schon prophylaktisch zu begegnen, möchte ich auch noch anmerken, daß eine solche Fürbitte natürlich nicht umgekehrt für die "Reichen" bedeutet: Kümmert euch nicht um die Armen, die haben eh ihren eigenen Reichtum... ein solches "was schert mich das" würde ja gerade bedeuten, die Armen "fortzuschmeißen"... und damit wäre dem "eingetreten werden in Verdruß" geradezu der Weg bereitet.


Ja. Und zu meinem obigen Gedanken "Er ist. Ganz un-ver-mittel-t" --- dazu fällt mir jetzt auch noch Erich Fried ein:

Es ist was es ist
sagt die Liebe.


Lieben Gruß

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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