Ilse Erdmann und Rilke

Lou Andreas-Salomé, Clara Westhoff, Marie von Thurn und Taxis, Ellen Key, Baladine Klossowska, Leonid Pasternak, Anton Kippenberg, ...

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Rolf Haaser
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Ilse Erdmann und Rilke

Beitrag von Rolf Haaser »

In welchem Verhältnis stand Rilke zu Ilse Erdmann? Welche biographischen Daten zu Ilse Erdmann sind bekannt? Wann und wie haben sie sich persönlich kennengelernt?
Renée
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Ilse Erdmann

Beitrag von Renée »



Ilse Erdmann (1879-1924) war die Tochter des Philosophen Benno Erdmenn, sie lebte in Laubach in Hessen. Durch ihre Freundschaft mit der Schriftstellerin Editha Klipstein erfuhr sie manches über Rilke, durch sie wurde wohl auch ihr Brief wechsel mit Rilke angeregt. Aber erst im Januar 1917 traf sie mit Rilke in München zusammen. Dem letzten bekannten Brief an sie legte Rilke eins der "Sonette an Orpheus" bei ( 4. Februar 1922).

Die Originale von Rilkes Briefen an Ilse Erdmann befinden sich im Dt. Literaturarchiv in Marbach.

Soweit die Rilke-Chronik. Ich meine mich zu erinnern, das Ilse Erdmenn leidend war, kann das aber nicht belegen.

Das wars! Renée
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Anna B.
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Beitrag von Anna B. »

Hallo Renee,

ich bin gerade über den Namen Veronika Erdmann gestolpert... Hat sie etwas mit Ilse Erdmann zu tun ?

Anna :lol:
"anna blume... man kann dich auch von hinten lesen... du bist von hinten wie von vorne: "a-n-n-a." (kurt schwitters)
Renée
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Ilse Erdmann und Veronike Erdmann

Beitrag von Renée »

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Lieber Rudolf Haaser,

wie das so geht, heute habe ich in Rilkes Briefwechsel mit Regina Ullmann und Ellen Delp (Hrsg. von Walter Simon, Insel 1978) einen langen Brief von Editha Klipstein an Regina Ullmann über Krankheit und Tod von Ilse Erdmann gefunden ( Laubach, 14. und 16. Oktober 1924) Diesen Brief hat Regina Ullmann dann an Rilke weitergegeben, den er sehr intensiv beschäftigt hat. (S.216 ff)

Leider kann ich noch nicht scannen - aber der Band ist sicher irgendwo zugänglich.

Liebe Anna B.,

nein, ich glaube nicht, daß die beiden Erdmanns verwandt gewesen sind, da Veronika aus dem Baltikum kam ( 1894 geboren). Sie hat Anfang 1919 Rilke ein Gedichtmanuskript übergeben, das er sie nun bittet, persönlich abzuholen. Er berät sie auch weiter in Verlagsfragen und schreibt ihr, als ihr Gedichtband "Gedichte vom fremden Leben" dann 1920 erschienen ist..

Noch einmal schickt sie ihm Gedichte: 1926, die Rilke Frau Kippenberg für den Insel Verlag vorschlägt - vergeblich.

Auch dies wieder aus der Rilke-Chronik.

Guten Abend an beide! Renée
Rolf Haaser
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Ilse Erdmann und Rilke

Beitrag von Rolf Haaser »

Ich habe inzwischen gründlich recherchiert, auch unveröffentlichte Materialien eingesehn, und kann nun, für alle, die es interessiert, folgendes Zwischenergebnis präsentieren:

Ilse Erdmann ist

1879 geboren, nach meinen Berchnungen in Kiel, wo ihr Vater, der Philosoph und Kantspezialist Benno Erdmann seit 1878 an der Universität eine außerordentliche Professur bekleidete und bereits im Folgejahr als Achtundzwanzigjähriger zum ordentlichen Professor berufen wurde. Sie ist das erste Kind Benno Erdmanns, nach ihr kommen noch eine Schester, Käthe, geb. 1882, vermutlich auch in Kiel, und Lothar, geb. 1888 in Breslau, wohin die Familie 1884 umgezogen war. Eine weitere Schwester, von der kein Geburtsdatum bekannt ist, stirbt im ersten Lebensjahr. Sie wird in Ilse Erdmanns Briefen an Rilke ebenso mehrfach erwähnt, wie die beiden anderen Geschwister Käthe und Lothar.
1890 nimmt Benno Erdmann einen Ruf nach Halle an, wohin etwa zur selben Zeit sein früherer Kieler Kollege, der Altphilologe Friedrich Blass mit seiner Famile gezogen war. Friedrich Blass ist der Vater von Editha Klipstein, die, - ein Jahr jünger als Ilse Erdmann, 1880 in Kiel geboren wurde. Die Familien Blass und Erdmann, die bereits in Kiel miteinander befreundet gewesen waren, schlossen sich auch in Halle eng aneinander, und die drei Töchter von Blass, Magdalena, Editha und Änne, wurden enge Freundinnen von Ilse, Käthe und Lothar Erdmann. Zu dem Kreis zählten auch die Töchter von Professor Robert, einem Fachkollegen von Blass, und Elsa Weise, die Tochter eines millionenschweren Hallenser Industriellen und Kunstförderers, die später mit Editha Klipstein zusammen bei Lovis Corinth in Berlin und bei Castelucho in Paris eine Malausbildung absolvierte.
Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt ihrer Kindheit wird Ilse Erdmann von einer rätselhaften Krankheit, offensichtlich einer Hirnhautentzündung, befallen, in deren Verlauf sie eine Erfahrung von Todesnähe macht. Von den Nachwirkungen dieser schweren Kindheitskrankheit ist Ilse Erdmann dann zeitlebens physisch und psychisch belastet. Die Bemerkung von Lou Albert-Lasard in ihrem Erinnerungsbuch „Wege mit Rilke“, Ilse Erdmann sei bettlägerig gewesen und habe nicht gehen können, - eine Vermutung, die auch Rilke teilte, - wurde von Editha Klipstein zerstreut, als sie im Sommer 1915 nach München kam und „Lulu“ und Rilke in der Finkenstraße kennenlernte.
1898 erfolgt ein weiterer Umzug der Familie Erdmann, diesmal nach Bonn, wo Erdmann, der sich schon vorher mit experimenteller Psychologie befasst hatte, am 1. April 1998 das „Psychologische Seminar“. Die Eingewöhnung in das Leben im Rheinland wird erschwert und überschattet durch den im Frühjahr 1899 erfolgten Tod der Mutter Eugenie Erdmann, der Ilse Erdmann in einer sie überfordernden Verantwortungspflicht gegebüber ihren jüngeren Geschwistern zurücklässt. Zumindest hat sie dies subjektiv so erfahren. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis stand ihr ins Haus, als Editha Klipsteins ältere Schwester, eine Jugendfreundin von Ilse Erdmann aus der Zeit in Halle, Magdalena Reinhardt, geb. Blass, nach Bonn übersiedelte und noch im selben Jahr Selbstmord beging. Ilse Erdmann stand ihr in ihren letzten Lebensstunden bei.

Alle drei Erdmannkinder hatten ein sehr problematisches Verhältnis zu ihrem Vater, in ihren Erinnerungen erscheint er als autoritär und einengend. Dies hatte zur Folge, dass die Geschwister sich nur um so enger aneinander schlossen. Auch diese wechselseitige Rückendeckung hatte zeitlebens Bestand. Rilke hat noch 1917 in einem Brief an Lou Andreas Salome sich über das ungewöhnlich enge Verhältnis zwischen Lothar und Ilse Erdmann erstaunt gezeigt.

Benno Erdmann unterhielt nach dem Tod seiner ersten Frau mindestens eine Liebschaft, - ebenfalls in den Briefen Ilse Erdmanns an Rilke erwähnt, - und ging schließlich 1913 eine neue Ehe mit Emilie de Gruyter ein, die aber von den inzwischen erwachsenen Kindern abgelehnt und nur wenig geschätzt wurde, wobei auch Geldstreitigkeiten mit dem Vater eine Rolle spielten.

Die Ablösung aus dem Elternhaus gelang zuerst der jüngeren Schwester Ilse Erdmanns, die den Professor der Anglistik Friedrich Brie in Freiburg heiratete und bald zwei Söhne und später noch zwei Töchter bekam. In einem unveröffentlichten Brief an Rilke beschreibt Ilse Erdmann, wie sehr die Geburt des ersten Sohnes, Andreas, als eine gemeinsame Angelegenheit von Käthe, Lothar und ihr gewesen ist.
Für die Jahre vor 1913 klafft eine schmerzliche Lücke, was die Kenntnis der Biographie von Ilse Erdmann betrifft. Es scheint, dass sie sich zur Krankenschwester hat ausbilden lassen. Sie erwähnt einen Aufenthalt in Rom. Sie hat sich einer gefährlichen Operation unterziehen müssen, bei der ihr Leben auf dem Spiel stand. Sie spielt auch auf zwei gescheiterte Liebes- bzw. enge Freundschaftsbeziehungen mit Ärzten an. 1914 in Laubach liest sie Editha Klipstein die Liebesbriefe eines gemeinsamen Bekannten aus Halle vor, Sohn eines Kollegen des Vaters, der vergeblich um sie warb.
Wie es scheint, hat Ilse Erdmann zumindest zeitweise im Haushalt ihrer Schwester in Freiburg gelebt und eine besonders herzliche Beziehung zu ihren Neffen und der älteren der beiden Nichten aufgebaut zu haben. Die jüngere Nichte wurde erst geboren, als Ilse Erdmann bereits in Laubach in der Nähe des mit ihr befreundeten Künstler- und Schriftstellerehepaares Editha und Felix Klipstein lebte. Diese Nichte ist Renate Brie-Kölmel, die Ehefrau des späteren Herausgebers des Briefwechsels zwischen Rilke und Ilse Erdmann.

Im Jahr 1913 unterzog Ilse Erdmann sich einer (wohl psychiatrischen) Kur, vielleicht in Bonn, wohin sie, wie sie in ihren ersten Briefen an Rilke schreibt, nach langer Abwesenheit wieder zurückkehrte und wo sie auch ihren Bruder, der sich inzwischen mit August Macke bereundet hatte, wiedersah. Eine für die behandelnden Ärzte vorgesehene Selbstbeschreibung sollte, wie sie Rilke in dem bereits erwähnten unveröffentlichten Brief schreibt, eher ein Dichter als ein Arzt lesen, und dabei habe sie an Rilke gedacht.
Der Brief (in der von mir benutzten Abschrift aus dem Nachlass Lothar Erdmanns) enthält auf sieben engbeschriebenen Schreibmaschinenseiten eine Schilderung einer Reihe von traumatischen Erlebnissen Ilse Erdmanns seit ihrer frühen Kindheit. Am wichtigsten der Tod des kleinen Andreas Brie, der in der Freiburger Innenstadt unter den Augen seiner Mutter von einem Pferdefuhrwerk erfasst wird, von dem scheuenden Pferd einen tödlichen Tritt gegen Kopf erhält und anschließend von den Rädern des Wagens überrollt wird. Sodann die Geisteskrankheit des kleinen Brüderchens von Andreas, Uwe Brie, der ohne Aussicht auf Genesung in eine Nervenheilanstalt nach Treysa (nicht Preysa oder Freysa, wie in der Edition der Briefe steht, - nicht der einzige Transskriptionsfehler in dieser Ausgabe übrigens) gebracht wird, wo ihn Ilse Erdmann von Laubach aus mehrmals besucht.

Nach ihrer Übersiedlung nach Laubach scheint sich für die Ilse Erdmann zunächst das Blatt zum guten zu wenden. Durch die Bekanntschaft ihrer engen Freundin Editha Klipstein mit Rilke in München kommt der Briefwechsel mit Rilke, den sie als abgeschlossen betrachtet hatte, nicht nur wieder zustande, sondern das Verhältnis erfährt auch eine wesentliche Konkretisierung. Besuche von Lou Albert-Lasard 1915, Regina Ullmann 1916 und Lou Andres-Salome 1917 in Laubach halten Rilkes Kontakt zu dem Laubacher Kreis neben dem fortgeführten Briefwechsel wach. Ein geplanter Besuch Rilkes in Laubach im Herbst 1916 kommt allerdings nicht zustande, dafür reisen, - getrennt von einander, - Ilse Erdmann und noch einmal Editha Klipstein nach München, um Rilke in der Keferstraße zu besuchen.

Im Herbst 1916 verliebt Ilse Erdmann sich in Felix Klipstein, was die Lebensverhältnisse in Laubach für den Freundeskreis über die Grenze des Erträglichen hinaustreibt. Editha Klipstein unternimmt verschiedene Anstrengungen, Ilse Erdmann zum Verlassen von Laubach zu bewegen. Auch den Bruder Lothar Erdmann versucht sie zu diesen Zwecken einzuspannen, was allerdings nicht gelingt. Auf diesen Hintergrund sind die betreffenden Passagen im Briefwechsel Rilkes mit Lou Andreas-Salomé 1917 zu beziehen.
Nachdem Ilse Erdmann Rilke in München persönlich kennengelernt hatte, hat er bei der ersten Begegnung bereits sofort erkannt, dass Ilse Erdmann dringend ärztlicher, sprich psychiatrischer Betreuung bedurfte. Er überredet sie, sich unter die Obhut Lou Andreas-Salomés in Göttingen zu begeben und ebnet auch persönlich die Wege dazu. Dieser Rat scheint richtig gewesen zu sein, da Ilse Erdmann sich in der Nähe Lou Andres-Salomés wohlgefühlt zu haben scheint. Diese schafft ihr auch die Möglichkeit, ihrem erlernten Beruf nachzugehen und bringt Ilse Erdmann als Arzthelferin bei einem ihr bekannten Arzt unter. Gleichzeitig entschärft sich durch ihre längere Abwesenheit aus Laubach die Situation dort. Nach ihrer Rückkehr nach Laubach, ca. 1918 ?, wird sie aber von dem Ehepaar Klipstein geschnitten. Erst unmittelbar vor ihrem Tod, zu einer Zeit als es ihr sehr schlecht ging, erbarmte sich Editha Klipstein wieder ihrer alten Freunden, und es kommt zu einer gewissen Aussöhnung zwischen ihnen. Zwei Jahre vor ihrem Freitod durch Einnahme von Gift finden wir Ilse Erdmann noch einmal bei einem stationären Aufenthalt im Katholischen Schwesternhaus in Gießen. Die in einem ihrer letzten Briefe an Rilke erwähnte Freundin, die sie als einzige besuchen kommt, ist aber nicht Editha Klipstein, sondern ein Frl. Noack aus Laubach, die die engste Freundin Ilse Erdmanns in ihren letzten Lebensjahren war. Christiane Klipstein, die Enkelin von Editha Klipstein hat Frl. Noack noch persönlich gekannt; sie beschreibt sie als lebenslustig und unkonventionell. Außerdem gibt es ein Aquarell-Porträt das Editha Klipstein angefertigt hat, das sich im Besitz von Christiane Klipstein befindet.
In dem bekannten Brief vom 14. und 16. Oktober 1924 von Editha Klipstein an Regina Ullmann, der im Briefwechsel Rilke/Ullmann/Delp abgedruckt ist und in dem sie indirekt auch Rilke den Tod von Ilse Erdmann bekannt macht, wird Frl. Noack, - ohne dass ihr Name dort genannt wäre, - erwähnt.

So, das ist es, was ich über Ilse Erdmann zusammentragen konnte. Wenn jemand noch Lücken füllen oder Korrekturen anbringen kann, ist er/sie mir sehr willkommen.

Rolf Haaser

Vielen Dank an Renée, der mich auf die Sprünge gesetzt hat.
Renée
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Ilse Erdmann und Rilke

Beitrag von Renée »



Lieber Rolf Haaser,

es ist nun wirklich eher an Renée (die übrigens eine sie ist), sich sehr herzlich zu bedanken für die große Mühe, die hinter der Darstellung dieses Lebensweges steht.

Also: 1000 Dank! Renée
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