Looking for original German text

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Leo Lijstenmaker
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Looking for original German text

Beitrag von Leo Lijstenmaker »

Hello all,
I have the following text from a letter of September 24, 1908 to Sidonie Nadherny von Borutin and I am hoping to find the original German text, hopefully somewhere on the internet. If anybody knows where I can find it I would be very grateful. I posted this question before in the wrong section, I apologize for posting it twice. Thanks,

Leo

the text:
"I have never understood how a genuine, elementary, thoroughly true love can remain unrequited since such love is nothing but the urgent and blessed appeal for another person to be beautiful, abundant, great, intense, unforgettable: nothing but the surging commitment for him to amount to something. And tell me, who would be in a position to refuse this appeal when it is directed at at him, when it elects him from amoung millions where he might have lived obscured by his fate or unattainable in the midst of fame... so absolutely intended to be passed onward beyond the individual and needs the beloved only for the ultimate charche that will propel its future orbiting among the stars."
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Rilke an Sidonie Nádherný von Borutin
Paris, 77, rue Varenne,
am 24. September 1908.
[...]
Ich habe nie begriffen, wie eine wirkliche, elementare, durch und durch wahre Liebe unerwidert sein kann; da sie doch nichts anderes ist, als der dringende selige Anspruch an einen Andern, schön, reich, groß, innig, unvergeßlich zu sein; die an ihn heranflutende Verpflichtung, etwas zu werden - . Und sagen Sie, wer dürfte das abweisen, wenn es auf ihn sich richtet, ihn erwählt aus den Millionen, ihn findet, der vielleicht in einem Schicksal verborgen oder mitten im Ruhm unnahbar war? [Lassen Sie ihn zehnmal verliebt, zerstreut oder beschäftigt sein: was ist das dagegen? muß nichteinmal Raum schaffen um sich: denn fassen, nehmen, in sich halten kann ja keiner solche Liebe; ]sie ist so vollends zum Weitergeben bestimmt über jeden hinaus; sie braucht den Geliebten nur, damit er ihr den äußersten Schwung gäbe für ihren weiteren Kreislauf zwischen den Sternen.
[...]
Das ist Rilkes Kritik an Goethes Unverständnis gegenüber Bettine von Arnims Zuneigung.
Leo Lijstenmaker
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Beitrag von Leo Lijstenmaker »

Hello e.u.,
Thank you very much for the text, I'm very grateful. Also thanks for the pointer to Goethe. Thanks,

Leo
Leo Lijstenmaker
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Beitrag von Leo Lijstenmaker »

BTW, this begs the question: "When he wrote this, was Rilke aware of the discrepancy between the real letters Goethe wrote to Bettina von Arnim and the embellished versions she published in "Briefwechsel mit einem Kinde"?"

Leo
Leo Lijstenmaker
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Beitrag von Leo Lijstenmaker »

I don't understand the sentence that starts: "muß nichteinmal Raum schaffen um sich". It seems something is missing from it? The part between brackets is missing from the english version, so I can't figure it out.. Is this really how it reads in the letter or is something gone missing? Or do I just fail to understand? Thank you,

Leo
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Rilke an Sidonie Nádherný von Borutin
Paris, 77, rue Varenne,
am 24. September 1908.

Wünsche haben der Erfüllung macht; seien Sie dessen gewiß. Nur ein Unwichtiges scheint mir daran zu fehlen, daß ich in diesen Tagen wirklich neben Ihnen durch den Wald gegangen wäre, aus dem Sie so allein und versammelt schreiben. Ich bin in Gedanken mehr mit Ihnen gewesen, als ich erzählen kann, ohne unbescheiden zu sein.
Das mag an Bettine liegen, der wunderbaren, unaufhaltsamen Bettine, von der Sie das Schönste sagen, was je von ihr gesagt werden kann: 'daß sie ihre große große Liebe, ohne jede Hülfe von außen, so ganz vervollkommnete.' Mein Gott wie herrlich Sie das sagen; es klingt in mir und klingt und hört nicht auf.
Ja, dafür dürfen Sie auch Goethe verteidigen. Ich rühre nicht daran, daß er ganz anders ist, wo er liebt. Aber nun hören Sie, was ich in mir dabei denke: hatte er die Wahl, denk ich im Stillen, nicht zu lieben, der namenlosen Realität dieses Gefühls gegenüber, das sich nicht irremachen ließ? Ich habe nie begriffen, wie eine wirkliche, elementare, durch und durch wahre Liebe unerwidert sein kann; da sie doch nichts anderes ist, als der dringende selige Anspruch an einen Andern, schön, reich, groß, innig, unvergeßlich zu sein; die an ihn heranflutende Verpflichtung, etwas zu werden - . Und sagen Sie, wer dürfte das abweisen, wenn es auf ihn sich richtet, ihn erwählt aus den Millionen, ihn findet, der vielleicht in einem Schicksal verborgen oder mitten im Ruhm unnahbar war? Lassen Sie ihn zehnmal verliebt, zerstreut oder beschäftigt sein: was ist das dagegen? Er muß nichteinmal Raum schaffen um sich: denn fassen, nehmen, in sich halten kann ja keiner solche Liebe; sie ist so vollends zum Weitergeben bestimmt über jeden hinaus; sie braucht den Geliebten nur, damit er ihr den äußersten Schwung gäbe für ihren weiteren Kreislauf zwischen den Sternen. Aber diese Aufgabe, diesen ungeheueren, mehr als nur persönlichen Anspruch hat vielleicht keiner der von großen Liebenden Geliebten bestanden. Sie waren alle zu befangen in der eitlen Konvention ihrer Männnlichkeit; sie hielten alle noch die Liebe für ein Ding zu zwein, für die kleine Beruhigung, die zwischen Finden und Trennung liegt. Erst wir lernen langsam weiter und werden vielleicht eines Tages die Sappho verstehen und die Worte der Diotima, die sie dem Sokrates bei Plato zu sagen hat. Aber ohne es zu ahnen, haben das die großen liebenden Frauen immer gewußt und gelebt und haben die Leidens- und Seligkeitsüberlieferung dieser einsamen Liebe weitergegeben, die die einzige ist, die ihren Namen verdient; auch sie geht (wie das, was bei allen, nachlässig genug, Liebe heißt) auf einen anderen zu; aber plötzlich, wie ein Vorwand, ist er fortgenommen, sobald das unendliche Gefühl seinen weitesten Kreis beschreibt und keiner Stütze mehr braucht. Wir haben also Unrecht und überschätzen die Bedeutung des Geliebten, wenn wir ihm ein verlegenes, unzulängliches Verhalten vorwerfen wollen; selbst hat er Unbeschreibliches dabei verloren, die Möglichkeit riesiger Entwicklungsreihen ablehnend: aber die Entwicklung und Vollendung jenes ihn meinenden und fortwährend übersteigenden Gefühls hat Goethe ebensowenig einschränken können, wie der Graf von Chamilly die wachsende Seele der Marianna einhalten konnte oder Collalto seiner Liebenden unaufhaltsame Herrlichkeit.
Ach, daß ich Nächte hätte, Ihnen das alles zu schreiben, so wie ichs weiß. aber Briefe reichen ja doch nicht aus; das muß Arbeit werden, innerste klare Verwirklichung für immer. (Denken Sie gut an mich, daß ich's leisten kann.)
Hier ists unklar gesagt und steckt noch halb im Gestein des Unsäglichen. aber Sie fühlen's doch mit, nichtwahr und lassen's gelten? Jetzt gerade, da Sie mitten in der Liebe sind bei den Blumen und Bächen und Bäumen und auf den zärtlich unter Sie gebreiteten Wiesen: sehen Sie, da ist ein Liebes-Vorwand, so tausendfach und unaufhörlich, daß er, nach jedem Darüberhinausreichen, sich wieder mit einer neuen Seite Ihnen gegenüberstellt und Sie erwartet.
Es macht mich froh, Sie so zu denken, und ich tu's inständig, jetzt und oft. Und Sie müssen's oft fühlen, auch wenn ichs nicht immer beschreiben kann.
Ihr RMRilke
[...]
Entschuldigung, in dem Satz ist mir das Subjekt entfallen.
Rilke hat die Ausgabe 'Goethes Briefwechsel mit einem Kinde' benutzt, die echte und erdichtete Briefe der Bettina von Arnim enthielt. Ob er eine kritische Ausgabe hatte, weiß ich leider nicht.
e.u.
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