Landschaft - Hilfe!

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

miss_moneypenny
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Landschaft - Hilfe!

Beitrag von miss_moneypenny »

Hallo, ich bin eine franzoesiche Studentin in Germanistik. Zur Zit studieren wie Lyrik, Rilke, und dazu habe ich ein Referat ueber Landschaft zu tun. Ich finde gar nicht ueber dieses Gedicht, und ich brauche einige Elemente zur Interpretation. Ich habe gedacht, das Angefachte koennte den Dichter sein und das Licht koennte also die poetische Inspiration symbilisieren. Also TAg als poetische Fruchtbarkeit. Aber was koennte den Bruch zwischen Tag und NAcht sein, was ist diese Moment ohne Licht? Ich habe mich auch fuer den Erzengel interessiert und habe gefunden, er trennt das Boese von das Gute mit seinem Schwert, also Gute als poetische Inspiration, Licht und Boese als .. das Gegenteil... Eigentlich ist es mir nicht so klar also wenn jemand eine Interpretation dazu haette, oder wenn jemand mir sagen koenne, ob meine Idee stimmen oder nicht, waere geil..
Ich habe auch einige Probleme mit der Analyse der Form und Struktur des Gedichts... :/ Den Rest ist auch problematisch aber vielleicht nicht so : Analyse der Kontrast und der Farben + Gruende dieses Gedicht als einen Ding-gedicht zu betrachten...
Danke fuer ihren Komentaren und Hilfe, und entschuldigung fuer meinen schlechtes Deutsch :s

Landschaft

Wie zuletzt, in einem Augenblick
aufgehäuft aus Hängen, Häusern, Stücken
alter Himmel und zerbrochnen Brücken,
und von drüben her, wie vom Geschick,
von dem Sonnenuntergang getroffen,
angeschuldigt, aufgerissen, offen -
ginge dort die Ortschaft tragisch aus:

fiele nicht auf einmal in das Wunde,
drin zerfließend, aus der nächsten Stunde
jener Tropfen kühlen Blaus,
der die Nacht schon in den Abend mischt,
so dass das von ferne Angefachte
sachte, wie erlöst, erlischt.

Ruhig sind die Tore und die Bogen,
durchsichtige Wolken wogen
über blassen Häuserreihn
die schon Dunkel in sich eingesogen;
aber plötzlich ist vom Mond ein Schein
durchgeglitten, licht, als hätte ein
Erzengel irgendwo sein Schwert gezogen.

Rainer Maria Rilke, März und August 1907, Capri und Paris
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Volker
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Beitrag von Volker »

Moneypenny, Moneypenny,
ich würde nicht zuviel in dies Gedicht hinein-interpretieren.
Dein James. :wink:

Stophe 1 und 2
Zunächst beschreibt der Dichter nur eine Landschaft ("aufgehäuft aus Hängen") mit Häusern und darüber "Stücken alter Himmel".
Das Ganze vom Licht der tiefstehenden Sonne (Sonnenuntergang) "getroffen", "angeschuldigt", - von wo /von wem? - "von drüben her", also von da, wo das Geschick herkommt.
Im roten Licht der Sonne (Blut - "das Wunde") sieht diese Ortschaft nach tragischem Ende aus (Feuertod?) - aber da hinein mischt sich ja schon jener "Tropfen kühlen Blaus" der Abenddämmerung, der alles erlöst, der das Feuer (das Angefachte = das Feuer) erlischt.

Strophe 3
Hier zunächst wieder das Beschreibende (ruhig, Tore und Bogen, durchsichtige Wolken, Häuserreihen usw). Aber dann plötzlich der Strahl des Mondes, wie von einem Erzengel mit dem Schwert gezogen.

Ich kann auch einfach nur die Bildersprache dieses Gedichts bewundern und genießen - ohne Assoziationen anzustellen.
Aber natürlich kann sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen, so zum Beispiel:
Tag und Nacht - Gut und Böse?
Rotes Licht - Schicksal?
Abend (blaues Licht) - Erlösung?
Dunkel in sich einsaugen - das Böse aufnehmen?
Lichtstrahl, wie vom Schwert gezogen - göttliche Strafe?
Ich hab' auch Verstand.©
gez. Volker
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Volker,
schön, dass du den Anfang machst. Ich bin nämlich wegen der Idee, das "Angefachte" Könnte die Inspiration sein, in tiefe Zweifel versunken, weil ich das nie so gesehen hätte und es auch als Überinterpretation ansehe, andererseits ist unsere Studentin voll im akademischen Betrieb, und ich bin da schon sehr lange raus. Aber wenn du das auch so siehst...
Also wenn wir uns auf Ding-Gedicht einigen, dann kann es per definitionem keine solchen Metaphern enthalten wie Angefachtes=Inspiration. Der Erzengel macht den Schluss schon recht pathetisch. Aber es ist nur ein "als hätte" - Erzengel, nur ein Vergleich. Mir scheint : Das Spiel von Licht und Dunkel macht aus diesem Ort eine Theaterszenerie, das "Stück" ,das sie -Licht und Dunkel - spielen, würde beinahe tragisch enden, im letzten Moment wird die Tragödie abgewendet, denn der Engel hat aufgepasst mit gezogenem Schwert, nun kann er das Schwert wieder einstecken.
Was zur Struktur auffällt, sind die vielen Partizipien, die hier vorkommen.
Moneypenny, si tu ne comprends pas tout ce que je dis ici en allemand pour que tout le monde puisse suivre, je te traduirai mes idées.
Gruß
gliwi
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e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo,
vielleicht ist es bei den Versen aus den 'Neuen Gedichten' nicht ganz abwegig, auf die Entstehungszeit und den -ort hinzuweisen, die KA gibt an: "Schluß vorgemerkt Ende März 1907, Capri; das Ganze 2.8.1907 Paris". Ding-Gedichte haben bei Rilke meist konkrete Anschauungen als Ausgangspunkt, und wie so oft bei ihm ist dann die' Ausarbeitung' etwa ein halbes Jahr später zu finden. So habe ich den Eindruck, Landschaft und Ort passen gut in Rilkes Capri-Aufenthalt (Villa Discopoli, Blick auf Anacapri??) und die bergige Küstenlandschaft zwichen Neapel und Sorrent. DAs legt auch die Andordnung in den 'Neuen Gedichten' nahe. Das hilft aber nur für den ersten Ansatz, den der Beschreibung. Ja, es fällt schon auf, dass alles, was über das konkrete Ansagen der Landschaftselemente hinaus geht, im Vergleich und im Konjunktiv II (Irrealis) steht. Das reduziert den sonst in Gedichten üblichen Metapherngehalt und seine Bestimmtheit deutlich . Vielleicht sind es damit nur Hinweise auf vage Stimmungsgehalte, die sich damit verbinden und die in diesem Landschaftsmoment zwischen Sonnenuntergang, Nacht und aufblitzendem Mondlicht (eigentlich ein typisch südländisches Motiv) auch noch Rückverweise auf symbolistische Lyrik sind. Es wäre ja wenig plausibel von einem schuldig gewordenen Dorf zu sprechen, dessen tragisches Schicksal nur durch das Eingreifen eines Erzengels gerettet würde. Nur eine solche Stimmung könnte sich einstellen. Es ist gar nicht einmal klar, was der Erzengel im Konjunktiv getan hätte: Er ist ja 'irgendwo" angesiedelt (ev. weit außerhalb menschlicher Ordnungen), möglicherweise ohne Bezug zur Ortschaft, es ist unklar, warum er sein Schwert zieht, es ist nicht sicher, warum er es tut. Ob er es wieder eingesteckt hat, bleibt auch zwischen den Zeilen stecken. Einzig erkennbar ist: Dass ein heller Mondstrahl durch das Landschaftsbild zieht.
Ich fürchte, viel mehr ist dann nicht mehr mit einiger Sicherheit zu sagen. Die Form des Gedichts wäre dann noch eine andere Sache.
Wer kümmert sich um die?
e.u.
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo,

nun möchte ich mich auch noch mit meinen Assoziationen melden - die natürlich, wie immer, ohne jede Gewähr sind!

Ich stimme Euch zu, meiner Meinung nach ist das ein sogenanntes "Ding-Gedicht" (ist vielleicht überraschend, das grad von mir zu lesen?) --- aber meiner Meinung nach ist das "Ding" hier nicht die Landschaft an sich, sondern ihre "Stimmung".

Für mich spricht Rilke in diesem Gedicht als einer, der diese Landschaft wie ein Maler betrachtet, das heißt, er beschreibt nicht nur, was er sieht, sondern assoziiert auch gleich, was für Inhalte ein etwaiges Gemälde haben könnte...

Er sieht zuerst, was das für ein Bild werden könnte, wenn man diese "angefachte" Stimmung des Sonnenunterganges weiter verfolgte --- und dann "ginge dort die Ortschaft tragisch aus".

Nächste Stimmung: das kühle Blau des Abends fällt in die feurige Szene, das "Angefachte" erlischt, alles wirkt ruhig und "erlöst".

Und dann verändert der Schein des Mondes die Stimmung noch einmal.
Es ist kein Strahl, der aussieht wie das gleißende Schwert eines Erzengels, sondern es ist ein Schein, das heißt, dieser fiktive Erzengel hat irgendwo entfernter sein Schwert gezogen, und es gibt davon nur einen Abglanz, einen Lichtreflex, der durch diese Landschaft gleitet...
Und diese dritte und letzte Stimmung könnte aus der Landschaft möglicherweise den Nebenschauplatz in einem größeren Gemälde machen (von dem wir nichts weiter erfahren, als daß es irgendwo diesen Erzengel gibt - vielleicht ist ein Entwurf dieses fiktiven Gemäldes, angeregt durch die Betrachtung der Landschaft in ihren wechselnden Stimmungen, gerade erst im Entstehen?).


Wie gesagt, das sind meine persönlichen Assoziationen... und ich bin überhaupt nicht Malerin, sondern Sängerin, ich habe daher keine Ahnung, ob ein Maler Landschaften tatsächlich in dieser Weise betrachtet. Würde mich aber sehr interessieren.

Liebe Grüße!

stilz
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo Stilz,
ich denke, mit dem 'Malerblick' kann man das Gedicht durchaus sehen. Vielleicht könnte man noch etwas weiter spekulieren, dann wäre Rilke nicht der erste Dichter dieser Art.
Er hat nämlich auch die Gedichte von Jens Peter Jacobsen gelesen und geschätzt. Und da findet man schon einige Parallelen, z.B. in 'Landskab', 'Det har Seraferne' und 'Englen Asali'. Im ersten Gedicht ist des die (Heide!)Landschaft zwischen Abend, Nacht und Wunde, im letzten Lichtstrahl und Schwert. Solche Details sind nur auffällig, keineswegs Erklärungen.
Ich habe die Texte erwähnt, weil Rilke sie auch übersetzt hat (Siehe Navigation: Gedichte). Wann er das tat ist unsicher. Er hat sie aber im Dänischen Text auch gelesen, ev. auch in deutscher Übersetzung, vermutlich schon nach 1896. Vergessen hat er sie sicher nicht.
Bei Jacobsen gehen viele Engel-Bilder zurück auf seine Italienreise 1873(Florenz).
Gruß von e.u.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Struktur: 7-6-7. Reime: a b b a c c d / e e d f g f / h h i h i i h. Bemerkenswert: Reim d geht über 2 Strophen. In der dritten nur noch 2 Reime: große Harmonie. Reim g: scheinbare Waise, reimt aber sofort auf das erste Wort des nächsten Verses, der außerdem eine Anapher "erl" hat. Harmonie! Sobald das Blau erscheint, kehrt Harmonie sogar in die Reime ein. Vorletzter Vers: das Reimwort ist ein unbetonter Artikel! Das staut den Vers an, erzwingt eine kleine Verzögerung, so als suche der Sprecher noch nach einem treffenden Vergleich. Das macht den Erzengel noch ein wenig unbestimmter.
Gruß
gliwi
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miss_moneypenny
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Beitrag von miss_moneypenny »

DAnke fuer ihren Antworten!! ich brauche nur ein bisschen Zeit, um das alles zu verstehen.. ich bin nicht fuer Gedichten analyse begabt.. irgendwie, diese Anmerkungen ueber die Metrik werden mich sehr helfen... (ich bemerke die Sachen.. aber bin total unfaehig eine Erklaerung dazu zu geben -_-)
Kann man auch etwas ueber die Hebungen usw sagen? Mein Lehrer hatte mir vorgeschlagen es so zu machen : - - + - - + usw... habe meiner Meinung nach ist es nicht so Einfach und nicht so regelmaessig... Die einzige regemaessigkeit waere - - + am Anfang jedes Vers... aber was kann das bedeuten? Ich suche noch was ueber Epiphanies Gedichten oder so was (göttliche Figur am Ende eines Gedichts)

why did i decide to study german? :shock:
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo, miss_moneypenny,
nicht verzweifeln, Rilke ist wirklich ein harter Brocken, aber wenn man sich eingearbeitet hat und die wesentlichen Eigenschaften seiner Lyrik kennt, geht es schon besser und schneller mit der Lektüre.
Ich kann Dich vielleicht damit trösten, dass ich die Gedichte von Stéphane Mallarmé genauso faszinierend, aber mindestens genauso schwierig zu verstehen finde wie die von Rilke. Aber das hält mich nicht ab...
Doch "jamais plus Claudel" - auch wenn er scheinbar leichter zu verstehen ist. Und wie sind Rilkes französische Gedichte? Leicht - schwer, besonders deutsch oder wie?
Vielleicht hast Du dazu mal eine Zeile übrig?
Mit guten Wünschen
e.u.
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo Moneypenny,

na klar, ist nicht gerade der aller"leichteste" Dichter, dieser RMR...

zu den Hebungen und Senkungen: das ist bei diesem Gedicht nicht so schwierig, es scheinen mir durchwegs "Trochäen" zu sein, dh Versfüße der Form "+-" (wenn Hebung = "+", Senkung = "-"):

Also:

+-+-+-+-+
+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+
+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+

+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+-
+-+-+-+
+-+-+-+-+
+-+-+-+-+-
+-+-+-+

+-+-+-+-+-
+-+-+-+-
+-+-+-+
+-+-+-+-+-
+-+-+-+-+
+-+-+-+-+
++-+-+-+-+-

Dabei gibt es manchmal einen unvollständigen Versfuß, also eine einzelne Hebung, am Zeilenende.
Auffällig ist die Unregelmäßigkeit zu Beginn der letzten Zeile, im Wort "Erzengel" folgen meiner Meinung nach zwei Hebungen unmittelbar aufeinander, das läßt sich nicht trochäisch "zurechtbiegen".

Was es zu bedeuten hat, daß Rilke in der ersten Strophe durchwegs fünfhebige Zeilen schreibt, in der zweiten und dritten auch vierhebige hineinmischt (vielleicht so wie das kühle Blau der Nacht?) und in der letzten, "erzenglischen" Zeile überhaupt aus dem Schema auszusteigen scheint (mir fällt dazu das von e.u. assoziierte "ev. weit außerhalb menschlicher Ordnungen" ein) - - - ???

Liebe Grüße und viel Erfolg beim Referieren!

stilz
miss_moneypenny
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Beitrag von miss_moneypenny »

Mallarmé :cry: i remember my french teacher shouting at me "a child could say more about that poem"... well... i think he's one of the most difficult french author...
ich hatte also mit meinem Lehrer gesprochen... und er hatte mir gesagt, dass die Versfuesse so regelmaessig zu betrachten (+-+-+-+-....) nicht sehr interessant wuerde.. es war auch meine erste Idee...
Naja, es scheint mir schon ein bisschen klarer zu sein, obwohl ich noch Problemen mit der Interpretation habe... Vielleicht wil ich ueberinterpretieren... Also alles scheint mir, als ob die Sonne ermorde sei (vampirasation :twisted: sogar mit "jener Tropfen kuehlen Blaus,/der die Nacht schon in den Abend micht" und dann "ueber blassen Haeussereihn/die schon Dunkel in sich eingesogen" ... 3. Strophe > Ende des Leiden/ Art Koma) Das Licht kommt zurueck durch den Mond> blabla Erzengel blabla goettliche Zeichen
Aber was soll das heissen??? (ich rauche keine Drogue.. vielleicht sollte ich)
Und wenn ich am Ende meines Referat den anderen frage "und sie, was meinen sie dazu?... ja ja? ja klar... gut ja.. gut gesagt"... :?:
e.u.
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Beitrag von e.u. »

Hallo,
das ist ja fatal. So langweilige Seminare kenne ich auch. Ich weiß, im franzöisschen Unterrichtssystem ist das nicht so einfach, aber kannst Du nicht einfach unser posting mit powerpoint präsentieren und dann dazu Deinen Kommentar sagen? Das könnte vielleicht etwas Leben in die Bude bringen - oder ist da alles schon so trist? Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.
Viel Erfolg wünscht e.u.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

stilz hat geschrieben: Dabei gibt es manchmal einen unvollständigen Versfuß, also eine einzelne Hebung, am Zeilenende
stilz
Einen unvollständigen Versfuß gibt es nicht. Rilke wechselt hier ganz klassisch ab mit einsilbigen und zweisilbigen Reimen (für Sexisten: männliche und weibliche Reime).
Unregelmäßig ist bereits "durchsichtige", +---, denn "tig" ist ja wohl nicht zu betonen. "hätte ein" betone ich +--, "Erzengel" ebenfalls +--.

Wer sollte die Sonne ermorden? Sie "erlischt ", d.h., sie nimmt ein natürliches Ende. Wenn jemand beinahe ermordet wird, dann ist es die Ortschaft, aber sie wird ja durch den "Tropfen kühlen Blaus" gerettet. Vampire? Wo? Ich erkenne keine.
Also ich persönlich finde Mallarmé noch weit schwieriger als Rilke. Rilke bewegt sich noch innerhalb eines herkömmlichen Kanons, aber Mallarmé macht seinen eigenen Kanon, und er verrät ihn nicht. Es ist wie mit diesen Gitter-Rätseln, bei denen man die vorhandenen Wörter richtig einfügen muss. Bei Rilke stehen schon ein paar Wörter drin, die einem ermöglichen, mit viel Geduld das ganze Rätsel herauszubekommen, bei Mallarmé haben wir ein leeres Gitter und wissen nicht, wo wir anfangen sollen.
Warum du Deutsch studierst? Weil es eine ungeheuer interessante deutsche Literatur gibt. Und die kann mensch nur richtig schätzen, wenn er /sie sie im Original liest, darum. :D
Bonne chance!
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo gliwi,

nach allem, was ich mir aus meiner Schulzeit gemerkt habe, geht es bei den "Versfüßen" nicht immer ausschließlich nach der tatsächlichen Betonung im normalen Sprachgebrauch.
Besonders deutlich ist das im Lateinischen und Griechischen, da können Hebungen auch ganz unbetonte Silben sein, sofern sie nur lang sind...

Beispiel:

Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo
sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat.

(Ovid, Metamorphosen)


Um das als Hexameter auffassen zu können, muß man nicht nur das "e" von "est" in der ersten Zeile elidieren, sondern zB "sata" oder "sine" oder "fidem" ganz verkehrt betonen.

Im Deutschen macht man das nicht so extrem, aber doch auch ein bisserl, oder?
Denn wieso können sonst die folgenden Zeilen aus Goethes "Iphigenie" als Blankverse (dh durchwegs fünfhebig jambisch) bezeichnet werden?

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.


Wenn ich das ganz normal "prosaisch" lese, würde ich in der dritten Zeile zB nicht "in" mehr betonen als "wie", und in der vierten Zeile sicherlich "tret ich" als "+-", also grad verkehrt...
Und dennoch sind es dichterisch Jamben, jedenfalls nach allem, was ich bisher gelernt habe.
Und außerdem bleibt, wenn die letzte Silbe einer Zeile unbetont ist, eine zusätzliche Senkung übrig, die sich nicht in das Schema "5 Jamben pro Zeile" fügt...


Ich würde mich freuen, wenn Du (oder sonst jemand, der sich damit gut auskennt) etwas dazu sagen magst, da ich das schon in meiner Schulzeit als sehr verwirrend empfunden habe und nicht sicher bin, ob ich mit meiner derzeitigen Auffassung, nämlich daß die Dichterworte ein bisserl "zurechtgebogen" werden, um in die Kategorisierungen zu passen, auf einer ganz falschen Fährte bin... ???

(Und natürlich sehe ich auch, daß genau an den Stellen, die man für Kategorisierungen "zurechtbiegen" müßte, gerade das Aufregendste im ganzen Gedicht passiert, das eben nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch noch ganz viel anderes, meist Unaussprechliches...)

Liebe Grüße!

stilz
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Volker
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Registriert: 8. Mär 2003, 12:39
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Jamben

Beitrag von Volker »

Hallo Stilz,

es macht mir keine Schwierigkeiten, so zu betonen:
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten heil’gen, dichtbelaubten Haines,
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
Aber das ist nur so mein "G'fühl".
Errarum humanum est.:?:
Lateinisch kann der alte Seemann nicht. :wink:
Ich hab' auch Verstand.©
gez. Volker
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