Dir zur Feier

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Antworten
K. Bergmann

Dir zur Feier

Beitrag von K. Bergmann »

Ich möchte vorausschicken, dass ich dieses Gedicht von Rilke leider nicht auf dieser Web-Side finden konnte.

Ein Leben dir zur Feier, „und weil wir alles sind, sind wir allein“. – Ich möchte eine einfache Betrachtung zu Titel und ausgewählter Zeile des Gedichtes wagen: Es scheint, als würde Rilke, im Verlauf des ganzen Gedichtes (vgl. besonders auch Strophe 86: Wenn ich manchmal in meinem Sinn ein Begegnen dem andern vergleiche…), den Sinn des eigenen Daseins in einer Art Zweigeteiltheit reflektieren. „Scheinbar“ auch deshalb, weil wir feststellen werden, dass letztendlich vielmehr eine Einheit vorliegt. – Auf einer gewöhnlichen Feier ist wahrscheinlich niemand allein. Doch hier ist keine gewöhnliche Feier, im Sinne von großem Bankett und Familien- und Freundeskreis, gemeint. Von einer solchen Feier verbleibt hier allerdings, dass ihr Anlass, ihre Festlichkeit und das Eingeladensein und Dazugehören die Feiernden a) in eine Art eigene, gar exklusive Welt entführt und b) diese Welt wiederum, aus ihrer Exklusivität als Höhepunkt verstanden, auf den Alltag durchstrahlend wirkt. Doch auf Rilkes Feier sind die Feiernden „alles“. Heißt es hier „dir“ zur Feier, dann steht zu erwarten, dass es sich bei diesem Wir nur um ein Ich und ein Du handelt. Jetzt verstehen wir auch, warum dieses Wir „allein“ sein muss. Sind Menschen in der größten Verbundenheit nicht schließlich wirklich die wahrhaft Feiernden, ist dann nicht der Einzelne wirklich „alles“ für den Anderen, und scheint es nicht regelmäßig, dass eine solch ernsthafte Form der Verbundenheit die anderen nicht eher befremdet oder zu mindestens zu einer Art „Fremden“ macht? Das es eigentlich nur zwei Perspektiven auf ein und dieselbe Sache ist, wird aus der Bedeutung des „Alles“ für das Wir deutlich, welches medaillenartig auf seiner Rückseite das „Allein“ führt. Irgendwie ist somit für Rilke die vertraute Zweisamkeit zu einer Feier des Wir geworden, die nichts auslässt, Ungeladenen fremd bleibt, und doch, eben wie eine jede Feier, ihr Licht, Freude und Festlichkeit auf jedes Außerhalb verstrahlt. – So erscheinen schließlich die verschiedenen Strophen des Gedichtes wie die verschiedenen Facetten eines Lebens der Feier des Wir. Es bleibt für Rilke sogar der Grundcharakter der Feier vordergründig, obwohl im Gedicht Mühe, Sorge und Leid auch in dieser "Welt" des Wir nicht fehlen.
thalia
Beiträge: 16
Registriert: 15. Nov 2002, 14:01

Beitrag von thalia »

Hallo,

interessante Betrachtungen. Allerdings gar nicht so einfach, wie Du anfangs versprochen hast;-)) Schon selbst aus dem Grund, daß hier kein Text vorliegt. Ich gestehe, ich habe das Frühwerk Rilkes ein bißchen vernachlässigt, wie auch sonst viele Rilkeinteressierten. Ein Glück, daß ich in meinen Rilke-Ausgaben tatsächlich den Zyklus der Gedichte "Dir zu Feier" gefunden habe. Es hat mich übrigens etwas verwirrt, daß Du ihn als ein Gedicht begreifst. Ich finde, es ist auf jeden Fall eine interessante und zulässige Interpretation.
MIr ist allerdings viel wohler bei dem Gedanken, daß es eine Reihe getrennter Gedichte ist, denn wie ich mich erinnere, ist der Zyklus nicht ganz komplett. Auf Anraten von Lou hat Rilke einige Gedichte rausgenommen (so Leppmann in seiner Biographie).

Tja, meine Ausgabe ist nicht nummeriert, also Dein Hinweis auf die 86 Strophe hat nur das gebracht, daß ich mich in die sämtliche Gedichte (mehr oder weniger) vertiefen mußte.

Rilke Stimme in diesen Gedichten klingt sehr unterwürfig, dem "Du" ausgeliefert, nach dem "Du" "dürstend". Und das trotz des vorkommenden "Wir". Und deswegen auch wage ich es meinen, daß das Feier nur dem "Du" zusteht, für den das "Ich" (nur) als Gegenstand der Freude gilt. Vielleicht ist das "Ich" nicht fähig zur Freude, kann allerdings eine Befriedigung aus der Verschmeltzung mit dem "Du" ziehen.Es ist ken "gleichberechtigtes" Verhältnis vom "Du" und "Ich".

Du fragst (ich nehme an, es sei eine rethorische Frage): "Sind Menschen in der größten Verbundenheit nicht schließlich wirklich die wahrhaft Feiernden, ist dann nicht der Einzelne wirklich "alles" für den Anderen, und scheint es nicht regelmäßig, daß eine solch ernsthafte Form der Verbundenheit die anderen nicht eher befremdet oder zu mindestens zu einer Art "Fremden" macht?"

Was meinst Du mit "ernsthafte Form (der Verbundenheit)"? Für wen ist sie ernsthaft? Auch die "größte Verbundenheit" würde ich versuchen zu definieren. Und wen kann man schließlich als den "WAHRHAFT Feiernden" bezeichnen?...natürlich alles im Hinblick auf den obigen Text:-)

Als Gegenstück ist, im ungefähr der gleicher Zeit, auch der Zyklus "Mir zu Feier" entstanden. HAst Du Dich auch damit auseinandergesetzt?

Gruß, Thalia
K. Bergmann

Dir zur Feier

Beitrag von K. Bergmann »

Hallo Thalia,

Endlich habe ich wieder Zeit gefunden auf Deinen letzten Kommentar zu antworten. Damit ist es spät geworden und es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, schließlich war ich auch sehr dankbar über Deine letzte Antwort!

Sicherlich kann ich mich mit einem Literaturexperten oder einem speziellen Kenner der Rilke Biographie nicht messen! Mein Versuch einer Interpretation – Dank an dieser Stelle für Deine Zustimmung – geschieht (denn es handelt sich nicht um ein zurückliegendes Ereignis, sondern vielmehr um ein ständiges Umgehen mit Einsichten, die ich mit Rilke teile) vielmehr aus einer nachträglichen philosophischen Betrachtung eines Rilke, der für mich nicht enthobender Künstler (Poet immer auch als Künstler verstanden), sondern Mensch mit besonderen Einsichten in menschliches Leben ist.

Um nun konkret auf Deine Fragen einzugehen, zu denen ich sicherlich Anlass gegeben habe:
1. Was meinst Du mit "ernsthafte Form (der Verbundenheit)"?
2. Für wen ist sie ernsthaft?
3. Auch die "größte Verbundenheit" würde ich versuchen zu definieren.
4. Und wen kann man schließlich als den "WAHRHAFT Feiernden" bezeichnen?...natürlich alles im Hinblick auf den obigen Text:-)

Ich beginne systematisch mit der Beantwortung der zweiten Unterfrage: Ernsthaftigkeit bedeutet Annahme dessen, was einer an sich ist, aus letzter Konsequenz einer Einsicht in seinen ursprünglichsten und höchsten Sinn. In einer Beziehung geben Menschen einem Miteinander eine bestimmte Form. Wenn auch diese von jener Einsicht geprägt ist, handelt es sich um eine ernsthafte Form. Alle andere Formen könnte man in die zwei ersten von Aristoteles vorgeschlagenen Formen der Freundschaft fassen: Freundschaft der Nützlichkeit, und Freundschaft der Lust wegen.
Die Form der Beziehung ergibt sich aus dem Gestalterischen aller Beteiligten. In einer wie von Rilke beschriebenen Zweisamkeit geben also zwei Menschen ihrer Beziehung eine Form. Ich glaube, dass Rilkes Einsicht in den Sinn und das An-sich-sein jener Beziehung sich nicht in Nützlichkeiten oder Lustmomenten erschöpft. Allein die Tatsache, dass eine solche Einsicht spezifisch einer Beziehung für ihn möglich war, beruht auf der Beidseitigkeit jener Einsicht auf dem Weg ihrer Verwirklichung. Sie kann also in diesem Sinne nur für beide ernsthaft sein, oder einer von beiden würde dem anderen die (Ein-) Sicht darauf verstellen. Womit die zweite Frage eine Antwort findet.
Bezüglich der dritten wäre fortzuführen, dass nun aus dem Bewusstsein jener gemeinsamen Einsicht, und einer sich damit ergebenden, so genannten Seelenverwandtschaft die größte Verbundenheit resultiert. Dies wäre wahrscheinlich mit der dritten aristotelischen Form der Freundschaft, der um des Guten willen, vergleichbar. Auf dieser Ebene sieht der eine im anderen weder vordergründig den Nutzen, noch die Lust die dessen Existenz für einen selbst bedeutet, sondern auf der einen Seite all das Gute was jenem beständig getan werden kann, und andererseits all das Gute was jener einem beständig zu tun bedacht ist.
Damit sind eigentlich wesentliche Voraussetzungen für eine „Feier“ erfüllt. Und du hast Recht, auf einer Feier wird ja tatsächlich immer einer gefeiert, dieser steht im Mittelpunkt, alle andere nehmen „nur“ daran teil. Es gehört wahrscheinlich zur Natur einer wie eben beschriebenen Beziehung, dass jeder den anderen feiern möchte, den anderen im Mittelpunkt sieht, sich immer eher unterwürfig als Teilnehmer, als Eingeladener, als Empfänger empfindet. Vielleicht hat dies Rilke an der Stelle der Gedichtsammlung „Dir zur Feier“ noch besonders herausgehoben, wo er (in Strophe 86.) schreibt: Wenn ich manchmal in meinem Sinn / ein Begegnen dem andern vergleiche: / du bist immer die reichende Reiche / wenn ich der dürftige Bettler bin.

Ich hoffe, dass ich Deine Fragen wenigstens annähernd beantworten konnte. Noch einmal Dank für die Anfrage. Fragen fordern einen ja häufig gerade erst positiv heraus.
Marie
Beiträge: 308
Registriert: 9. Mär 2003, 21:27
Wohnort: rhld.-pfalz

Beitrag von Marie »

Hallo,

ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Beitrag unter „literarisch“ oder „menschlich“ stellen soll, er passt wohl zu beidem.
„Dir zur Feier“ ist ein guter Anlass, sich die Beziehungen Rilkes zu den die Dichtung inspirierenden Menschen anzuschauen, um in der Umkehr das Werk besser verstehen zu können.
L. Andreas-Salomé bot Rilke zweifellos von der ersten Begegnung bis zu seinem Tod Halt, Orientierung und Inspiration und gehört auf jeden Fall zur „Seelenverwandtschaft“. In den ersten Jahren kann man sicher auch Züge entdecken, die du, Thalia, als „unterwürfig“, „ausgeliefert“ und vor allem „dürstend“ beschreibst. Ich würde es schlicht als asymmetrisches Verhältnis charakterisieren, das der „Feier“ des „Wir“, im Sinne von wahrer Erfüllung, Einheit, wie auch immer man es umschreiben mag, entgegenwirkt. Endlose Belege im Text hierzu – nur einer stellvertretend: „Ich geh mit BLINDEN Schritten / DEINEM Leben NACH.“ Im Reifungsprozess dieser Beziehung (ohne den die Freundschaft nicht bis zu Rilkes Tod so beiderseits fruchtbar hätte Bestand halten können) entzog sich Rilke Lous Macht und Einfluss, trotz deren massiven Widerstands zusehends: In „Dir zur Feier“ oblag es noch ihrer Zustimmung, welche Verse aufgenommen wurden und welche nicht. Eine von Lou später für dringend notwendig erachtete psychoanalyt. Behandlung dagegen, lehnte Rilke ab. Für Lou muss das eine harte Lektion gewesen sein. Sie hatte schon auch Züge einer Herrscherin, die Ihre Gunst nur dem erweist, der ihr BLIND ergeben ist!
Wäre Lou die QUELLE gewesen, die das „dürsten“ dauerhaft stillt, die die „größte Verbundenheit“ ermöglicht, sprich: die Seelenschwester nach der Rilke immer suchte, dann hätte er wohl kaum bis an sein Lebensende bei unzähligen Frauen weiter danach suchen und sicher auch nicht mehr, das Leiden kompensierend, dichten müssen (als Bewunderer der rilkeschen Dichtung könnte man also egoistisch „Gott sei Dank! ausrufen).
Rilke blieb nie im Stadium bewundernder Anbetung stecken, das für ihn mehr „Medium“ war, um das Größere, das Überpersönliche und Ewige durch die jeweiligen Augen zu erblicken. Die Beziehungen z.B. zu Magda von Hattingberg oder Eleonora Duse unterlagen dem gleichen Dilemma. Wenn das Werk geleistet war (sowohl das menschliche als auch das dichterische) blieb der nüchterne, ewig einsame Beobachter, fern von jeglicher Durst stillenden Quelle in seiner Wüste zurück. Was er sich selbst oft als „große Rücksichtslosigkeit“ unterstellte, war viel mehr die Fähigkeit, den Focus schneller zu ändern und klarer einzustellen als das diejenigen leisten können, die von selbstverschleiernden emotionalen Mustern und (durch Rilke auch geschürte) Eitelkeiten gelenkt wurden. Er konnte schonungslos ( sich selbst und dem Anderen gegenüber) jeden noch so gut verborgenen Schattenanteil ans Licht zerren. Dieses Anderssein muss für ihn eine endlose Belastung gewesen sein.
Was hat er also eigentlich gesucht, wenn es in der 4. Elegie lautet:

Und ihr, hab ich nicht recht, / die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang / Liebe zu euch, von der ich immer abkam, / weil mir der Raum in eurem Angesicht, / da ich ihn liebte, überging in Weltraum, / in dem ihr nicht mehr wart...

Ein Ansatz dazu bietet das Gedicht „In einer Rose steht...“:

Auf einmal, / zwei Jahrtausende vor jenem neuen Geschöpf, / das wir genießen, wenn die Berührung beginnt, / plötzlich: gegen dir über, WERD ICH IM AUGE GEBOREN.
(Großdruck nur von mir zum Hervorheben, nicht so im Gedicht)

Das „Im Auge geboren“ werden heißt auch, die EIGENE Göttlichkeit IM Anderen zu erleben. Doch dieser Intensität hielt wohl kein menschliches Auge stand (vgl. hierzu auch den Teil aus „Mariae Verkündigung“ im Marien-Leben, in dem es um genau diese Intensität im gegenseitigen Erblicken geht). Die Seelenschwester, nach der er suchte, war vielleicht nicht unterschiedlich zur Göttin selbst. Eine Schlüsselstelle in „Dir zur Feier“ ist für mich:

Im Traume malte ich ein Triptychon:

Licht
In der Mitte stand dein Mutterthron.
Du wiesest lächelnd hin zum linken Rahmen,
und meine Tochter nanntest du beim Namen-
und dann zum rechten: „Siehe deinen Sohn.“

Ich bin sicher, dass es sich um einen tatsächlichen Traum Rilkes handelt. Die thronende Mutter ist Sinnbild für >Große Mutter<, >Göttin<, das lebensspendende weibliche Urprinzip, das einzigst den Durst stillen kann. SIE suchte er in all den Frauen (hier könnte man auch einen Abstecher zu Rilkes Ägypten-Begeisterung wagen: ISIS, die das Überleben durch die jährliche Nilflut gewährt – aber ich habe in meiner Euphorie ohnehin schon „Überlänge“ produziert. Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht?!).
Rilkes „Dreieinigkeit“ (Mutter an der Spitze, Tochter und Sohn an der Basis des Dreiecks) ist weiblich dominiert! In einem Traumlexikon fand ich: „Im Traum eines Mannes kann die Tochter Ängste und Zweifel symbolisieren“, während der Sohn „unerfüllte Hoffnungen zum Ausdruck“ bringt. Ersteres war ihm vertraut: „...und meine Tochter nanntest du beim NAMEN“, aber: „SIEHE deinen Sohn“, schaue dir deine unerfüllten Hoffnungen an und suche weiter! In diesem Traum nahm Lou wohl tatsächlich vorübergehend den Platz (Thron) der Göttin ein, die kein Aufhalten bei weniger als ALLEM duldet...?

Liebe Grüße an alle, die sich bis zum letzten Satz per Mausrädchen "durchgerollt " haben!
Antworten