Das, was in Rilke von Kind an kein Ich sein durfte, spricht in der ELFTEN ANTWORT:
Leise an Dir weht / der Flügel meiner Zärtlichkeit vorbei
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«Der Geist gibt nach, bezieht ein Krankenzimmer.« - «DAS TÖDLICHE HAT IMMER MITGEDICHTET, / NUR DARUM WAR DER SANG SO UNERHÖRT»
Rilke, ELFTE ANTWORT
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[ Wer denkt da nicht an jene Todespflege heute in Wiener Krankenzimmern]: «Wo ist die Würde unseres Gestöhns?» (RILKE, ELFTE ANTWORT) - Wir dürfen nicht einmal unsere eigene Krankheit leben. Wir dürfen nicht einmal den eigenen Tod sterben.
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DAUER DER KINDHEIT (FÜR E.M.) - Vierte Antwort -
Lange Nachmittage der Kindheit....., immer noch nicht
Leben; immer noch Wachstum,
das in den Knien zieht -, wehrlose Wartezeit.
Und zwischen dem, was man sein wird, vielleicht,
und diesem randlosen Dasein -: Tode,
unzählige. Liebe umkreist, die besitzende,
das immer heimlich verratene Kind
und verspricht es der Zukunft; nicht seiner.
Nachmittage, da es allein blieb, von einem Spiegel zum andern
starrend; anfragend beim Rätsel des eigenen
Namens: Wer? Wer? - Aber die Andern
kehren nachhause und überwältigens.
Was ihm das Fenster, was ihm der Weg,
was ihm der dumpfe Geruch einer Lade
gestern vertraut hat: sie übertönens, vereitelns.
Wieder wird es ein Ihriges.
Ranken werfen sich so manchmal aus dichteren
Büschen heraus, wie sich sein Wunsch auswirft
aus dem Gewirr der Familie, schwankend im Klarheit.
Aber sie stumpfen ihm täglich den Blick an ihren gewohnteren
Wänden, jenen, den Aufblick, der den Hunden begegnet
und höhere Blumen
immer noch fast gegenüber hat.
Oh wie weit ist es von diesem
überwachten Geschöpf zu allem, was einmal
sein Wunder sein wird, oder sein Untergang.
Seine unmündige
Kraft lernt List zwischen den Fallen.
Und das Gestirn seiner künftigen Liebe
geht doch schon längst unter den Sternen,
gültig. Welches Erschrecken
wird ihm das Herz einmal reißen dorthin,
daß es abkommt vom Weg seiner Flucht
und gerät in Gehorsam und heiteren Einfluß?
(Aus dem Nachlaß, Zweite Folge. Rainer Maria Rilke: Briefwechsel in Gedichten mit Erika Mitterer, 1924 -1926. Insel-Verlag. MCML)
Wem ist dieses Gedicht bekannt? Welchem Poesie-Freund, welchem Oberlehrer? - Ich staune und ich bin erschrocken. Denn "Dauer der Kindheit" ist eins der sieben besten Gedichte Rilkes. Es fehlt aber in der Ausgabe "DIE GEDICHTE" zu seinem 60. Todestag. Triefäugig der Verlag im Vorspruch: Dieser Band versammelt die Quintessenz seines lyrischen Schaffens. Auf den 1 131 Seiten des Bandes fand der Insel Verlag für dieses Gedicht keinen Platz.
Und da frage ich mich noch, wer Ohren hat? Unsere Lektoren, Verleger und Kritiker sind doch nicht anders als unsere Generäle und Ärzte. Menschen und Poesie darf man nicht den Fachleuten überlassen. Sonst bist du nachher der, für den dich die anderen halten: «Wer hilft Dir dieses sein, / wofür man einen hält?» (RILKE, ELFTE ANTWORT). «Noch sind die Ärzte fragend hin und her / unsicher, ob ich ein Erkanntes leide, / von dem sie wissen»
René Rilke: auch ihn schütteten sie zu. "Dauer der Kindheit" - die "schwarze Erziehung" der Alice Miller ist darin. Die Folge der schwarzen Kindheit: "Ich bin jener, den man nicht erreicht" (Sechste Antwort).
«Komm an den Brunnen, der ich bin; ich gebe / die Wasser weiter, selber nicht gespeist (ELFTE ANTWORT).
- Und die Entmündigung für den Engel, der als Mundstück der Götter die Botschaft sprechend: und vorübergeht. «Auf der Flucht ins Unsichtbare, / die uns alle vorüberreißt» gibt Rilke die "Fünfte Antwort":
Etwas vom Munde des Gotts
spiegelt im Mund der Geliebten
zwischen Tröstung und Trotz.
Dieser unsägliche Zug,
spiegelnd im Mund der Geliebten,
macht sie ihm ähnlich genug.
Und das, was von Kind an kein Ich sein durfte, spricht in der ELFTEN ANTWORT:
Leise an Dir weht / der Flügel meiner Zärtlichkeit vorbei
