Neigung

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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StigI
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Neigung

Beitrag von StigI »

Man hat mir gesagt das die folgenden Zeilen in einem Gedichte Rilkes vorkommen, was mir auch sehr natürlich scheint:

Neigung: wahrhaftes Wort. Daß wir jede impfänden,
nicht nur die neueste, die uns ein Herz noch verschweigt;
...

Vergebens aber habe ich das Gedicht gesucht (z. B. in Gesammelte Gedichte - Insel-Verlag 1962); d. h. ich habe wirklich einmal das Gedicht als solches an einer Internet-Seite gefunden, aber ohne Angabe in was für einer Sammlung es sich befindet.

Könnte jemand mir erzählen wovon diese Zeilen geholt sind, würde es mir sehr froh machen.

Freundlichen Grüßen
Stig Isaksson
Thilo
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Beitrag von Thilo »

Hallo Stig,

Ich habe das Gedicht in Band zwei der siebenbändigen Gesamtausgabe aus dem Insel-Verlag gefunden. Dort steht dazu: Muzot, nach Mitte Februar 1922.

Das Gedicht geht folgendermaßen:
Neigung: wahrhaftes Wort. Daß wir jede empfänden,
nicht nur die neue, die uns ein Herz noch verschweigt;
wenn sich ein Hügel langsam mit sanften Geländen
zu der empfänglichen Wiese neigt:
sei uns auch dieses unser. Sei uns vermehrlich.
Oder des Vogels reichlicher Flug
schenkte uns Herzraum, mache uns Zukunft entbehrlich.
Alles ist Überfluß. Denn genug
war es schon damals, als uns die Kindheit bestürzte
mit unendlichem Dasein. Damals schon
war es zuviel. Wie sollten wir jemals Verkürzte
oder Betrogene sein: wir, mit jeglichem Lohn
schon Überlohnten....
Viele Grüße,
Thilo
StigI
Beiträge: 2
Registriert: 4. Jan 2003, 18:30
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Neigung

Beitrag von StigI »

Vielen Dank, Thilo!

Dieses Gedicht war also in der Periode der Sonetten an Orfeus verfaßt. Es ist nicht in meiner einbändigen Rilkesammlung zu finden (war es jemals zu Lebzeiten Rilkes veröffentlicht?), Muß mir offenbar bessere Hilfsmittel anschaffen. Merkwürdig scheint es mir doch daß das Gedicht in diesen übrigens vortrefflichen www-Seiten nicht suchbar ist..

Nochmals vielen Dank für eine ausgezeichnete Erkundigung!

Stig

PS: Der Anlaß meiner jetzigen Neugier war daß ich zurzeit mit der Aphorismussamlung "Vägmärken" (Wegmarken) von Dag Hammasrskjöld beschäftigt bin; und er anführt zeilen aus dem betreffenden Gedicht als ob es allgemein bekannt wäre.
ruebenkoeter

Neigung die zweite

Beitrag von ruebenkoeter »

Ich moechte noch auf eine leicht abweichende Version dieses Gedichtes hinweisen, steht im insel TB, erste Auflage 1998, auf S. 926:

Neigung: wahrhaftes Wort! Dass wir jede empfaenden,
nicht nur die neuste, die uns ein Herz noch verschweigt;
wo sich ein Huegel langsam, mit sanften Gelaenden
zu der empfaenglichen Wiese neigt,
sei es nicht weniger unser, sei uns vermehrlich;
oder des Vogels reichlicher Flug
schenke und Herzraum, mache uns Zukunft entbehrlich.
Alles ist Ueberfluss. Denn genug
war es schon damals, als uns die Kindheit bestuerzte
mit unendlichem Dasein. Damals schon
ware es zuviel. Wie koennten wir jemals Verkuerzte
oder Betrogene sein: wir mit jeglichem Lohn
laengst ueberlohnten...
......
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