„Denn ich wohne - - im Innern“

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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Kay
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„Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von Kay »

Hallo,
ich übersetze gerade ein Essay aus dem Jiddischen, in dem es um die Verwendung biblischer Motive in Rilkes Lyrik geht. Dabei versuche ich alle Rilkezitate nachzuweisen, das ist schon deshalb nötig, weil ich natürlich die tatsächlichen Zitate verwenden will und nicht meine Rückübersetzungen. Ein Zitat, das der Autor sogar im deutschen Original verwendet, finde ich einfach nicht:
„Denn ich wohne - - im Innern“
Kann mir jemand sagen, woher es stammt?
Vielen Dank!
Kay
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lilaloufan
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von lilaloufan »

Kay, willkommen im Forum! Ich verstehe noch nicht: Suchst Du das Rilke- oder das Bibelzitat?

l.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
sedna
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von sedna »

Kay, würdest Du den Zusammenhang des Zitats im Essay kurz beschreiben?
Es ist wahrscheinlich aus einem Brief. Ich meinte die Stelle zu kennen - Fehlanzeige.
Hier zunächst die ähnliche:

Rilke an Regina Ullmann, am 20. Februar 1923:

"So klein mir die Schweiz oft erschien, für diesen Fall ist sie nun doch zu groß: Du wirst an dem einen Ende sein, ich wohne am anderen, - und "wohne" wahrhaftig, bin unendlich unbeweglich, ein Gefangener meiner selbst in meinem alten Turm."

sedna
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Kay
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von Kay »

Hallo,
Der genaue Kontext lautet: "Rainer Maria Rilkes zwei Zeilen, die ich als Motto vorangestellt habe, ist zu entnehmen, dass die Welt für jeden eine zerfallene und zerbröselnde ist und nur der Poet in der Lage ist, sie zusammenzufügen. Rilke hatte offensichtlich seine eigene geistige Welt im Sinn („Denn ich wohne - - im Innern“ ), die einzige Welt, in der der Poet einen Einfluss auf die auseinander gefallenen zerbrochenen Wahrheiten hat." Ich vermute, dass es sich bei dem Zitait in Klammern um eine Gedicht oder Briefzeile Rilkes handelt, die ich jedoch bisher nicht gefunden habe.
Kay
stilz
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von stilz »

Hallo Kay,

es ist zwar leider nicht wörtlich, aber schon bei Deiner ersten Frage dachte ich an die siebente Duineser Elegie; nun, im Zusammenhang, wird das noch deutlicher, deshalb will ich diese Zeile nun doch hier hereinstellen::

  • Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen.


Und ich denke auch noch an das Gedicht, das lilaloufan vor längerer Zeit hier hereingestellt hat...

:) Und außerdem werde ich jetzt neugierig auf die "zwei Zeilen, die ich als Motto vorangestellt habe"... und natürlich auf den gesamten Essay. Bitte, gib uns Nachricht davon, wenn Du die Übersetzung irgendwo veröffentlichst!

Herzlichen Gruß

Ingrid (stilz)
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
sedna
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von sedna »

Danke euch,

ja, nun entsteht erst recht der Eindruck, daß das Zitat in diesem Wortlaut nicht vor Kriegsausbruch zu Papier gebracht wurde. Die sinngemäße Gedichtzeile, an die ich dachte:

Ich sorge mich, und in mir steht das Haus.

(Aus dem Gedicht: Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen, August/September 1914)

Aber die Verwendung dieser verdoppelten Gedankenstriche lassen mich weiterhin eine Briefstelle vermuten. Hier noch einige Gedanken Rilkes aus dem Ende des Briefes an Freifrau Heyl zu Herrnsheim vom 1. März 1919:

Der Krieg konnte nichts anderes als ein Ende sein; er war ein Äußerstes, seiner innersten Un-Natur nach, ein Abbrechen der Menschheit an sich selbst. Es konnte nur ein neuer Anfang des Daseins nach ihm einsetzen, — — in diesem Anfang sind wir jetzt, und es ist ja die erste Bedingung der Zukunft, daß er nicht leicht sein kann: wie sollte er’s?
Ein schwerer, schwerer Anfang. Nichts Neues für mich: ich habe mich, seit ich denken kann, als Anfänger gefühlt
.

sedna
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Kay
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von Kay »

Das vorangestellte Motto der beiden verglichenen Autoren lautet:
"Der Dichter einzig hat die Welt geeinigt
Die weit in jedem auseinander fällt."
R. M. Rilke „Baudelaire“
Gedichte 1906 – 1926

"Traurig und schön, sagt der Poet
Sind die Wege des Tanach"
Itzik Manger, Humesch-Lieder

Danke für den Tip, mit diesem Zitat, das ja zumindest Parallelstelle ist, kann ich die passende Fußnote schreiben. Der Text soll übrigens, voraussichtlich im Oktober, beim Wehrhahnverlag unter dem Titel "Medresch Itzik und Medresch Rilke" erscheinen. Der Autor, Alexander Spiegelblatt, hat es ursprünglich für eine jiddische Literaturzeitschrift geschrieben, die lange in Israel erschienen ist (Di goldene keyt).
Kay
sedna
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von sedna »

Ich hab's mir dann fast gedacht, Kay, es sind keine Gedankenstriche, sondern Auslassungszeichen (die ich so zunächst grundsätzlich nie verwenden würde, und weil Rilke solche bzw. überhaupt Zeichen gezielt einsetzte und auch zu Druckfahnen etc. ziemlich sorgfältige Anweisungen dazu gegeben hat ...!)

Das Zitat entstammt der vorletzten Strophe aus einem Briefgedicht an Alma Johanna Koenig
(Antwort auf ein im Jahre 1916 an den Dichter gerichtetes langes Schreiben.)

So, wie ich ja nicht bin.
Denn ich wohne, du weißt es, im Innern,
wo es nicht Greifbares gibt.
Aber winken ist süß.

Meine Quelle: Rainer Maria Rilke. Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig: Insel Verlag 1937, S. 124.

sedna
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Kay
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von Kay »

Liebe sedna,
vielen Dank, damit habe ich die letzte Unklarheit gelöst, das Manuskript kann zum Verleger! Die Gedankenstriche stammen nicht von mir, sondern sind so in der jiddischen Textvorlage enhalten.
Alles Gute!
Kay
sedna
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von sedna »

Kay hat geschrieben:Die Gedankenstriche stammen nicht von mir, sondern sind so in der jiddischen Textvorlage enhalten.
War mir schon klar, Kay, daß Du für die Lösung dieser Frage nichts auslassen würdest ... ;)

Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg

sedna
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stilz
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von stilz »

Liebe sedna,

vielen Dank fürs Finden! :)

Und hier noch, der Vollständigkeit halber, das ganze Gedicht - im Zusammenhang bedeutet die betreffende Zeile wohl etwas ein wenig anderes, als ich zunächst gedacht hätte. In meinem Gedichtband ist übrigens jede zweite Zeile eingerückt (in der sechsten Strophe zusätzlich auch noch die erste):
  • Kind, die Wälder sind es ja nicht,
    welche die Stürme erregen;
    ach, nicht einmal das Meer
    stürzt in die Räume den Sturm.

    Du, du stürmtest. Was war ich da?
    Hain oder Garten; rauschte, gab Raum.
    Oder die Ebene war ich
    deines gestürmten Gefühls.

    Wo aber warst du seither, du Sturm?
    Du Frühsturm, von wo jetzt
    bringst du wie Nachtwind zurück
    meiner Wälder Geruch?

    Unsichtbar kommst du und wehst.
    Soll ich um deine Erscheinung
    trauern? Aber du warst ja
    eben ein Mädchen, das schrieb.

    Schriebst du? Atmetest? Oder
    fühltest du selber dich nur
    schattig und wieder
    licht unterm wechselnden Baum?

    So auch über mich nun
    bringst du beweglichen Wechsel.
    Kommst und entgehst.
    Kamst lange. Bist lange vorbei.

    Wer von uns ist gestorben?
    daß wir uns so mit Erinnern
    trösten? Legst du mir deinen
    Spiegel, Mädchen, aufs Grab?

    Oder bist du schon selber
    wie die Entwandelten leicht?
    Daß du mir mitten durchs Zimmer
    gehst? Und ich fasse dich nicht?

    Siehe, da spiel ich dir nun
    diese staunenden Strophen.
    Und erfinde dich mir.
    Denn du bist nicht. Nichtwahr?

    So wie ich ja nicht bin.
    Denn ich wohne, du weißt es, im Innern,
    wo es nicht Greifbares giebt.
    Aber Winken ist süß.

    Und ein Wink nicht in Luft.
    In deinem umziehenden Atem
    wink ich. (Reg ich ihn auf?
    Hat er sich sanfter gelegt?)

Herzlichen Gruß!

Ingrid
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sedna
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Re: „Denn ich wohne - - im Innern“

Beitrag von sedna »

stilz hat geschrieben:im Zusammenhang bedeutet die betreffende Zeile wohl etwas ein wenig anderes, als ich zunächst gedacht hätte. In meinem Gedichtband ist übrigens jede zweite Zeile eingerückt (in der sechsten Strophe zusätzlich auch noch die erste)
Ja, stilz, ich weiß, wir scheinen die gleiche Ausgabe vom lyrischen Werk zu haben. Ist dort zusätzlich noch zentriert gesetzt ... In meiner Ausgabe von 1937 steht das Gedicht linksbündig, und es gibt gleich zwei (im Ganzen aber die in diesem Gedicht einzigen) damals modernen Anpassungen der Rechtschreibung in der besagten Strophe: Winken klein und gibt ohne 'e' ... Und was die Interpretation angeht — oweh ...

Alles Ausführliche ist mir bei solchen Anfragen ohne gezieltes Nachhaken schon zu heikel. Da halte ich mich in aller Kürze schön an meine alten Brief-Ausgaben von Herausgebern, die noch das Original in den Fingern gehabt haben sollen, — und den Genuß, sich die volle Wahrheit und Klarheit zu verschaffen überlasse ich dem verantwortlichen Autor.
Spannend war's allemal. In den Literatur-Archiven scheint das Briefgedicht soweit ich gesehen habe nicht gelistet zu sein. Und wenn es auch nicht im Rilke-Archiv liegt, — wer findet als nächstes das Original ? :cool:

sedna
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Kay
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Endlich erschienen

Beitrag von Kay »

Liebe Rilkefreunde,
es hat dann doch eine Weile gedauert, bis das Buch, für dass Ihr mir beim Auffinden eines Zitates behilflich wart, erschienen ist. Nun ist es da: "Medresch Itzik und Medresch Rilke", zweisprachig jiddisch und deutsch (zur Verwendung biblischer Motive im Werk von Rainer Maria Rilke und Itzik Manger). Der Verlag hat es auch auf seine Homepage gestellt: http://www.wehrhahn-verlag.de/index.php ... ils&id=732. Falls jemand einen Blick in das Büchlein wirft, würde ich mich über einen Kommentar freuen.
Vielen Dank noch einmal für die Unterstützung!
Kay
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