heimat-begriff bei rilke

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Barbara
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heimat-begriff bei rilke

Beitrag von Barbara »

Hallo,
welchen Heimatbegriff hatte (der Europaer?) Rilke eigentlich ? Er schreibt viel ueber Paris, wo er ja auch lebte eine Zeit lang, versteht aber auch Russland als seine Heimat und am Ende ist vielleicht Muzot zu seiner Heimat geworden ?! Gab es fuer ihn so etwas wie ein zu Hause sein ( ueberhaupt) ? Und was sagen seine Gedichte dazu ? Gibt es dort Motive, Bilder, Metaphern ... zu diesem Thema ? Ist es ein Inneres zu Hause sein ?
Vielleicht koennte diese Frage auch fuer eine virtuelle Diskussionswelt interessant sein - wie hier im Online-Forum.
Gruesse von Barbara
Marie
Beiträge: 308
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Beitrag von Marie »

Hallo Barbara,
ich scheue mich etwas, Rilke als einen "Europäer" zu bezeichnen. So würde man jemanden nennen, der überall in der Lage ist, wenn auch nur flache Wurzeln zu bilden - jemanden also, der generell "in der Welt" zuhause ist. Das trifft auf Rilke nicht zu, er war zeitlebens heimatlos in der "äußeren" Welt. Das betrifft auch seine Bindungs- oder Beziehungsfähigkeit; er war auch bei keinem Menschen zuhause.
Diese Ruhe- und Heimatlosigkeit ist aber gerade ein Pfeiler seiner Dichtung und du wirst immer wieder über Beispiele in seiner Dichtung stolpern, die darauf zurückzuführen sind. Einer der prägnantesten von Rilke geprägten Begriffe hierzu ist der des "Weltinnenraums" - den suchte er und manifestierte ihn in seinen Gedichten, ohne ihn je im eigenen Leben verwirklichen zu können. Es liegt nicht nur sehr viel Mystik, sondern auch Tragik in seinem Werk. Für mich kommt dies am deutlichsten in dem fast verzweifelt wirkenden Ausruf zutage: "Nur innen, Geliebte, wird Welt sein" (Duineser Elegien; hab's aus dem Kopf zitiert, hoffe es stimmt so?!)
Die Geliebte, die gemeinsam mit ihm über diese Schwelle (die sehr viel mit dem Tod zu tun hat) getreten wäre, fand er in seinem Leben allerdings nicht.

Viele Grüße :roll:
Barbara
Beiträge: 484
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Beitrag von Barbara »

Hallo Marie,
mit Europaer - als Frage - wollte ich eigentlich auch darauf Bezug nehmen, dass Rilke auesserlich wohl nirgendwo richtig zu Hause war ; also genau seine Ruhe- und Rastlosigkeit. Es gibt auch eine Suche nach einer inneren Heimat. Aber was meinte Rilke mit "Weltinnenraum" genau ? Die Suche nach einer inneren Heimat, Geborgenheit in sich ... - die er dann auch nicht gefunden hat ?
Viele Gruesse von Barbara :wink:
Marie
Beiträge: 308
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Beitrag von Marie »

Hallo Barbara,

zuerst mal die Korrektur des Zitats (s. o.): Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. (7. Elegie)

Um Weltinnenraum zu erklären, versuche ich’s am besten wieder mit der altindischen Philosophie; dort gibt es den Begriff Maya für die äußere Welt, der soviel wie Illusion bedeutet. D.h. alles, was wir als Wirklichkeit betrachten, ist eigentlich nur ein Produkt unseres Geistes. Ziel ist es, unsere ganzen Projektionen quasi zurückzuholen und die Einheit des Geistes wieder herzustellen. Das bedeutet letztendlich, dass es keine Aufspaltung mehr zwischen Subjekt (= Betrachter) und Objekt (=betrachtetem Gegenstand/Gegenüber) mehr gibt. Theoretisch ist das mit unserem analytischen Verstand, der ja gerade auf dieser Aufspaltung basiert, schwer nachvollziehbar. Rilke muss aber ein sehr feines, natürliches Gespür für dieses Getrenntsein gehabt haben. Sobald diese Trennung bewusst wird, ist sie gleichzeitig auch sehr schmerzlich, da man selbst in der größten Intimität immer doch nur das Getrenntsein vom geliebten Menschen erfährt. Weltinnenraum ist wahrscheinlich als Pseudonym für die mystische All-Einheit zu verstehen. Ich weiß nicht, ob Rilke sich mit dem Zweig des Tantra beschäftigt hat, der die Verwirklichung dieser Einheit in der (Wieder-)Vereinigung (körperlich wie seelisch) zweier Menschen sieht, aber irgend so etwas muss ihm vorgeschwebt haben, denn ein weltfernes Asketentum war ihm (trotz gelegentlicher Ansätze) doch eher wesensfremd. Sicher hat auch seine Vorliebe für Ägypten damit zu tun, da in dessen Mythologie ebenfalls die Zweiheit (s. Isis-Osiris) eine große Rolle spielt.

viele Grüße :D
e.u.
Beiträge: 320
Registriert: 5. Jun 2003, 10:29

Beitrag von e.u. »

Hallo,
vielleicht steckt doch nicht so viel Philosophie in Rilkes 'Weltinnenraum'? Der Begriff taucht erst im 'mittleren' und späten Werk auf. Da kannte er schon Jakob von Uexküll und sein grundlegendes WErk 'Innenwelt und Umwelt der Tiere' (1909). Dort (und in späteren Büchern von Uexküll natürlich auch) ein 'Bauplan' für die Wahrnehmung von Umgebung und Bildung von 'Welt' konzipiert. Rilke hat sich mit dem Verfasser öfter getroffen und lange unterhalten. Wir haben das bisher wenig beachtet. Aber vielleicht ist da auch ein Schlüssel, den wir noch nicht benutzt haben?
Grüße: e.u.
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