Was wirst du tun Gott...

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Walter
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Was wirst du tun Gott...

Beitrag von Walter »

Hallo liebe Rilke liebhaber...

ich hätte gerne ein paar ideen zu einer interpretation von "Was wirst du tun Gott wenn ich sterbe".
Ich muss dieses Gedicht künstlerisch umsetzen und habe vor eine Animation zu machen. Was für bilder gehen euch durch den kopf wenn ihr dieses Gedicht lest?

viele Grüße

Walter
gliwi
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von gliwi »

Hallo Walter,
es kommt wohl eher drauf an, welche Bilder dir durch den Kopf gehen. Unsere dürften deine Lehrerin weniger interessieren, und wir wollen auch nicht mehr benotet werden. Aber wenn du schon mal ein paar Ideen hast, diskutieren wir gerne mit dir darüber.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Walter
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von Walter »

Meine Bilder sind: Ein Krug der herunterfliegt und zerbricht. Ich denke in diesem Vers wird auf die Bibel angespielt: "Oder wisst ihr nicht das euer Körper ein Tempel des heiligen geistes ist" ( Korinther5,23)

Als nächtes habe ich das Bild des arm und beinlosen krucifix, denn in der Bibel steht auch wir sind die Füße und Hände Gottes.

Wenn dies alles aufgegeben wird durch den Tod, dann ist die zweifelnde Frage berechtigt :Was wirst du tun Gott wenn ich sterbe.

Des weiteren habe ich die ganze Zeit das Bild eines verzweifelten Menschen im Kopf, der die Arme ausstreckt und das Gedicht zum Himmel schreit.

Wirklich keine Ahnung, und gar kein Bild keine Idee habe ich bei dem Vers:
Und legt sich fremden steinen in den Schoß.

Was genau bedeutet das, wenn der Blick Gottes sich in den Schoß von steinen legt?

hier wäre ich sehr dankbar wenn mir jemand sagen könnte was rilke vielleicht damit gemeint hat.

Danke

Walter
helle
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von helle »

Hallo Walter,

die Krug-Anspielung leuchtet mir ein, auch die andere Bibelstelle, die ich nicht kannte. Daß man diese Dinge mit Recht assoziieren kann, heißt zwar nicht, daß damit die Gedichtstellen schon gedeutet sind, aber ihr Horizint wird doch klarer.

Die Stelle mit den Steinen ist ja Teil einer Aufzählung - zunächst von Seiten des Ich: es ist Krug, Trank, Gewand usw., dann von Seiten des Gottes, also dessen, was Gott ohne das Ich des Gedichtes (das hier sicher alle Menschen verkörpern will) wäre. Es erinnert mich an eine Stelle in Nietzsches Zarathustra über die Sonne: Was wärest Du ohne die, denen Du scheinst?

Was wäre, wenn der Mensch nicht mehr da ist? Gottes Blick müßte sich mit Dingen befassen, die nicht im gleichen Sinn sein Geschöpf sind wie es der Mensch ist, die mithin "fremd" sind, wie von den Steinen behauptet.

Etwas von der Auffassung, daß der Mensch die Krone der Schöpfung sei, lebt also in diesem Gedicht mit, der expressionistische Dichter Gottfried Benn wird diese Auffassung nur kurze Zeit später ins Gegenteil verkehren.

Noch eine Assoziation: umgekehrt läßt sich mit dem "Pfühl" wohl auch der Sünder assoziieren.

Viel Glück
wünscht helle
Walter
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von Walter »

Danke helle für deine Antwort, sie hat mir den vers um einiges klarer gemacht.

Was du über das Lyrich-Ich sagst teile, mir ist jedoch auch schonmal der Gedanke gekommen, könnte das Lyrische Ich hier nich allgemein für alle Menschen, für die Menschheit stehen. So dass das lyriche-Ich nicht für eine Person steht, sondern für die ganze Menschheit.
Dann würde die Deutung mit dem "Blick" und besonders dem "suchen" eine deutlichere komponente bringen.

gruß

Walter
stilz
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von stilz »

Für mich stellt sich auch noch die Frage, was in diesem Gedicht mit dem „Sterben“ gemeint ist.

Das Gedicht davor beginnt ja mit den Worten:

  • Ich kann nicht glauben, daß der kleine Tod,
    dem wir doch täglich übern Scheitel schauen,
    uns eine Sorge bleibt und eine Not.
Der „kleine Tod“ – das scheint mir das Ende des irdischen Lebens eines einzelnen Menschen zu sein.
  • Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?
    Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?)
    Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)
- hier hingegen scheint es mir um etwas anderes zu gehen als um diesen „kleinen Tod“.
Denn ein solcher „kleiner Tod“ liegt ja wohl in der Bestimmung des Menschen. Seinen „eigenen Tod“ zu erleben, dazu ist er auf der Welt:

  • O Herr, gieb jedem seinen eignen Tod.
    Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
    darin er Liebe hatte, Sinn und Not.

    Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
    Der große Tod, den jeder in sich hat,
    das ist die Frucht, um die sich alles dreht. ...
, heißt es im „Buch von der Armut und vom Tode“.

Und ich denke dabei auch an diese Stelle aus dem Gedicht "Die Irren in der Chartreuse de Champmol zu Dijon":

  • …daß wir, verwandelt und verhundertfältigt
    von allem rings und leichter als die Luft,

    Müh haben immer wieder das zu sein
    wovon der Tod erhofft, daß es uns glücke,
    weil er es an sich nehmen will wie ein
    nützliches Ding und nicht wie hundert Stücke.

Im Gegensatz dazu liegt das „Zerscherben“ bzw „Verderben“ nicht in der Bestimmung eines Kruges oder eines Trankes, sondern sie verfehlen damit ihre eigentliche Aufgabe.

Die „Aufgabe“ des Menschen, vor deren Verfehlung das „Ich“ bangt, ist es hier, „Gewand und Gewerbe“ Gottes zu sein.
Also einerseits „Hülle“: Krug, Gewand, Haus, Samtsandale, Mantel – auch ich denke an Paulus und „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid?“

Andererseits aber Gewerbe, Sinn. Es findet also offenbar eine „Umstülpung“ statt:
Während es etliche Gedichte vorher noch geheißen hatte (mit „du“ wird auch hier Gott angesprochen):

  • Wir bauen an dir mit zitternden Händen
    und wir türmen Atom auf Atom.
    Aber wer kann dich vollenden,
    du Dom.
, wird nun umgekehrt der Mensch als die „Aufgabe Gottes“ angesehen.

Es ist also ein gegenseitiges „aneinander Bauen“.
Walter hat geschrieben:Was genau bedeutet das, wenn der Blick Gottes sich in den Schoß von steinen legt?
helle hat geschrieben:Was wäre, wenn der Mensch nicht mehr da ist? Gottes Blick müßte sich mit Dingen befassen, die nicht im gleichen Sinn sein Geschöpf sind wie es der Mensch ist, die mithin "fremd" sind, wie von den Steinen behauptet.
Ja. Danke, helle. Das sehe ich ganz genauso.
Gott müßte sozusagen wieder von vorne anfangen. Bei den Steinen.

Walter hat geschrieben:Des weiteren habe ich die ganze Zeit das Bild eines verzweifelten Menschen im Kopf, der die Arme ausstreckt und das Gedicht zum Himmel schreit.
Lieber Walter, ich sehe nicht einen Menschen, der in Verzweiflung schreit.
Sondern ich sehe einen Menschen, der so etwas wie Verantwortung ahnt, etwas pathetisch ausgedrückt: die Verantwortung der gesamten Menschheit, gesehen im „großen Bezug“ … ich sehe einen Menschen, dem es bange ist ob der großen Aufgabe, die er darin erblickt, die „Krone der Schöpfung“ zu sein. Der aber vielleicht Zuversicht schöpfen kann aus dem Bewußtsein, das er einige Gedichte davor so ausgedrückt hat:
  • ...
    Auch wenn wir nicht wollen:
    Gott reift.
Herzlichen Gruß, und danke für Deine Fragen!

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
joni
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von joni »

Hallo zusammen,

ich sehe die Stelle "Und legt sich fremden Steinen in den Schooß" als Anspielung auf die konkreten Grabsteine, in deren Mitte der Sarg, die Leiche ja gebettet wird. Grab als Bett, Grab als Schoß, als Rückkehr in den Schoß der Mutter Natur.

Fremde Steine, weil sie ja nun nichts mit der Person zu tun haben, die da hineingelegt wird, ausgesucht von den Hinterbliebenen vielleicht, behauen vom wildfremden Steinmetz, eben ganz und gar fremd.

Wenn die Welt sich nur um den Einzelnen dreht, und die Welt mit mir als dem, der diese Welt hervorbringt, diese Welt mit meinem von mir gedachten Gott mit dem Tod beendet wird, was wird dann aus Gott, wenn ich sterbe? Er ist doch das Produkt meiner Gottessuche und endet mit dem Ende der Suche. Rilke bangt um seinen Gott, der mit ihm stirbt. Der schützende Mantel, der Gotteszuspruch, die Hilfe der Transzendenz: alles vorbei, wenn die Hilfe im Tod mehr benötigt wird als zu Lebzeiten.

Wem wird da nicht bange?

Besten Gruß
Der Joni
Walter
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von Walter »

Ich bin grade dabei das Gedicht förmlich zu untersuchen.

Sind die 2 und dritte Zeile Parallelismus oder ist das schon ne Anapher?

Des weiteren herrscht in dem Gedicht eine sehr starke Bildlichkeit vor, wodurch wird Bildlichkeit in einem Gedicht/diesem Gedicht erzeugt?

Und dann habe ich arge Probleme mit der Metrik ist ein Jambus? bitte helft mir dort. danke
joni
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von joni »

Ach Walter,
wenn du wüsstest, wieviel Freude du einigen hier wieder mit deiner Frage nach Hausaufgabenerledigung machst - ich würde zu gerne mal die Gesichter und Gesten von Helle, Christoph, gliwi usw. sehen! Du bist nämlich nicht der erste und hoffentlich nicht der letzte, der danach fragt. Auf der einen Seite freuen wir uns (ich schließe mich da jetzt mal mit ein) nämlich ganz unheimlich, wenn uns jemand was fragt, weil dadurch meist so ein schöner Austausch zustande kommt, aber gleichzeitig fürchten wir uns vor der Gretchenfrage nach Jambus und formalen (nicht förmlichen ...) Gestaltungsmitteln.
Du bist wenigstens einer, der sich meldet, bedankt, mit beteiligt - das ist nämlich längst nicht immer der Fall - und darum wirst du vielleicht auch ein paar Abkürzungen erhalten.
Den Rhythmus wirst du schon rausbekommen - und wenn kein "sauberer" Jambus auszumachen ist, weißt du, dass es eben ab und an jambisch (oder daktylisch?) ist. Würdest du als Autor "Gott" in ein Versmaß pressen?
Die Anapher machst du lieber an ersten Buchstaben fest (Milch macht müde Männer und so), nicht an ganzen Teilsätzen.
Bilder werden erzeugt, indem man Bilder erzeugt. Vergleich? Gleichsetzung? Neues Bild, altes abgedroschenes Bild?
Nimm deine eigenen Gedanken ernst, dann machst du das Gedicht dir zueigen und dann wird das schon passen. Das ist ein Haufen Arbeit, aber die musst du dir schon machen. Und das macht ab einem gewissen Punkt auch richtig Spaß und erzeugt Befreidigung - und Sinn, ehrlich.
Besten Gruß
Der Joni
gliwi
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von gliwi »

Ach Joni, bei mir hat du ins Schwarze getroffen. Bei dem Wort "Anapher" habe ich weggescrollt und gedacht: "Nein, nicht schon wieder! Vielleicht morgen ... oder übermorgen." Dabei kann man sich im Internet so gut informieren, was eine Anapher ist und was ein P. Das dominierende Versmaß rauszukriegen muss man allerdings einmal gelernt haben. Ich habe es immer schon den Fünftklässlern beigebracht, was einige nicht davor bewahrt hat, es wieder zu vergessen.
Also aufgepasst: einmal das Gedicht total leiern. Dann merkt man hier: ta tam ta tam ta tam ta tam ta. Jambus, 4 Hebungen. Und so geht man durch und bemerkt dann die Abweichungen - es sind nur wenige hier. Aber beim Vortrag nie in dieses Leiern verfallen! Sondern pro Vers nur eine, höchstens zwei Silben betonen!
So, und jetzt los!
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Walter
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Re: Was wirst du tun Gott...

Beitrag von Walter »

Danke Leute, ihr habt vollkommen Recht mit dem was ihr sagt.
Ich bin jetzt fertig mit meinem " Rilke projekt".
Danke für eure Hilfe
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