Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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lilaloufan
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Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«

Beitrag von lilaloufan »

Im Jahr 1902, zur Neueröffnung der Bremer Kunsthalle, verfasste Rilke einen Prolog („Festspielszene“ genannt) zu dem Maeterlinckschen Singspiel »Schwester Beatrix« [Maeterlinck, Maurice: Schwester Beatrix. Nach einer alten Klosterlegende. In: Ders.: Zwei Singspiele. Blaubart und Ariane. Schwester Beatrix. Deutsch v. Friedrich Oppeln-Bronikowski, 2. verb. Aufl., Jena und Leipzig 1904, S. 41-84] und leitete eine Laien-Einstudierung an.

Wer weiß darüber mehr (auch über die Musik!); wie kam es zu diesem Auftrag, wie wurde das Ereignis der Aufführung aufgenommen – vom Publikum, von den Kritikern –, wie stand Rilke selbst später dazu? Wie erinnerten teilnehmende Spieler Rilke als Schauspielpädagogen, als Regisseur? Und vor allem: Wo finde ich diesen Prolog?

Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
Harald
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Re: Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«

Beitrag von Harald »

Ausführlich hat sich Rilke in drei Briefen vom Januar 1902 an Opeln-Bronikowski, den Übersetzer Maeterlicks geäußert. Die sollten aufzuspüren sein.
Die Aufführung war am 15. Februar 1902.
Der Text des Prologs ist hier zu finden:
Gerhard Mayer Collection of Rainer Maria Rilke at the University of Illinois Library at Urbana-Champaign, in deren Katalog es heißt:
671 Zur Einweihung der Kunsthalle am 15. Februar 1902: Festspielscene von Rainer Maria Rilke . [ s. 1 . : s.n., n.d.] 5 numbered leaves with printing and numbering on recto only. 20.5 cm. White wrappers.
"Privatdruck für die Teilnehmer an der Feier" - Von Mises.
"Prolog zu Maeterlincks Singspiel Soeur Beatrice" - Ritzer
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
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lilaloufan
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Re: Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«

Beitrag von lilaloufan »

Danke Harald. Dann geh' ich mal zur nächsten Bibliothek :-).
Gruß,
Christoph
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aus der "Rilke-Chronik"
aus der "Rilke-Chronik"
rilke_1902_BEATRIX.jpg (255.29 KiB) 6531 mal betrachtet
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lilaloufan
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Re: Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«, P.S.

Beitrag von lilaloufan »

P.S.: Ich hab' noch nie nach alten Zeitungen recherchiert. Wie kommt man denn an Hans Rosenhagens oben erwähnten Bericht? Auch über Bibliotheken? (Bin kein Historiker – keine Ahnung!)

l.
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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lilaloufan
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Rilkes Prolog zu Maeterlincks »Schwester Beatrix«

Beitrag von lilaloufan »

Nochmal ich. Den Ort des Prologs hab' ich jetzt gefunden: «Zur Einweihung der Kunsthalle»
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Hg. vom Rilke-Archiv. In Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Ernst Zinn. 6 Bde. Wiesbaden / Frankfurt a. M. 1955-1966, Bd. 3, S. 403-409).

Gibt's hier: http://www.kunsthalle-bremen.de/Shop/Pu ... ionen.html für 7,50 €.

Und hier ein interessanter Auszug aus der Festschrift:
Nils Aschenbeck, Karolin Bubke:
„den bildenden Künsten geweiht“
150 Jahre Kunsthalle Bremen

«Es war Kalkül, dass {Gustav} Pauli {damaliger Direktor der Kunsthalle} den jungen Worpsweder Künstlern Heinrich Vogeler und Rainer Maria Rilke (1875-1926) die Gelegenheit bot, ja diese ausdrücklich aufforderte und überredete, am Eröffnungsabend auf der Kunsthallen- Treppe ein kleines Festspiel zu bieten. „Am Abend war die Kunsthalle seitens des Vorstandes Herrn Dr. Pauli für eine Feier zur Verfügung gestellt mit der Bedingung, dass deren Erträgnis den Sammlungen zu Gute kommen sollte. Zur Aufführung in den Vortragssälen war Maeterlincks ‚Schwester Beatrix’, von hiesigen Künstlern und Dilettanten dargestellt, gewählt worden.“ Die hiesigen Dilettanten waren die Töchter und die Söhne angesehener Bremer Kaufleute, die sich berufen fühlten, ein neues, modernes Jahrhundert zu gestalten. Im Kunsthallen Archiv findet sich ein Personenverzeichnis der Maeterlinck-Aufführung, das 1963 zusammengestellt wurde.
Als Schauspieler wirkten mit: Else Vonhoff (Schwester Beatrix); Lina Voigt als Äbtissin (die Schwester von Rudolf Alexander Schröder); Emmy Schumacher (Cousine des Architekten Fritz Schumacher; Gattin des Berliner Architekten Lassen); Else Wiegand als Schwester Clementine (Tochter von Bernhard Wiegand, selbst erfolgreiche Malerin); Clärchen Schröder als Schwester Felicitas (Schwester von Rudolf Alexander Schröder); Lina Segnitz als Schwester Regine; Felicie Meyer als Schwester Balbine; Thilda Rassow als Schwester Gisela (Tochter von Christine Rassow, die zusammen mit Pauli die festlichen Veranstaltungen zur Einweihung der Kunsthalle leitete); Detmar Matthes als Prinz Belidor; Heinrich Finke als Kaplan und Mariechen Gildemeister als Alette.
Offensichtlich war es Rainer Maria Rilke gewesen, der die Aufführung des Maeterlinck-Stückes „Schwester Beatrix“ vorgeschlagen hatte. Maurice Maeterlinck (1862-1949) war bekannt für seine handlungsarmen, meditativen Bühnenstücke, die eine Wendung ins Innere, eine „Vergeistigung“, wie es damals hieß, zum Ziel hatten. Rilke hatte in Maeterlinck Stücken eine Geistesverwandtschaft entdeckt. Im Jahr 1900 erschien das Stück „Schwester Beatrix“ als „Die Insel“-Druck. Das Titelblatt war von Heinrich Vogeler gestaltet worden.
„Auf die Aufführung folgte ein Büfett im oberen und unteren Skulpturensaal, dem sich eine Zwiesprache auf der Treppe zwischen einem älteren und jüngeren Künstler, gedichtet von Herrn Rilke, sowie ein Concert der freundlichst zur Verfügung gestellten Militärcapelle des 75. Regiments anschloss.“ In Rilkes „Festspiel“ wird das Maeterlinck-Stück spielerisch interpretiert. Rilkes Intention war, die Kunst als etwas Heiliges herauszustellen, als einen sakralen Wert, an den man glauben muss, den man nur erleben, sich nicht erarbeiten kann. Kunst sei nicht zur Bildung oder Belehrung notwendig (so durchaus die hergebrachten Ziele des Kunstvereins), sondern müsse als etwas Bedeutendes geradezu unbewusst verinnerlicht werden. „Um den Abend und damit um unseren Verein machten sich besonders verdient die Damen Frau Dr. Pauli, Gustav Rassow, Detmar H. Finke und Frl. v. Kapff [gemeint ist wohl Aline Charlotte von Kapff, 1842-1936], sowie die Herren Rainer M. Rilke und Heinr. Vogeler.“
Der Abend schloss mit einem Tanzvergnügen in der Kunsthalle - und endete erst weit nach Mitternacht. Am nächsten Abend, einem Samstag-Abend, wurden die Maeterlinck-Aufführung, das Festspiel und der anschließende Tanz wiederholt. „Goethe bemerkte einmal, wie wichtig es sei, schöne junge Menschenkinder auf die Bühne zu bringen. Sie standen uns zur Verfügung und sicherten schon durch ihre Erscheinung den halben Erfolg, für den Rest aber sorgten sie redlich durch ein lebhaftes, wohl einstudiertes Spiel. Rilke, der die Proben leitete, hatte gewünscht, die Bühne durch einen breiten einfach gegliederten Rahmen umschließen zu lassen, damit das Spiel bildmäßig und in die Ferne gerückt erschiene. Da sich dies indessen in dem beschränkten Raum nicht bewerkstelligen ließ, begnügten wir uns mit einem Vorhang aus schwarzem Flor, der, vor der Bühne aufgespannt, an sich unsichtbar blieb, dennoch aber bewirkte, die Figuren flächenhafter erscheinen zu lassen und die Szene ein wenig in die Ferne zu rücken. Rilkes Verlobte, die Bildhauerin Clara Westhoff, hatte den Kopf der Jungfrau Maria modelliert, deren Altarbild am Anfang und Schluss des Spiels an seinem Platze steht. Das Publikum klatschte stürmisch Beifall.“
Diese abendlichen Veranstaltungen waren mehr als eine Feier zur Kunsthalleneröffnung. Sie waren Ausdruck eines Lebensgefühls. Das eigene Leben zu veredeln, selbst in Kunst aufzugehen, das war das Ziel von Magda Pauli (geb. Melchers) und den nun zusammengefundenen „Freunden und Freundinnen unseres Kreises“. Die Dilettanten trafen sich, angeregt auch vom Lebemann, Privatier und Vogeler-Freund Alfred Walter Heymel, regelmäßig 14-tägig in Privatwohnungen. Die Gruppe um Heymel und Magda Pauli nannte sich nach Goethes Tasso „Die Goldene Wolke“. Man las, diskutierte und tanzte. Gelegentlich traf man sich auch anlässlich von Ausstellungseröffnungen in der Kunsthalle. In ihrem 1954 erschienenen Buch „Die Goldene Wolke“ nennt Magda Pauli (unter dem Pseudonym Berck) Teilnehmer der regelmäßigen Zusammenkünfte: Lina Schröder, August Heye, Clärchen Schröder, Lina Segnitz, Konzertmeister Schleicher (der auch bei der Kunsthallen-Eröffnung mitwirkte) und Leo Rassow.
„Es mag vielleicht verwundern, dass Rainer Maria Rilke aus dem nahen Worpswede nicht mit in unsern Kreis trat. Er hatte zur Eröffnung der Kunsthalle den Weihespruch voll schöner Gedanken geschrieben, er war mehrmals bei uns zuhause in der Parkallee zu Gast gewesen, damals noch mit seiner Frau Clara [...]. Nein, Rilke, so sehr wir ihn damals schon verehrten und von seinem Genie überzeugt waren, hätte in unsere Leseabende nicht gepasst.“
»

l.
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»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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