Fragen zu Liebes-Lied

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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sina91
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Fragen zu Liebes-Lied

Beitrag von sina91 »

Hallo liebe Forumsuser :)

Momentan bereite ich ein Deutschreferat vor - über das "Liebes-Lied" von Rainer Maria Rilke. Und bevor jetzt alle wieder rufen "wir sind keine Hausaufgabenbetreuung!" :D, das ist mir natürlich bewusst. Mein Referat steht auch so weit schon, nur habe ich noch ein paar Fragen, bei denen ich mir unsicher bin. Deswegen würde ich euch gerne um Rat fragen, vielleicht kann mir ja jemand helfen.

Liebes-Lied
Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt,wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.


Metrum
Nach eigenen Recherchen + Internet bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gedicht größtenteils aus einem 5-hebigen Jambus besteht. In V. 3, V. 9, V. 10 allerdings anfangs je aus einem Daktylus, der Rest 4-hebige Trochäen.
Allerdings kann ich mir diese Unregelmäßigkeit inhaltlich nicht wirklich erklären. Wie könnte man diese deuten?

Des Weiteren bin ich nun in V. 7 ("nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen") am Grübeln. Da passt doch am Ende was nicht zusammen? Die letzte Silbe von "schwingen" ist ja wieder unbetont. Das macht mir irgendwie einen Knoten in den Kopf. :roll:

Liebesauffassung
Ausgehend von unserem Deutschbuch, bekam ich folgende Aussagen zur Liebesauffassung in diesem (und weiteren angegebenen) Gedicht/en: Zum Einen wären da die Ästhetisierung, die idealistische Überhöhung und die Stilisierung der Liebe zu einem Geschehen, das rätselhaft, geheimnisvoll und mehr seelisch als körperlich ist.
Mit dem letzten Punkt der Stilisierung der Liebe kann ich noch am meisten anfangen. Das lyr. Ich in dem Gedicht sieht die Liebe ja als etwas, das es nicht beeinflussen kann, es beugt sich einer höheren Macht --> Liebe wird geheimnisvoll + rätselhaft.
Mit der Ästhetisierung habe ich jedoch so meine Probleme. Was soll das konkret bei diesem Gedicht bedeuten? Dass die Liebe hier als etwas Ästhetisches dargestellt wird? Und woran (Beispiel?) kann ich das festmachen?
Ähnlich geht es mir mit der idealistischen Überhöhung. Bspw. "nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich", kann man das als erklärendes Beispiel für diesen Punkt anführen? Dass die Liebe hier überhöht dargestellt wird, etwas das außerhalb der 'Reichweite' liegt. Weiß nicht so richtig, wie ich das beschreiben soll und ob es nicht vollkommner Unsinn ist.

Wäre schön, wenn mir hierbei jemand weiterhelfen könnte! :)
Grüße, Sina
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: Fragen zu Liebes-Lied

Beitrag von Harald »

Die Ästhetisierung liegt in der fortgesetzten Metapher oder Allegorie des Instruments, auf das die Saiten-Seelen der Liebenden gespannt sind, und das unter den Händen des unbekannten Geigers das süße Lied der Liebe erklingen lässt.
Zuletzt geändert von Harald am 13. Okt 2009, 13:39, insgesamt 1-mal geändert.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
gliwi
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Re: Fragen zu Liebes-Lied

Beitrag von gliwi »

Hallo sina91,
wenn du hier bei "Gedichte" runterscrollst, findest du mindestens sechsmal dieses Gedicht als Thema, wobei es bei denen, die ihr Gedicht nicht im Titel stehen haben, auch noch dabei sein kann. Also schau mal durch, auch das Metrum haben wir, soweit ich mich erinnere, schon mehrfach durchgekaut. Wenn du nicht fündig wirst, kannst du dich gerne nochmal melden.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
stilz
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Re: Fragen zu Liebes-Lied

Beitrag von stilz »

Liebe Sina,

zuerst zum Metrum:
:D Ich muß sagen, wenn ich von Deinen "Knoten im Kopf" lese, kann ich der Bezeichnung "alternierendes Versmaß" statt "jambisch" bzw "trochäisch" viel abgewinnen!

In V 9 und V 10 würde ich keine Unterbrechung des Versmaßes sehen, man kann das auch als Jamben lesen. Es geht dabei ja nicht darum, das Gedicht zu "leiern", sondern ausdrucksvoll vorzutragen - da sind an einigen Stellen die Jamben deutlicher zu spüren, an anderen sozusagen "abgemildert". Diese beiden Versanfänge würde ich als "abgemilderte" verstehen ( :D aber tut mir leid: das ist keineswegs ein Fachbegriff, sondern nur meine persönliche Meinung!).

In Vers 3 hingegen sehe auch ich eine "Unterbrechung". Allerdings lese ich es nicht als Daktylus (das wär mir zu "schnoddrig"; lies es mal laut, dann kannst Du das vielleicht spüren!), sondern am ehesten als Spondeus.
Inhaltlich paßt diese "Unterbrechung", finde ich, zu der Aktivität, die ein "Hinheben" der Seele, "hin zu andern Dingen" erfordern würde; im Gegensatz zu der Passivität, die für's "Mitschwingen" genügt...

Und wo ist die Schwierigkeit in V 7? Er hat dieselbe metrische Form wie V 5, auf den er sich auch reimt. Wenn Du unbedingt eine Begründung dafür brauchst, daß der Vers mit einem zweisilbigen Reim und daher einer unbetonten Endsilbe endet, dann findet sie sich doch sehr schön im "Weiterschwingen"...

Zur "Liebesauffassung":
Ich habe mal versuchsweise "Ästhetisierung, idealistische Überhöhung" ge-google-t und kam dabei auf die Seite http://wiki.zum.de/Liebeslyrik, wo allerdings, unter dem Titel "Liebeslyrik im Wandel der Zeit", ziemlich wörtlich genau das steht, was Du aus Eurem Deutschbuch zitierst, als "Merkmale" der Liebeslyrik der Jahrhundertwende:
  • "Ästhetisierung, idealistische Überhöhung und Stilisierung der Liebe zu einer [sic] rätselhaften, geheimnisvollen, der Wirklichkeit enthobenen, mehr seelischen als körperlichen Geschehen"
Ich bin weder Deutschlehrerin noch sonst "Expertin", aber ich möchte doch sagen, daß mir der Versuch ziemlich unbehaglich ist, ein Rilke-Gedicht in dieser schematischen Weise auf seine "Merkmale" abzuklopfen. Es kommt mir fast so vor, als würde man von verschiedenen Zahlen den "größten gemeinsamen Teiler" bestimmen und dann umgekehrt diesen ggT zur Beschreibung der Zahlen verwenden. Und wie, wenn man es dabei mit Primzahlen zu tun hätte?

In Deinem Referat geht es ja wohl in erster Linie um die "Liebesauffassung" in diesem Gedicht. Dazu brauchst Du doch zunächst mal gar keine "zeittypischen" Merkmale, oder?

Mit "Das lyr. Ich in dem Gedicht sieht die Liebe ja als etwas, das es nicht beeinflussen kann" bist Du auf einer viel genaueren Spur als nur mit "Liebe wird geheimnisvoll + rätselhaft". Und es paßt sogar auch zu einem Gedicht des zweiten Dichters, der als "Jahrhundertwende-Beispiel" in dieser Tabelle angeführt ist: Hugo von Hofmannsthal: "Die Beiden" meine ich...

Wenn Du unbedingt auf diese "zeittypischen" Merkmale eingehen willst/mußt - also, ich fände es dann angebracht, Liebesgedichte aus früheren Epochen heranzuziehen und an ihnen zu verdeutlichen, inwiefern sich deren "Liebesauffassung" von der in diesem Gedicht hier unterscheidet. Und danach kannst Du ja diese Tabelle nochmal hernehmen und schauen, ob Du damit etwas anfängst...

Ich würde Dir jedenfalls raten, in Deiner eigenen Weise an das Gedicht heranzugehen: was sagt es Dir? Wie findest Du die Liebe dargestellt, womit verglichen, und auch: wohin geht die "Sehnsucht" des "lyrischen Ich"?

Tja - und ob meine Antwort Dir nun eine Hilfe ist, das kann ich nicht sagen...

Alles Gute für Dein Referat!

stilz

P.S.: Zur "Liebesauffassung" bei Rilke wurde hier im Forum schon sehr viel gesagt, ich denke hier vor allem an den Brief an den "jungen Dichter" Franz Xaver Kappus vom 14.5.1904; auch wenn es nicht direkt mit diesem Gedicht zu tun hat: es lohnt sich auf alle Fälle, ihn zu lesen.
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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