" ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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Kurtotto
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" ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Kurtotto »

... darf man sich nichtmehr für unglücklich halten; ... "
zitiert Ulrich Baer auf Seite 12 des Insel Taschenbuchs "Es gibt nur - die Liebe".
Aus welcher Urquelle stammt dieser Auszug?
Wahrscheinlich doch aus einem seiner Briefe!?
Herzlichen Dank in voraus für Eure Hilfe!
Harald
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Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Harald »

Rätus Luck, Hugo Sarbach, Hrsg., Briefe an Schweizer Freunde, 1994, Seite 376:
"Einmal liebend, einmal entflammt, darf man sich nicht mehr für unglücklich
halten; wer einmal den Eingang hatte in die Seeligkeit der Liebe, der ist in ihr und alle Entbehrung, alle Sehnsucht ist für ihn fortan nur noch das Gewicht, die Schwere seiner Fülle!"
Leider ist das nicht die Ausgabe "Suhrkamp Weißes Programm Schweiz", die leicht zu beschaffen ist.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
Kurtotto
Beiträge: 3
Registriert: 19. Aug 2009, 11:13

Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Kurtotto »

Herzlichen Dank, Harald, das ging ja flott!
Wäre der gesuchte Text denn auch in der Suhrkamp-Ausgabe enthalten (1990, 420 S.)???
Und: Handelt es sich um einen Brief (an wen?) oder was?
Danke nochmals
Detlev Dehn (Kurtotto)
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Harald »

Es handelt sich sicher um einen Brief, weil das eine Brief-Anthologie ist, aber eben leider nicht die von 1990, welche neben mir auf dem Tisch liegt, sondern eine erweiterte von 1994, in der die französischen Briefe ins Deutsche übersetzt sind. Mein Verdacht ist, dass das die Worte eines Übersetzers sind.
Wenn du im Kahrlsruher Virtuellen Katalog Deutschland anhakst und bei Titel "Brief an Schweizer Freunde" eingibst, erfährst du, wo du eine Bibliothek, die die Ausgabe hat, findest.
http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html
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Kurtotto
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Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Kurtotto »

Danke, Harald, alles klar!
Ich werd' jetzt via amazon oder abebooks die Insel-Ausgabe bestellen.
Darf ich Dir dann mal mitteilen, was sich aus dem Text ergibt?
Gruß Detlev
Harald
Beiträge: 230
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Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von Harald »

Gerne! Das interessiert sicher auch andere im Forum.
Ich muss aufpassen, dass ich hier nicht in den Ruch eines Ketzers gerate, aber ich riskiere es. Rilkes Satz überzeugt mich nicht. Er hat eine idealistische Suada, die uns gut tut, aber insgeheim wissen wir/könnten wir wissen, dass er nicht stimmt. Die Fülle der Liebe setzt Liebe als Handeln und Erleben voraus. Sie ist leider kein seelischer Proviant im Rucksack des Lebens. Wie die Engländer sagen: Memory is the organ we forget with. Und wir vergessen nicht nur, wir bearbeiten und verändern unsere Erinnerungen mit Ameisenfleiß und wissen es noch nicht einmal. Also selbst wenn es eine Fülle ist, die wir uns "bewahren" konnten, ist ihr nicht zu trauen.
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lilaloufan
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Re: " ... Einmal liebend, einmal entflammt, ...

Beitrag von lilaloufan »

Lieber Harald,

das ist mal wieder eines der schönen Beispiele von einander widersprechenden Ansichten, die letztlich „beide recht“ haben, nämlich nicht etwa weil man sich nicht für die Wahrheit entscheiden wollte, sondern weil beide Urteile in einem höheren Sinne in Eines zusammenfallen. Ich habe demnächst in der „Bildungsstunde“ für die Nichtfachkräfte unserer Teams wieder einmal Gelegenheit, darzustellen, was COЇNCIDENTIA OPPOSITORUM ist; vielleicht nehme ich da diese Passage mit:
RMR hat geschrieben:"Einmal liebend, einmal entflammt, darf man sich nicht mehr für unglücklich halten; wer einmal den Eingang hatte in die Seeligkeit der Liebe, der ist in ihr, und alle Entbehrung, alle Sehnsucht ist für ihn fortan nur noch das Gewicht, die Schwere seiner Fülle!"
Harald hat geschrieben:…Die Fülle der Liebe setzt Liebe als Handeln und Erleben voraus. Sie ist leider kein seelischer Proviant im Rucksack des Lebens. Wie die Engländer sagen: Memory is the organ we forget with. Und wir vergessen nicht nur, wir bearbeiten und verändern unsere Erinnerungen mit Ameisenfleiß und wissen es noch nicht einmal. Also selbst wenn es eine Fülle ist, die wir uns "bewahren" konnten, ist ihr nicht zu trauen.
In rilke-newbies „Lösch-mir-die-Augen-aus-Thread“ habe ich einmal - ja, durchaus sehr gewagt übertragen - aus den Johannesbriefen eine Stelle zitiert (und stilz hat im nächsten Posting darauf sehr differenziert Bezug genommen und die Begriffe Agape und Eros herausgearbeitet, die uns hier im Forum im Zusammenhang mit Rilkes Verständnis von Liebe immer wieder beschäftigen):
lilaloufan hat geschrieben:…Da möchte ich im Sinne des ersten Johannesbriefs (4;16) aus
Ιωάννης hat geschrieben:
  • Ο Θεός αγάπη εστίν.
    Και ο μένων εν τη αγάπη
    εν τω Θεώ μένει
    και ο Θεός εν αυτώ μένει.
lesen.
Und darauf komme ich hier noch einmal zurück:
  • GOtt ist die Liebe +
    Und wer in der Liebe bleibet +
    Der bleibt in GOtt +
    Und GOtt in ihm
heißt es da.

Als ich las, dass Rilke die Worte ist in ihr im Brief unterstrichen hat, verstand ich das in diesem Sinne: nicht jene Liebe, die wir heißverliebt in bebender Brust und/oder hingegeben|begehrlich im Schoße tragen, sondern die, in die wir liebend (nicht: geliebt) eintauchen, die uns als Handelnde umfängt, wird gemeint sein. Man kann, ohne den Satz „Die Fülle der Liebe setzt Liebe als Handeln und Erleben voraus“ zu bestreiten, auch seine Umkehrung denken: Liebe als Handeln und Erleben setzt Rilkes «intransitive Liebe» wenn nicht als Erreichnis, so doch als idealische Fülle voraus. So betrachtet, ist doch Agape, eben gerade weil sie tatsächlich nicht „seelischer Proviant im Rucksack des Lebens“ ist, sondern in jedem biographischen Moment neu Entwicklungspotential veranlagt wie veredelt, vertrauenswürdig - ungeachtet dessen, dass wir ihre Wohltaten und die uns in ihrer Sphäre auferlegte Verantwortung vergessen und verleugnen, ja wirklich, immer wieder. Eine nur konservierte, von Treueschwüren bewehrte Haltung, nein, der wäre nicht zu trauen, aber um die geht es ja nicht, wo wir von Liebe im Sinne der Dramen-Schlussworte aus Projekt Gutenberg / Steiner (Pforte der Einweihung) sprechen:
Benedictus hat geschrieben:
  • Der Liebe Segen, er erwarmet
    Die Seele an der Seele,
    Zu wirken aller Welten Seligkeit.
    Und Geistesboten, sie vermählen
    Der Menschen Segenswerke
    Mit Weltenzielen;
    Und wenn vermählen kann die beiden
    *
    Der Mensch, der sich im Menschen findet,
    Erstrahlet Geisteslicht durch Seelenwärme.
*: Das Zweite ist Wahrheitslicht.

Ich habe gestern Abend mit meiner Frau über diesen Thread hier gesprochen, und ihr fiel unmittelbar die Spottzunge Heinrich Heine ein, der hier ganz innig wird, wo er diesen Liebe-Begriff in den Blick nimmt:
Heinrich Heine hat geschrieben:
  • Herz, mein Herz, sei nicht beklommen,
    Und ertrage dein Geschick;
    Neuer Frühling gibt zurück,
    Was der Winter dir genommen.
    Und wie viel ist dir geblieben!
    Und wie schön ist noch die Welt!
    Und, mein Herz, was dir gefällt,
    Alles, alles darfst du lieben!
Für den Menschen, für den dieses „Alles Lieben“ auch nur für einen Augenblick erlebbar wird, gibt es niemals mehr ein Zurück in irgendein Unglücklichsein.
Aber wohl ein Aufmerksamwerden darauf, wie „schwer“ es eben ist, dieser Fülle gerecht zu werden:
RMR hat geschrieben:«Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Misstrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben.

Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns rät, dass wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden.
»
Und (in diesem Forum schon sechs Mal zitiert):
RMR hat geschrieben:«Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.»

Lieber Harald, das ist erst ein angesponnener Gedankenfaden, aber ich danke Dir für den Anstoß, die Finger zu regen. :-)

Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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